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„Unter dem Poseidontempel“ am Kap Sounion. Das Foto entstand 1937.

© Herbert List Estate/Magnum Photos/Agentur Focus

Fotograf Herbert List: Nur wer die Sehnsucht kennt

Er hat das Bild der Deutschen von Südeuropa geprägt: Das Bucerius Kunstforum Hamburg feiert den Fotografen Herbert List, einen Meister des Schwarz-Weiß.

Deutschland, vielleicht mehr als andere Länder, hat seine Sehnsuchtsziele in weiter Ferne. Seit dem späten 19. Jahrhundert brachte die Fotografie diese Länder näher. Als 1953 der Bildband „Hellas“ des Fotografen Herbert List erschien, lag Griechenland noch außerhalb alltäglicher Reisemöglichkeiten. Vielleicht deshalb haben sich ein paar Bilder von List eingeprägt und sind Chiffren geworden für Griechenland: die Silhouette des gereckten Löwen aus archaischer Zeit, die einzelne Karyatide von der Athener Akropolis, das Goldfischglas auf der Insel Santorin und, vielleicht am stärksten, die Karaffe mit Weingläsern, in denen sich die Strahlen der Sonne brechen, während im Hintergrund unscharf eine Tempelruine auszumachen ist.

„Taverne unter dem Poseidontempel, Sounion“ ist diese Fotografie von 1952 betitelt, die jüngste unter den Griechenland-Bildern; die anderen sind 16 Jahre zuvor entstanden, unter gänzlich anderen Bedingungen. Herbert List, geboren 1903 in Hamburg, war als Fotograf Autodidakt und hat in seinem Leben viel Glück gehabt; das Glück beispielsweise, trotz eines jüdischen Großelternteils und kaum versteckter Homosexualität inmitten des NS-Staates der Fotografie mit offiziellen Aufträgen nachgegangen zu sein. 1942 besucht er Arno Breker in seinem Berliner Atelier, 1943 fotografierte er das von der Wehrmacht zerstörte Kiew. Erst Mitte 1944 wird List eingezogen, kommt aber im ruhigen Norwegen ohne Fronteinsatz davon.

Der kollektive Traum von Griechenland

So bleibt die Nazi-Zeit ein Schemen über Leben und Werk Herbert Lists, während der Ertrag zweier langer Griechenlandaufenthalte in den Jahren 1937 und 1938 den Höhepunkt seines Schaffens bezeichnen. Und List hat es vermocht, diesem Traum adäquaten fotografischen Ausdruck zu geben. Die erwähnten Bilder sind im Gedächtnis haften geblieben, weil sie dem kollektiven Traum von Griechenland Gestalt gegeben haben, als Bilder einer Wirklichkeit, die mit ihrem Traumbild zur Deckung kam.

Im Hamburger Bucerius Kunstforum ist jetzt eine Retrospektive mit 243 Fotografien zu sehen, die das Lebenswerk in allen Facetten vorstellt. Es zeigt sich, dass List keiner fotografischen Richtung des 20. Jahrhunderts allein zuzuordnen ist. Über persönliche Bekanntschaften, früh zu Andreas Feininger, später zu George Hoyningen-Huene, und über Aufenthalte in Paris und London nahm List Anregungen auf.

1953 kam sein "Hellas"-Bildband auf den Markt

Doch obgleich er während der Nazi-Zeit seinen Lebensunterhalt als Berufsfotograf verdiente – das elterliche Kaffehandelgeschäft hatte er nach sorglos verbrachten Jahren der Weimarer Republik abgegeben –, war er um Anpassung an Auftraggeber offenbar nicht bemüht. Den Plan des Griechenland-Buches trug er jahrelang mit sich herum, erst 1953 kam die Veröffentlichung zustande. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich List bereits ein neues Tätigkeitsfeld und, wichtiger noch, ein neues fotografisches Sehen erschlossen, in Gestalt von Reportagen, von Human-touch-Erzählungen insbesondere aus Italien, aus Rom oder Neapel (die Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunstforum läuft bis zum 11. September. Katalog bei Hirmer, 29,90 €. www.buceriuskunstforum.de).

Goldfischglas, fotografiert auf der Insel Santorin 1937.
Goldfischglas, fotografiert auf der Insel Santorin 1937.

© Herbert List Estate/Magnum Photos/Agentur Focus

Bis zu seiner Reportage-Tätigkeit arbeitete er langsam und äußerst geduldig, auf den Moment wartend, an dem die Sonne im richtigen Winkel zur Wasseroberfläche stand oder im Glas sich brach. Zudem experimentierte er mit Inszenierungen, in denen er sich dem Surrealismus annäherte; mit Überblendungen und rätselhaftem Inventar wie den von den Malerkollegen geschätzten Gliederpuppen.

Doch diese Bilder suchen angestrengt das, was ihm bei der Beobachtung der Realität mühelos gelang, nämlich das Potenzial an Traum und Irritation freizulegen, das in den Dingen schon enthalten ist. „Das magische Auge“, ist die Hamburger Ausstellung treffend überschrieben. Später hat List Künstler portraitiert, darunter die, denen er sich besonders verbunden fühlte, wie Giorgio de Chirico oder den Metaphysiker Giorgio Morandi.

Und dann war alles gesagt

Mitte der 1960er Jahre fotografierte er die Kulturelite der DDR auf unheroische Weise. List arbeitete zeitlebens in Schwarz-Weiß, nur als Experiment hat er sich an Farbe gewagt. In den Graustufen wie in den Kontrasten der List'schen Schwarz-Weiß-Fotos ist alles an Aussage erkennen und mehr, als Farbe in diesen Kompositionen anrichten würde.

Portraits und männliche Aktstudien nehmen einen Gutteil des Œuvres ein. „Die Bilder der jungen Männer und die Fragmente der Antike“, heißt es im vorzüglichen Katalog, „sind mit einem Sehnsuchtspotenzial ausgestattet, das sich auf das Ideal einer Gesellschaft, in der Homosexualität akzeptiert ist, bezieht.“ Man kann wohl sagen, dass List dieses Ideal vorweggenommen hat. Auch darum wurde ihm das antike Griechenland zum verlorenen Paradies. Ihm hat er zeitlosen Ausdruck als Sehnsuchtsland gegeben. In seinen letzten Lebensjahren – er starb 1975 – gab List die Fotografie auf. Er hatte alles gesagt.

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