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Fotografie: Die ungeheuerliche Stadt

Der Maler zückt die Kamera: Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt den Bauhäusler Lyonel Feininger als Fotografen.

Lyonel Feininger blickt aus straffem Gesicht scharf nach links, die Augen leicht zusammengekniffen, der Mund ein schmaler Strich, das Kinn energisch: ein Mann, der die Situation sofort erfasst. 1929, als sein Sohn Andreas ihn aufnahm, war das Hochjahr der Fotografie in der Weimarer Republik – das Jahr der Werkbund-Ausstellung „Film und Foto“ unter anderem in Berlin im Lichthof des Martin-Gropius-Bau. Und 1929 ist das Jahr, in dem der Maler, Zeichner und vormalige Karikaturist, der Bauhaus-Meister Lyonel Feininger (1871 bis 1956) selbst verstärkt zur Kamera griff, um in Dessau und später in Halle zu fotografieren.

Als Fotograf wurde Feininger bislang kaum wahrgenommen. Er selbst hat die Kamera nie als gleichberechtigtes Arbeitsmittel neben Stift und Pinsel verstanden. Und benutzte sie doch zu weit mehr als touristischen Erinnerungen, etwa den alljährlichen Sommeraufenthalten an der Ostsee. Feininger experimentierte mit der Fotografie, bei Nacht und ungünstigem Wetter. Und er benutzte sie als Vorlagen beim Zyklus der Halle-Bilder.

Das war bislang nur ausschnitthaft bekannt. Erst jetzt wird dieser Schatz gehoben. Aus den Beständen des Busch-Reisinger Museums der Harvard-Universität im amerikanischen Cambridge sowie der dortigen Houghton Library, die den Nachlass des Sohnes T. Lux Feininger hütet, kommen die 76 Originalabzüge. Sie werden gemeinsam mit ebenso vielen Zeichnungen und Aquarellen, die dem Busch-Reisinger Museum aus dem Nachlass des New Yorker Museumsmannes William S. Lieberman zugeflossen sind, im Kupferstichkabinett gezeigt.

Die Papierarbeiten ergänzen das Bild, das man sich in Berlin bei der großen Gemälde-Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie vor zwölf Jahren machen konnte. Die Fotografien aber sind die Überraschung. Denn Juli Feininger, die Witwe des 1956 in seiner Heimatstadt New York verstorbenen deutsch-amerikanischen Künstlers, mochte das fotografische Interesse ihres Mannes nicht. Sie wollte den Maler herausgestellt wissen, was verständlich ist. Zwei der drei Feininger-Söhne, Andreas und T. Lux, entwickelten sich Ende der Zwanziger zu bedeutenden Fotografen, in einem Umfeld, das die Fotografie hymnisch als Medium der Gegenwart feierte, während ihr Vater mit Klee und Kandinsky die zunehmend beiseite gedrängte künstlerische Seite des Bauhauses repräsentierte.

Doch schon die beiden im Katalog „Fotografie am Bauhaus“ von 1990 wiedergegebenen Aufnahmen des Dessauer Bauhaus-Gebäudes hätten aufmerksam machen müssen. Der Blick für die Helldunkeleffekte beleuchteter Fenster in nächtlicher Umgebung zeigen eine Sensibilität für die Nachtseiten des Alltags. Im Sonderausstellungsraum am Kulturforum sind jetzt weitere Beispiele dafür zu entdecken. Der Künstler ging spätabends in der damals noch spärlich bebauten Umgebung von Bauhaus und Meisterhäusern auf Motivsuche und fand eisglatte Straßen, von Straßenlaternen erhellte Alleebäume und einsam erleuchtete Fenster.

Diese Aufnahmen unterscheiden sich so sehr von den durchweg optimistisch grundierten Fotografien, die am Bauhaus von Meistern und Studenten en masse gefertigt wurden, dass sie wie aus einer anderen, vor-modernen Ära in das Maschinenzeitalter des Dessauer Bauhaus-Betriebs hineinragen. „Dessau hat nach und nach schon ein ganz anderes Gesicht für mich bekommen, seitdem ich so viel herumstreife und verschärft aufpasse, mit dem Apparat“, schrieb Feininger im Herbst 1928.

Der Künstler hegte eine Vorliebe für historische Architektur, die er in den Dörfern Thüringens und in Halle fand, wohin ihn der kommunale Auftrag zu einer repräsentativen Stadtansicht führte. Bis 1931 erwuchsen aus der 1929 begonnenen Arbeit elf Gemälde und 29 Zeichnungen sowie zahlreiche Fotografien, die seinerzeit bei der Präsentation in Halle unter den Tisch fielen. Und das, obwohl Feininger selbst erklärt hatte: „Das Photographieren hat mir das Sehen auf eine neue Art gesteigert, aber ich bin mir klar, daß ich mit noch größerer Concentration als sonst die dadurch gewonnenen Eindrücke umformen muss.“

In der jetzigen Ausstellung bleibt Halle, bedingt durch den Zuschnitt der Lieberman-Sammlung, leider ausgespart. Doch der stark geometrisch-architektonische Zugriff auf seine Motive, der sich bereits kurz vor dem Ersten Weltkrieg etwa mit dem Pastell der Dorfkirche von Umpferstedt zeigt, dominiert die Jahre in Deutschland bis zur Rückkehr in die USA im Juni 1937 – nur wenige Wochen, bevor rund 400 seiner Werke von den Nazis in deutschen Museen als „entartet“ beschlagnahmt wurden und viele für immer verloren gingen. Feininger nutzte die ganze Ausdrucksbreite der Grafik, den spitzen Stift ebenso wie die breitflächige Kohle, die er vor allem auf seiner Frankreichreise 1932 handhabte.

In New York, wohin der Künstler 66-jährig zurückkehrte, kamen erzählerische, ja fantastische Elemente hinzu. Das erstaunt, entsprach doch Manhattan, wo Feininger bis zum Tod lebte, dem bisherigen geometrischen, prismatisch gebrochenen Stil des Künstlers. Nun zeichnete er irrlichternde Figuren, eine „Beschwörung“ unruhiger Geister und gab die Stadt in Kohle und Tusche impressionistisch hingehaucht wieder. „Die Stadt ist ja auch zu ungeheuerlich“, schreibt Feininger 1948 beinahe entschuldigend, „und ich bin nicht dazu aufgelegt, solche an sich schon gigantischen Dinge wiederzugeben.“ Die spätesten Arbeiten sind denn auch lyrische Eindrücke von Anglern am Strand, Segelbooten im Sturm.

Kulturforum, bis 15. Mai; Di - Fr 10 - 18, Do bis 22 Uhr; Sa/So 11 - 18 Uhr. Kataloge „Zeichnungen und Aquarelle“ sowie „Fotografien 1928-1939“ (Hatje Cantz) jeweils 29,80 €.

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