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Pompös. Blick in den 1888 im Stil des Historismus ausgestatteten Saal der Alten Philharmonie.

© Digitale Rekonstruktion: Michael Tillmann/Stiftung Berliner Philharmoniker

Fotoausstellung zur Alten Philharmonie in Berlin: Schmuck in Stuck

Aus dem Stadtbild ist sie vollständig getilgt: die Alte Philharmonie. Jetzt erinnert eine Ausstellung an den legendären Ort.

Von der ursprünglichen Bebauung der Bernburger Straße sind heute nur noch vier Gebäude zu sehen. Die 1861 eingeweihte, 1945 zerstörte und Anfang der 50er Jahre wieder aufgebaute St. Lukas Kirche, das Eckhaus zum Askanischen Platz neben dem Tagesspiegel, die schmale Nummer 29 sowie ein repräsentatives Stadtpalais, in dem die Berliner Technische Kunsthochschule residiert. Direkt daneben befand sich einst der Eingang zur Philharmonie, doch an der Fassade des 80er-Jahre-Neubaus sucht man vergebens nach einer Tafel, die an den bedeutenden Musentempel erinnern würde.

Dass rechterhand, in einer Baulücke zwischen schmucklosen Mehrstöckern, ein symbolischer Torbogen die Wirkungsstätte von Dirigentenstars wie Hans von Bülow, Arthur Nikisch oder Wilhelm Furtwängler markieren soll, erschließt sich dem Passanten nicht. Nur wer – entgegen der Warnung „Privatgelände. Betreten verboten“ – weiter vordringt, findet zwischen den Müllcontainern der Apartmentanlage auf einer Bodenplatte die erklärenden Worte „Dieser Weg führt zum Ort der Alten Philharmonie 1882 - 1944“.

Hans Scharouns genialer Wurf, nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt, hat den Verlust der ersten Heimat des berühmtesten Berliner Orchesters zwar 1964 geheilt – die vollständige Tilgung des legendären Gebäudes aus dem Stadtbild scheint aber doch recht geschichtsvergessen. Um so verdienstvoller ist die Ausstellung mit historischen Fotos aus dem Stammhaus, die Oliver Hilmes, Kurator für Sonderprojekte bei den Berliner Philharmonikern, jetzt für das Foyer des Scharoun-Baus konzipiert hat.

Beflügelt vom Alles-ist-möglich-Geist der Gründerzeit

Begonnen hat alles als Start-up in der kaiserlichen Boom-Metropole. Beflügelt vom Alles-Ist-Möglich-Geist der Gründerzeit errichtete die britische „Skating- Rink AG“ 1876 eine Rollschuhbahn auf der Parzelle Bernburger Straße 22a/23. Doch die Mode, auf Rädern übers Parkett zu gleiten, vermochte sich als Trendsportart nicht durchzusetzen. Und so kam der Saal-Betreiber Ludovico Sacerdoti auf die Idee, die Halle auch für Konzerte zu vermieten. Der Zufall wollte es, dass ein junger Konzertagent namens Hermann Wolff gerade nach Auftrittsorten für ein Berlin-Gastspiel der damals berühmten Meininger Hofkapelle suchte. Die Herren kamen ins Geschäft – und als Wolff kurz darauf auch das Management der im Mai 1882 gegründeten Berliner Philharmoniker übernahm, entwickelte sich die Adresse zu einem Hotspot des hauptstädtischen Musiklebens.

1888 lässt Sacerdoti das Provisorium vom Architekten des Anhalter Bahnhofs, Franz Schwechten, zu einem genuinen Konzertsaal ausbauen. Der Zierrat aus allerlei Kunstepochen, mit dem Decke und Wände nach dem Gusto des Historismus zugepflastert werden, sorgt dafür, dass sich die Schallwellen der Instrumente vielfach brechen können, bevor sie das Hörerohr erreichen. Die satte, festliche Akustik des Saales wird allenthalben gelobt, der Sitzkomfort weniger. In der Ausstellung ist das einzige Exemplar der Bestuhlung zu bestaunen, das den Krieg überstanden hat: Polster gibt es weder am Rücken noch dort, wo sich der Konzertgänger niederlässt. Um den Raum leichter für Bälle freiräumen zu können, hatte sich Sacerdoti nämlich für 1614 frei stehende Holzstühle entschieden.

Denn einmieten konnte sich in der alten Philharmonie jeder, der genug Geld mitbrachte: In der Ausstellung ist ebenso die Fotografie eines Trinkgelages aus Anlass des Bismarck-Geburtstags zu sehen wie die eines „Gesindeballs“. Im Juli 1932 veranstaltete die „Antifaschistische Aktion“ hier einen Kongress, im Oktober desselben Jahres hielt Albert Einstein seine Abschiedsvorlesung im Großen Saal. Die Philharmonie war aber auch Austragungsort des „Stenografentags“ oder des „Reichswettkochens“.

Der Beethoven-Saal fasste 1000 Menschen

1898 hatte Sacerdoti das rückwärtig angrenzende, bis zur Köthener Straße reichende Grundstück hinzukaufen können: Mit dem 1000 Personen fassenden, Mahagoni-getäfelten Beethoven-Saal und dem 13 Meter hohen Oberlicht-Saal, der für Empfänge oder private Feiern vermietet oder als zusätzliche Pausenhalle genutzt wurde, wuchs die Philharmonie zum veritablen Kulturkomplex. Der so gut gebucht war, dass 1930 beispielsweise die Uraufführung von Hanns Eislers Agitprop-Oratorium „Die Maßnahme“ erst um Mitternacht stattfinden konnte, nach einem Klavierabend des Pianisten Stephan Bergmann.

Dass Oliver Hilmes die Menschen in den Mittelpunkt stellt, die hier ein und aus gingen, macht den Charme der fotografischen Retrospektive aus. Ganz in sein Spiel versunken hat Erich Salomon den Cellisten Pablo Casals abgelichtet, man sieht den Philharmoniker-Intendanten Gerhart von Westermann im Gespräch mit Chefdirigent Wilhelm Furtwängler im Künstlerzimmer – wobei dem Maestro sein eigenes Konterfei von der Wand quasi über die Schulter schaut. Andere Bilder zeigen die Angestellten aus dem Backstage-Bereich, vom Kartenverkäufer, der von Kunden umlagert wird, über Tontechniker im hauseigenen Aufnahmestudio bis hin zur Telefonistin, die einen Papagei in ihrem Kabuff hält.

Geradezu wehmütig werden kann der zeitgenössische Klassikfan beim Blick auf die Speisekarte des einstigen Philharmonie-Restaurants: Nicht nur Bouillon in Tassen wurde da serviert, sondern auch Kalbs-Kotelett mit Ei oder Italienischer Salat, Gänseweißsauer, Roastbeef und Mayonnaise vom Hummer.

Wenn man sie auch nicht mehr besuchen kann – begehen lässt sich die Alte Philharmonie übrigens heute noch: beim Erklimmen des Teufelsbergs. Denn die 13 000 Kubikmeter Schutt des genau elf Jahre nach Hitlers Machtübernahme zerstörten, 1952 abgetragenen Baus bilden die Basis für den künstlichen Hügel.

Philharmonie, Kulturforum, bis Ende Januar. Der 62-seitige Katalog ist für 9,50 Euro im Philharmonie-Shop erhältlich.

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