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Der Flaschenfischer. Der in Berlin lebende Projektkünstler Dodi Reifenberg prangert in großformatigen Collagen den Wahnsinn der Plastikproduktion an.

© Dodi Reifenberg

Fotos und Collagen im Brandt-Haus: Überleben in Happyland

Abfall herstellen und vom Abfall leben: Eine bestürzende Ausstellung über Plastikmüll im Willy-Brandt-Haus.

Jeden Morgen schwimmt der siebenjährige Charles hinaus in die Bucht von Manila. Mit seiner Großmutter und einer Cousine lebt er inmitten des Slums, den nur ein zynischer Spaßvogel „Happyland“ getauft haben kann. Denn seines Lebens froh dürfte in den Wellblechhütten und Behelfsbehausungen dicht am Wasser, in dem der Plastikmüll schwimmt, kaum jemand werden.

Aber Charles ist es, wenn er von seinem Wasserstreifzug einen Sack voller Plastikflaschen an Land gebracht und verkauft hat. Zehn Rupien gibt es für einen, und davon kann er ein Kilo Reis kaufen – willkommene Unterstützung für den kleinen Haushalt.

Lachende Gesichter, mitten im Elend

Der Fotograf und Dokumentarfilmer Hartmut Schwarzbach (geb. 1956) kennt viele dieser Kinder mit Namen und nimmt an deren Schicksal seit Jahren Anteil. 2018 hat er sich einmal ein Boot gemietet und ist das eng bebaute Ufer abgefahren.

Dicht an dicht stehen die ärmlichen Behausungen, aber wenn man auf den Farbfotos, die damals entstanden, die lachenden Gesichter einiger Jungen sieht, die um das Boot herum zwischen dem schwimmenden Müll im schmutzigen Wasser plantschen, als wären sie in einem Schwimmbad, scheint von Elend keine Spur.

Schwarzbachs Serie, Teil der soeben eröffneten Ausstellung „Überleben im Müll“ (auch sie musste lange auf Publikum warten), macht Mut, so bestürzend der Anblick des zugemüllten Meeres auch ist.

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Im zweiten Teil zeigt Christoph Püschner (geb. 1958) seine im Auftrag von „Brot für die Welt“ entstandene Bildreportage aus einer riesigen Mülllandschaft am Rande der indischen Millionenstadt Guntur. Zwei Wochen lebte der Stuttgarter Fotograf unter den Ärmsten der Armen aus der Kaste der Unberührbaren.

Er zog mit ihnen auf die Deponie, wenn gerade ein neuer Transport abgekippt wurde, und saß dabei, wenn die Familien abends am offenen Feuer ihr karges Mahl verzehrten.

Respekt vor den Menschen, Empörung über die Zivilisation

Die „Waste-Pickers“ haben Gesichter, die nicht um Mitleid betteln. Es sind arbeitende Menschen, die sonst keine Chance haben und bar von jeder sozialen Fürsorge leben müssen. Man sieht, wie die Männer mit großen Haken den ineinander verkeilten Müll auseinanderreißen, und man weiß nicht, was wichtiger ist: der Respekt vor diesen „Erniedrigten und Beleidigten“, oder die Empörung gegen eine Zivilisation, die solche Abfallberge hervorbringt und einen Großteil davon zur ökologischen Selbstberuhigung außer Landes schafft. Püschners Bildbericht wird so schnell nicht vergessen, wer für die meist aus halbnaher Distanz aufgenommenen Szenen die nötige Zeit mitbringt.

[Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, bis 30. August, Sa/So 12-20 Uhr, Zugang nur mit Zeitfensterticket, Buchung online unter www.fkwbh.eventbrite.com]

Von vornherein erinnerungssicher sind die großformatigen Collagen, die der aus Israel stammende, jetzt in Berlin lebende Projektkünstler Dodi Reifenberg (geb. 1960) hier ausstellt. Reifenberg ist vielseitig tätig. Im Krankenhaus Waldfriede zum Beispiel organisiert er seit 2015 jährlich eine Ausstellung, die gegen die grausame Genitalverstümmelung Stellung bezieht und um Hilfe für deren Opfer wirbt.

Um auf den Wahnsinn der offenbar unregulierbaren Plastikproduktion aufmerksam zu machen, benutzt Reifenberg, nur auf den ersten Blick widersinnig, Hunderte Einkaufstüten (oder Ähnliches) als Material für reliefartige Wandbilder archaischen Inhalts.

Da rudert ein Bursche tief gebeugt mit seinem Boot wie in Charons Nachen durch das Plastikmeer, auf dem ein anderer aber wie Jesus auf dem See wandelt. Eine ganze Wand füllen die fast alle übergroßen Bilder, deren Farben so verführerisch falsch leuchten wie es eben die Werbung täglich tut. Das ist durchaus eine Kunstleistung, aber will gerade das vielleicht gar nicht sein, sondern vor allem ein Protest, der im Gedächtnis bleibt.

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