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Malerehepaar. August Sander fotografierte 1925/26 Martha und Otto Dix im Doppelporträt.

© Museum / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Fotografie der 20er und 30er Jahre: Die Grenze zwischen „Sachlichkeit“ und „Propaganda“ lässt sich schwer ziehen

Das Frankfurter Städel Museum präsentiert mit einer spannenden Ausstellung erstmals seine neue Fotografie-Abteilung.

„der fotografie-unkundige wird der analfabet der zukunft sein“, verkündete Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy 1927 mit der zeittypischen Großspurigkeit der Avantgarde. Immerhin war die Fotografie damals bereits 100 Jahre alt und eine etablierte Technik. Und sie war alltäglich geworden durch ihre massenhafte Verbreitung im Druck. Sie durchdrang die gesamte Gesellschaft, unabhängig von Standes- oder Klassenschranken, sie war in der Massenpresse ebenso zuhause wie in teuren Magazinen, in billigen Broschüren wie in sorgfältigen Bucheditionen.

Seit die Fotografie zum Sammlungsgegenstand von Kunstmuseen geworden ist, ist der Zusammenhang zwischen Herstellung und Verwendung weitgehend außer Betracht geraten. Fotografien werden als kostbare Einzelstücke gesammelt, Vintages erzielen Höchstpreise. Dazu hat das Aufkommen der Kunstfotografie beigetragen, die einen wesentlichen Anteil der Kunstproduktion ausmacht und von vorneherein auf den Erwerb durch Sammler und letztlich Museen angelegt ist.

Mit zeitgenössischer Kunstfotografie hat auch das Städel Museum in Frankfurt am Main seine Sammeltätigkeit begonnen, als sich ihr 2008 die Gelegenheit zur Übernahme der Sammlung einer ortsansässigen Großbank bot. Eine Privatsammlung von Kunst des 19. Jahrhunderts kam wenige Jahre später hinzu, die Lücke zwischen beiden Teilen schloss 2011 die Erwerbung einer Kollektion der Berliner Galeristen Rudolf und Annette Kicken.

Seit dem 1. Juni nun bildet die Fotografie eine eigene Abteilung im Städel. Zur Leitung wurde die bereits am Haus tätige Fotohistorikerin Kristina Lemke berufen. Der Titel „Neues Sehen. Die Fotografie der 20er und 30er Jahre“ ihrer ersten Ausstellung verrät nicht mehr, als was einschlägige Publikationen seit Jahren bereithalten.

Tatsächlich aber ist der Blickwinkel ein anderer. Lemke zeigt die kostbaren Einzelbilder im Kontext ihrer damaligen Verwendung in Zeitschriften oder Werbebroschüren. Dazu sind neben den gerahmtem Abzügen zahlreiche Publikationen von damals in Vitrinen zu sehen.

Die Kameratechnik spielt eine enorm wichtige Rolle

In sieben Kapiteln fächert die Ausstellung das Material der hauseigenen Sammlung auf, ergänzt um Leihgaben. Eine gewichtige Rolle in der Entwicklung der Bildsprache spielt die Kameratechnik; wissenschaftliche Fotografien nehmen den Faden auf, den etwa Karl Blossfeldt mit seinen Pflanzenfotografien früh gelegt hatte. Carl Strüwe etwa macht um 1930 Pflanzenpollen in tausendfacher Vergrößerung sichtbar.

Das „neue sehen“ setzte sich durch. Der vermeintliche Bruch 1933 verschwindet nahezu völlig im Bereich der Industrie- und Werbefotografie. Isolierung und starke Vergrößerung des Objekts, scharfe Kontraste von Hell und Dunkel, diagonale Perspektiven waren Allgemeingut geworden. Firmen der unterschiedlichsten Sparten stellten ihre technische Modernität mit bebilderten Festschriften heraus, in denen die Schönheit der Maschine gefeiert wird. Neben Renger-Patzsch lieferten Fotografen wie Hein Gorny oder Adolf Lazi die Vorlagen. Die Modefotografie, für die die später im Holocaust ermordete Yva ab 1925 in Berlin Maßstäbe gesetzt hatte, blieb als vermeintlich unpolitisch unverändert.

Eine Entdeckung: Karl Theodor Gremmler und sein Buch „Arbeit!“

Umgekehrt wurde die Betonung der Arbeitsvorgänge zur Angelegenheit der Propaganda; Paul Wolff lieferte mit seinem 1937 erschienenen Buch „Arbeit!“ das beste Beispiel. Eine Entdeckung ist Karl Theodor Gremmler, von dem das Städel einen größeren Bestand erwerben konnte und nun entsprechend herausstellt.

[Frankfurt/M., Städel Museum, bis 24. Oktober. Katalog 39,90 €.]

Sein 1939 erschienenes Buch „Männer am Netz“ hat ein vordergründig propagandistisches Thema – die Arbeit der Hochseefischerei –, ist aber in Bildsprache und Typografie so „modern“, also neusachlich, dass die Veröffentlichung zu einem so späten Zeitpunkt nur verwundern kann.

Die Grenze zwischen „Sachlichkeit“ und „Propaganda“ ist schwer zu ziehen, lehrt die Frankfurter Ausstellung. Es gilt, was Kurt Tucholsky schon 1926 über das „Tendenzbild“ schrieb: „Von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, schießt in die Herzen und sagt wenn’s gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit und immer nur eine.“ Erschienen ist sein Text in der Zeitschrift „Uhu“, einer der vielen, die die Fotografie in der Weimarer Republik populär machten.

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