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Thomas Schmit 1965 bei seiner "Aktion ohne Publikum".

© Hanns Sohm

Fluxus-Ausstellungen in Berlin: Als die Kunst aus dem Rahmen trat

Sondermuseen, Ausstellungen und Kolloquien erinnern an die Fluxus-Bewegung. Noch sechs Jahrzehnte nach ihrem Ende inspiriert sie die Kunst.

Fluxus ist keine Richtung, sondern ein Geisteszustand, hat Ben Vautier einmal die Kunstbewegung zu definieren versucht, zu deren Mitbegründern der Franzose gehörte. Fluxus kann Malerei, Skulptur, Musik, Performance sein, am besten alles zugleich. So gilt als Geburtsstunde für Fluxus in Deutschland ein Festival 1962 in Wiesbaden mit 14 Konzerten, bei dem unter anderem George Maciunas, treibende Kraft und Erfinder des Begriffs Fluxus, Emmett Williams, Joseph Beuys, Wolf Vostell, Nam June Paik auftraten.

Wer sich heute mit Fluxus beschäftigt, sieht sich mit Aufführungsfotos in Schwarzweiß, wackeligen Filmen, zertrümmerten Instrumenten, wilden Materialcollagen, Zetteln mit Instruktionen konfrontiert. Die Werke der Neo-Dadaisten, die eigentlich den Ausstieg aus dem festen Rahmen wollten und deshalb ihre Bewegung nach dem lateinischen Wort für Fluss nannten, sind durch den zeitlichen Abstand wieder zur Statik verbannt.

Und trotzdem ist die Kunstbewegung weiterhin virulent. Es gibt höchst populäre Spezialmuseen etwa im französischen Blois (www.fondationdudoute.fr) oder im Potsdamer Kulturquartier Schiffbauergasse (www.fluxus-plus.de), einzelne Protagonisten erhalten Retrospektiven wie gegenwärtig Tomas Schmit mit einer Doppelausstellung im Neuen Berliner Kunstverein und im Kupferstichkabinett (bis 23. 1.). Und im nächsten Jahr soll wieder groß Jubiläum gefeiert werden. Dann kommen die inzwischen hoch betagten Akteure von einst – wie zuletzt 2012 zum 50. Geburtstag – erneut in Wiesbaden zusammen, ein Veteranentreffen.

Dass der Funke auf nachfolgende Künstlergenerationen trotzdem übergesprungen ist, bewies gerade erst ein Symposium zu Tomas Schmit (1943 – 2006) im Hamburger Bahnhof, bei dem auch die Performerin Alexandra Pirici zu den TeilnehmerInnen gehörte.

Durch seine Konzentration auf einfach strukturierte Handlungen, etwa dem kreisförmigen Umfüllen von Flüssigkeit von einer Flasche in die andere, bis alles verdunstet oder verplempert ist, gilt er heute als ein wichtiger Anreger für den Nachwuchs. Der ehemalige Germanistikstudent, der als gerade 20-Jähriger zu Fluxus stieß, hat sich schon früh über die Ökonomie künstlerischer Mittel Gedanken gemacht und ist damit heute wieder aktuell.

Wasser verdunsten lassen

Bei Schmit ging die Fokussierung jedoch so weit, dass er sich zwei Jahre nach dem Fluxus-Urknall in Wiesbaden schon wieder von der Bewegung verabschiedete und seinen Radius auf ein Blatt Papier, die Zeichnung beschränkte. Die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein zeigt seine Anfänge als Fluxuskünstler, das Kupferstichkabinett hat mit 170 Werken eine eindrucksvolle Rückschau seines zeichnerischen Werks zusammengestellt.

Beide Ausstellungen gehören zu den Highlights des Berliner Kunstherbstes, so liebevoll und sorgfältig wie sie gemacht sind, um einen häufig Vergessenen der Fluxusbewegung zu würdigen. Schmits hintergründiger Humor, der sich in seinen Buntstift-Zeichnungen entfaltet, ist für viele eine Entdeckung. „klartext-ästhetik“ nannte er das. Sein Credo: „Eine Linie muss sitzen.“ In seinen Sternenbildern zum Beispiel verbindet er drei, vier, fünf gelbe Punkte vor dunklem Grund und nennt sie einfach „fisch, wurm“ oder „knirps“, wenn das Ergebnis wie ein faltbarer Regenschirm aussieht.

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Schmits stille Kunst ist ein anderes Kaliber als die Kracher in den Fluxus-Museen. Ben Vautier, auf den das Fluxus-Museums in Blois zurückgeht, pflasterte die Front der zum Kulturzentrum umgewandelten, ehemaligen Klosterschule mit über 300 Emailleschildern, auf denen er mit seiner markant geschlungenen Schrift Sinnsprüche verewigt hat („Alles ist Kunst“, „Seid frei“, „Man weiß nie“). Vor der roten Eingangstür leuchtet einladende „entrez“ in Neonschrift.

Das Freisein lernen

Die „Wörterwand“ ist Vautiers größtes Werk im öffentlichen Raum und ein unübersehbares Verweis auf die im Gebäude zusammen mit einer Musikschule residierende „Fondation du Doute“. Neben Vautiers Kollektion gehört auch die des Fluxus-Sammlers Gino di Maggio dazu – über 300 Werke von 50 Künstlern auf 1500 Quadratmetern. Auch in Potsdam gab 2008 ein Privatsammler den Anstoß für die Museumsgründung, der Berliner Investor Heinrich Liman. Ebenso beim Fluxeum in der Nähe von Wiesbaden, das 1986 von dem Unternehmerpaar Ute und Michael Berger gegründet wurde.

Die persönliche Bekanntschaft mit den Künstlern war bei den Sammlern häufig Ausgangspunkt ihrer Leidenschaft für Fluxus. Liman begegnete Vostell in den 1980er Jahren in Berlin. Mit der Kunst erwarben sich die Sammler den Spirit des Anarchischen, partizipierten sie an den zum Teil drastischen Aufarbeitungen der vom Krieg geprägten Generation. Durch das Potsdamer Museum Fluxus+ führt aktuell der Audioguide „Kriegskinder“ zu ausgewählten Werken von Mary Bauermeister, Wolf Vostell oder Joseph Beuys.

Sowohl Blois als auch Potsdam teilen sich als Museumssignet das Porträt von Tonatiuh, dem Sonnengott der Azteken mit ausgestreckter Zunge. Der Entwurf stammt ebenfalls von dem Fluxus-Vordenker George Maciunas als schlagendes Motiv für eine Anti-Kunst, die am Ende allerdings dort landete, wo ihre Erschaffer sie zunächst nie haben wollten: im Museum. Heutige Besucher sind froh darum.

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