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Raum, Zeit und Bild. „Screens and Sieves“ nennt Veronika Kellndorfer ihre Arbeiten, die in der Ausstellung im Mies van der Rohe Haus präsentiert werden.

© Ulrich Schwarz/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Fotoschau im Mies van der Rohe Haus: Schichten und Schlieren

Die Berliner Fotografin Veronika Kellndorfer durfte die Neue Nationalgalerie vor der großen Sanierung ein letztes Mal dokumentieren. Jetzt zeigt sie im Mies van der Rohe Haus ihre Aufnahmen.

Architektur ist dreidimensional, ein Foto flach. Lässt sich Gebautes überhaupt adäquat ins Bild setzen? Ein besonders schwerer Fall: Ludwig Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, die im fünften Jahr saniert wird und 2021 wieder öffnen soll.

„Mies’ Bauten scheinen den sie umgebenden Raum aufzuladen, sie erzeugen Territorien“, schrieb das Architektenpaar Alison und Peter Smithson. Architektur und Außenraum durchdringen sich bei Mies’ einzigem deutschen Nachkriegsbau auf besondere Weise. Da kapituliert die Kamera.

Das Wesen dieser ikonischen Architektur versucht Veronika Kellndorfer erst gar nicht zu zeigen. Sie ist keine Architekturfotografin, doch Baukunst ist ihr Thema, genauer: wie sich Gesellschaft in Bauten der Moderne manifestiert, in Bauten etwa von Erich Mendelssohn und Rudolph M. Schindler.

Kurz vor Sanierungsbeginn 2015 konnte die Künstlerin noch im leergeräumten Innenraum der Nationalgalerie fotografieren. In ihrer Ausstellung im Mies van der Rohe Haus in Hohenschönhausen tauchen die schwarzweißen Ansichten als Siebdrucke auf großen Glasscheiben wieder auf.

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Normalerweise tritt Fotografie als Medium vor dem Sujet in den Hintergrund. Nur Experten sinnieren über die Qualität des Fotopapiers. Kellndorfers Glasbilder lösen sich dagegen vom Abbildhaften. Und sie dekonstruieren oder verdichten die architektonischen Räume, mitunter lassen sie sie auch verschwimmen.

Wie durch einen trüben Vorhang blickt man auf die mit Marmor verkleideten Belüftungschächte des Mies-Baus („Ventilation Shafts“). Die Eigenarten und vermeintlichen Fehler der Medien werden von Veronika Kellndorfer offengelegt. Wo Architekturfotografen Reflexionen wegfiltern würden, lässt die Künstlerin solche Spiegelungen zu, sodass Innen- und Außenräume ineinander verfließen.

Zusätzlich spiegeln sich Realraum und Betrachter in den bedruckten Glas-Screens. Das Vielschichtige schlägt bei Veronika Kellndorfer mitunter ins Opake um. Darin zeigt sich der kritische Ansatz der Künstlerin: Mies van der Rohes Glasfassade zeigt sich transparent und offen, was dem gesellschaftlichen Zustand weder entsprach noch entspricht.

Das Sieb, der Alurahmen - sie sind Mittel zum Zweck

In der „Screens and Sieves“ betitelten Soloschau zeigt die Berliner Künstlerin auch das Sieb, mit denen der „Ventilation Shafts“-Siebdruck hergestellt wurde. Wie Bilder auch ohne autoritative Geste entstehen – diese für sie zentrale Fragestellung demonstriert die Künstlerin mit einem Werkzeug, dessen rot-blaue Färbung technisch begründet ist. Auch der Alurahmen des Siebs, das textile Gewebe – all diese Materialien sind Mittel zum Zweck und nicht Ergebnis künstlerischer Entscheidungen.

Es geht Veronika Kellndorfer um Raum, Zeit und Bild. Und doch prägen fraglos Leben und Werk Mies van der Rohes die Ausstellung. Schließlich findet sie im 1933 für ein Fabrikantenpaar fertiggestellten Landhaus statt, das seit langem als Kunstpavillon genutzt wird. Die Villa war das letzte von Mies vor seiner Emigration 1938 in die Vereinigten Staaten entworfene Haus in Deutschland.

[Mies van der Rohe Haus, Hohenschönhausen, Oberseestraße 60, Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr.]

Indem sie die Neue Nationalgalerie virtuell in das Mies van der Rohe Haus stellt, schlägt Veronika Kellndorfer einen weiten Bogen von der europäischen zur amerikanischen Phase des Architekten. Dem bescheideneren Ansatz des frühen Mies, der die Wünsche seiner beiden Bauherren berücksichtigte, entsprechen zwei kleine Kellndorfer-Skulpturen im ehemaligen Wohnzimmer – Bildträger mit Haus-Lemke-Ansichten und Quasi-Architekturen zugleich. Die speziell farbbeschichteten Gläser, jeweils drei „Wände“, sind zu einer Kleinskulptur aneinandergefügt und schimmern psychedelisch.

Frontal fotografierte Fenstersegmente

Vergleichsweise wuchtig wirken die vier bedruckten Glastafeln der Arbeit „National Gallery, Shortly Before Renovation“. Die englischen Titel rühren übrigens von der zweiten Architektur-Biennale Chicago vor drei Jahren her, auf der Kellndorfer den Zyklus erstmals präsentierte.

Für „National Gallery“ hat die Künstlerin vier Fenstersegmente des Berliner Museumsgebäudes frontal fotografiert, das Bild ist derart zerschnitten, dass die abgebildeten Stahlrahmen wie Einfassungen der vier realen Glasteile erscheinen.

Die Schrägstellung des Werks verstärkt noch den Vexiereffekt: Einmal öffnet sich das Bild wie ein Fenster – dann wieder ploppen die Tafeln wie vier dreidimensionale Objekte ins Wohnzimmer. Und auch die vierte Dimension spielt mit hinein: Gesprungenes Glas, ein riesiger Kondenswasserfleck auf einer Scheibe. Wie auf diesen Momentaufnahmen wird die Fassade nie wieder sein.

Jens Hinrichsen

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