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Schwere Kunst. Die aus dem Königreich Benin stammende Reliefplatte zeigt einen König mit zwei Würdenträgern.

© Paul Schimweg

Forschung zu kolonialem Raubgut: Wie umgehen mit den Benin-Bronzen? Dieses Projekt macht es vor

Über Hamburg in alle Welt: Das internationale Forschungsprojekt „Digital Benin“ führt Raubgut aus dem ehemaligen Königspalast zusammen.

Nach der Eröffnung der Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im westlichen Trakt des Humboldt Forums wird nun mit noch mehr Erwartung dem zweiten Teil von Ethnologischem Museums sowie Museum für Asiatische Kunst im Ostflügel entgegengesehen. Darin werden ab Mitte nächsten Jahres auch die legendären Benin-Bronzen präsentiert. An ihnen hatten sich in den letzten Jahren heftige Debatten entzündet.

Wie zeigt man Kunst, die eindeutig aus räuberischem Kontext stammt? Britische Truppen hatten im Februar 1897 den Palast des Königsreichs Benin (heute Edo State, Nigeria) geplündert und zwischen 3000 und 5000 Kunstwerke aus Bronze, Elfenbein und Holz außer Landes gebracht, die heute unter dem Begriff Benin-Bronzen firmieren. Dürfen sie überhaupt noch in deutschen Museen ausgestellt werden, wie die an der Berliner TU lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy provokant fragt?

Während für die Kurator:innen im Humboldt Forum der Countdown läuft, geht auch das Forschungsprojekt „Digital Benin“ 2022 in seine Zielgerade. Zwei Jahre lang haben dann 18 Expert:innen aus Deutschland und Nigeria, Europa und den USA daran gearbeitet, die auf der ganzen Welt zerstreuten Benin-Bronzen digital zusammenzutragen und in einer Website zugänglich zu machen.

Das mit 1,2 Millionen Euro durch die Ernst von Siemens-Stiftung finanzierte Projekt ist ein Meilenstein für den weiteren Umgang mit den Bronzen, ein wichtiger Beitrag auch zur Versachlichung der Diskussion um ihre Restitution. Die Online-Plattform wird am zukünftigen Palastmuseum in Benin-Stadt verankert sein, dort, wohin manches Stück aus europäischen und US-amerikanischen Museen zurückkehren dürfte – und sei es nur als Leihgabe.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kolloquium Provenienzforschung“ des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste stellten nun die IT-Spezialistin und Direktorin des Instituts für digitales Erbe, Anne Luther, sowie der leitende Researcher in Nigeria, Godfrey Akhator-Obogie, den Zwischenstand von „Digital Benin“ vor. Über 2000 Objekte aus rund 120 Museen werden am Ende gelistet sein, eine Sisyphusarbeit, arbeitet doch jedes Museum mit seinem eigenen Erfassungssystem. Anne Luther führte jedoch plastisch vor, wie für die Website ein eigenes digitales Vokabular entwickelt wurde, um die diversen Informationen kompatibel zu halten.

Das nächste Jahr dürfte spannend werden

Noch interessanter war allerdings, was Godfrey Akhator-Obogie ins Kolloquium brachte. Er treibt nicht nur die Digitalisierung bislang ausschließlich auf Karton erfasster Objekte des Nationalmuseums in Lagos voran, sondern betätigt sich auch als Feldforscher in Nigeria. So führte er Videoclips vor, die zeigten, wie bestimmte Objekte noch immer bei Ritualen Anwendung finden, welche Formen und Zeichen sich bei den Holzbildhauern bis heute überliefert haben. Larissa Förster, die beim Zentrum Kulturgutverluste den Fachbereich Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten leitet und zum Kolloquium eingeladen hatte, war jedenfalls „thrilled“. Auch darin besteht auf lange Sicht eine Aufgabe von „Digital Benin“: das kulturelle Erbe lebendig zu halten. Die „Erschließung vorhandener Wissensressourcen“, wie es auf der Website des Hamburger Museums am Rothenbaum (MARKK) heißt, wo das Forschungsprojekt angesiedelt ist, stellt einen wichtigen Baustein dafür dar.

Offensichtlich geschieht hinter den Museumskulissen mehr, als es für das Publikum im Ausstellungsbereich sichtbar wird – zumal nach dem enttäuschenden ersten Auftritt des Berliner Ethnologischen Museums. Da klingt ermutigend, warum MARKK–Direktorin Barbara Plankensteiner ihr Haus als idealen Standort für den Start von „Digital Benin“ ansieht: Der Hamburger Hafen sei eine Schnittstelle für den Transfer zahlreicher Benin-Werke gewesen. Hamburger Handelsagenten und deutsche Abgesandte hätten wesentlich daran mitgewirkt. Das wissenschaftliche Interesse Hamburger Museumsleute wiederum habe den Sammlungswahn in Deutschland geschürt. So deutlich wird die Mitschuld selten formuliert.

Im April hatte die Kulturstaatsministerin zusammen mit den deutschen Mitgliedsmuseen der internationalen „Benin Dialogue Group“ Rückgaben von Benin-Bronzen für 2022 angekündigt. Endlich! Das nächste Jahr dürfte spannend werden – für Benin und deutsche Museen.

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