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Förderpreis für Kunstinitiativen: Küsschen, Kaffee, Kohle

Der Senat hat sieben Kunstinitativen mit einem neuen Förderpreis ausgezeichnet. Eine Bustour zu den Gewinnern.

Alle zeigen sich von ihrer Schokoladenseite, mitunter buchstäblich. Stark kakaohaltige Brownies werden in Prenzlauer Berg zum Kaffee gereicht, selbst gebackene Pizza abends in Kreuzberg. Kulturstaatssekretär André Schmitz verteilt Urkunden und Küsschen. Und statt eines Festakts mit Stehempfang wird eine sechsstündige Busreise zu den sieben Preisträgern angeboten – samt Staatssekretär, Künstlern, Kuratoren, drei Abgeordneten, Mitarbeitern der Kulturverwaltung und Journalisten. Bei Mineralwasser herrscht auch im Bus heitere Stimmung, und tatsächlich gibt es am vergangenen Mittwoch etwas zu feiern.

Erstmals hat der Senat künstlerische Projekträume und -initiativen gefördert, mit einem Preis von siebenmal 30 000 Euro. Die prämierten Kunstinitiativen, meist mit eigenem Veranstaltungsort, wirken seit mindestens zwei Jahren kontinuierlich „interdisziplinär“, „spartenübergreifend“ und „diskursiv“ in Berlin, wie es in der Ausschreibung vom Sommer 2012 hieß, sie erhalten keine Regelförderung und arbeiten „nicht marktorientiert“. Oder, wie einer der Organisatoren der Bustour sagte: „Wir können Künstler auch kritisch befragen, wir müssen sie nicht promoten.“

Für die Auszeichnung hatten sich 93 Kunstinitiativen beworben. Eine dreiköpfige Jury – mit der Künstlerin Tatjana Fell, der Redakteurin Katrin Bettina Müller und Stéphane Bauer vom Kunstraum Kreuzberg – traf im Dezember ihre Wahl. Die Sieger sind Art Laboratory Berlin und Organ Kritischer Kunst aus Wedding, General Public/Disk in Prenzlauer Berg, der Schinkel Pavillon in Mitte, Savvy Contemporary und Berlinerpool aus Neukölln sowie West Germany in Kreuzberg.

Entlang dieser Route bietet sich der Reisegesellschaft ein breites Panorama dessen, was in Berliner Projekträumen vor sich geht. Im Schinkel Pavillon leuchten Keiichi Tanaamis bunte Pop-Art-Plastiken, im Organ Kritischer Kunst präsentiert Lisa Glauer mit Muttermilch getuschte Zeichnungen, die erst zum Vorschein kommen, wenn das Papier heiß gebügelt wird. Und in den Regalen des Künstlerarchivs Berlinerpool warten Dutzende einheitlich gestalteter Pappordner darauf, von Interessierten durchforstet zu werden: Sie stecken voller Kataloge und DVDs von Berliner Künstlern, unter ihnen viele mit türkischen Namen.

Ähnlich disparat präsentierten sich die Gewinner selbst. Dem Duo vom Schinkel Pavillon ist der Mäzen verloren gegangen, das zehnköpfige Kollektiv von General Public dagegen erhält einen Solizuschuss von benachbarten Kreativbüros. Bonaventure Ndikung von Savvy Contemporary erinnert an die Kolonialgeschichte Deutschlands. Heimo Lattner von General Public wiederum spricht aus, was sich viele Bewerber statt des neuen Preises wünschen: eine Strukturförderung, die langfristige Unterstützung mit einem Topf für kurzfristige Vorhaben kombiniert.

Doch der Preis hat einen Vorteil gegenüber einer regulären Förderung: Ohne Abrechnungen einreichen zu müssen, können die Gewinner mit dem Geld machen, was sie wollen – auch Partys feiern oder in den Urlaub fahren. Nichts aber scheint ihnen ferner zu liegen als das. Die 30 000 Euro sollen dazu dienen, das Projekt zu sichern, die nächsten Ausstellungen zu bezahlen oder eine Mieterhöhung zu bedienen. Denn egal, ob das Gebäude einem privaten oder öffentlichen Eigentümer gehört: Die Raumsituation der Projekte ist häufig unsicher. So geht es auf der Fahrt immer wieder auch um die Bedingungen, unter denen Kunst entsteht. Exemplarisch verdeutlicht die Tour damit Potenzial und Risikofaktoren der Berliner Kunstinitiativen.

Die Jury hat eine kluge Wahl getroffen, fachlich stimmig und politisch geschickt. Was auch nötig war, denn der Preis ist erst nach Protesten und einem langwierigen Prozess zustande gekommen. Bereits 2009 hatten sich einige Vertreter von Kunstinitiativen getroffen, um sich nach dem Finanzcrash, als Sponsoring rar wurde, zu unterstützen. Unter dem Motto „Chances of Crisi$“ gründeten sie einen Blog und einen Runden Tisch. Daraus entstand das „Netzwerk freier Berliner Projekträume und -initiativen“, das nun auch die Bustour angeregt hat. Während weitere Künstlerinitiativen wie „Haben und Brauchen“ eine stärker an der Basis orientierte Kulturpolitik forderten, wurde aus dem Runden Tisch ein Jour Fix mit der Kulturverwaltung und daraus schließlich der Preis.

Es ist eine Erfolgsgeschichte. Zumal der neue Preis auch als Modellversuch dient. Alle Bewerber konnten eine Stimme für einen Mitbewerber abgeben, die Jury hat das Votum berücksichtigt. Die Kulturpolitik, sie bewegt sich also. Bereits im April soll die Auszeichnung erneut ausgeschrieben werden. In der Kulturverwaltung hofft man, die Gewinner zur Berlin Art Week im September nennen zu können. Zuvor will André Schmitz die Summe auch für den Haushalt 2014/15 anmelden. Er sei sich sicher, sagt er, dass sie nicht zur Debatte steht.

Noch einen Moment gibt es auf der Reise, der die Stimmung irgendwo zwischen Galalaune und Seminaratmosphäre auf den Punkt bringt: Bei General Public dreht sich das Gespräch darum, dass der Eigentümer das Haus sanieren lassen will und die Raumkosten anschließend steigen werden. „Sie stehen doch in gutem Verhältnis zum Vermieter?“, erkundigt sich André Schmitz bei den Gewinnern. Der Kurator erwidert: Ja, sie hätten ein gutes Verhältnis, sagte er, doch ihrem Vermieter gehöre nun mal das Haus. Die Lacher der Reisegesellschaft hat er mit dieser spitzbübig-salomonischen Antwort auf seiner Seite.

Weitere Informationen unter: www.projektraeume-berlin.net

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