zum Hauptinhalt

Flughafen BER: Die Kunst ist fertig

Die Verzögerungen rund um den Berliner Großflughafen sind ein Trauerspiel – aber der Bau hat jetzt schon attraktive Seiten. Sechs Künstler haben die Ausschreibung gewonnen. Einer von ihnen ist der Amerikaner Matt Mullican.

Wie ist wohl ein Künstler, der sich keiner geringeren Aufgabe verschrieben hat, als die Gesamtheit der Welt endlich mal zu ordnen? Der dafür bekannt ist, unter Hypnose Kritzelzeichnungen zu produzieren – das Stück für 1360 Euro – und mit „Glen“ umherzureisen, einem von ihm erfundenen Strichmännchen, über das er in der dritten Person spricht?

Matt Mullican hat all das schon getan. Er ist einer der letzten Künstler, die noch ernsthaft polarisieren: Bei seiner großen Retrospektive im vergangenen Sommer in München waren sich die deutschen Kritiker nicht ganz einig, ob es sich nun um „eine der spannendsten Schauen des Jahres“ handelte oder ob man sich doch eher vorkommen müsse „wie beim Casting für Lars von Triers ,Idioten‘“.

Kunst mit Helm und Warnweste

Künstler Matt Mullican: "Kunst auf Flughäfen darf nicht zu schrill sein."
Künstler Matt Mullican: "Kunst auf Flughäfen darf nicht zu schrill sein."

© promo

Treffen mit Matt Mullican in seiner Wahlheimat Berlin. Es ist ein grauer Montagmorgen Anfang Mai, Mullican trägt eine schwarze Jeans, ein schwarzes Kordsakko und ein freundliches Gesicht. Nur ein Altersfleck verrät, dass er bereits 60 Jahre alt ist. Der US-Amerikaner ist einer der bekanntesten internationalen Künstler, die momentan in Berlin leben und arbeiten. Er nahm an drei Documentas teil, seine Arbeiten wurden im Museum of Modern Art in New York, der Tate in London oder der Berliner Nationalgalerie ausgestellt.

In seinem Werk geht es immer um die Wahrnehmung der Welt und wie man sie darstellt. Vor einem Jahr hat er den Auftrag erhalten, eines der sechs Kunstwerke für den neuen Flughafen Berlin Brandenburg beizusteuern. Matt Mullican möchte uns seine Arbeit zeigen. „Immer noch? Das kann doch nicht sein!“, sagt er, als ihn ein Flughafen-Mitarbeiter darauf hinweist, man müsse Gummistiefel mit Stahlkappen, einen Helm und eine Warnweste tragen. Er sagt es in klarem Amerikanisch.

Abgehoben: Die Kunst auf dem Flughafen BER als Fotogalerie:

Obwohl er bereits seit Jahren in Berlin lebt, spricht er nur „tiny bits“ Deutsch, ein klitzekleines bisschen. Auf dem Areal riecht es verbrannt, Funken sprühen, Staub wirbelt, es wird geschweißt, geschwitzt. Mullicans junger Architekt, der das Projekt umsetzt, will gute Laune verbreiten: Auf Großbaustellen sehe es einen Monat vor der Fertigstellung immer so unfertig aus. Am Tag darauf wird die Eröffnung offiziell abgesagt, inzwischen weiß man, dass die ersten Flugzeuge vom künftigen Willy-Brandt-Airport erst im März 2013 abheben werden. Immerhin: Die Kunst ist fertig. Mullicans Laune hebt sich, als er sein Werk sieht. Er steht mit blauem Helm und orangefarbener Weste vor den zwei Pavillons, die er gestaltet hat. Mullican wirkt jetzt wie ein Bauleiter und nicht wie ein exzentrischer Künstler. Nicht einmal für den Fotografen möchte er den Helm kurz abnehmen, um keinen Ärger mit dem Flughafenpersonal zu riskieren. Matt Mullican, so scheint es, ist ein braver Bürger.

Sternbilder, geologische Querschnitte, Vögel, Fische, Amphibien

Transparente Welt. Matt Mullicans „Untitled“.
Transparente Welt. Matt Mullicans „Untitled“.

© Marion Schmieding und Alexander Obst

Die beiden von ihm gestalteten Glaspavillons umschließen jeweils einen Aufgang vom unterirdischen Bahnhof. Es sind die Aufgänge für diejenigen Besucher, die es nicht eilig haben und etwas Zeit auf der sogenannten Plaza – einer Sonnenterrasse mit Brunnen – verbringen wollen. Auf den ersten Blick sehen Mullicans Pavillons aus wie Museumsshops eines Naturkundemuseums. Die Glasflächen sind übersät mit Sternbildern, geologischen Querschnitten, Vögeln, Fischen, Amphibien, Seiten aus Enzyklopädien, einer Berlin-Landkarte und rätselhaften Symbolen. Verwirrung – was hat das mit dem Flughafen zu tun?

Matt Mullican lacht. Der Effekt sei gewollt. „Sehen Sie, das ist genau das Problem bei Kunst an Flughäfen: Sie altert wahnsinnig schlecht. Kunst an Flughäfen darf nicht zu eindeutig oder schrill sein.“ Daher wollte Mullican auf keinen Fall etwas mit Koffern oder Flugzeugen machen. „Am besten ist an solchen Orten zurückhaltende Kunst, die aber nicht flach sein darf.“ Das beste Flughafen-Kunstwerk, das er kenne, sei Jenny Holzers Installation in Schiphol, Amsterdam. Neben Matt Mullican haben noch vier Künstler und zwei Künstlerinnen die Ausschreibung gewonnen, ein Werk zum Thema „Luft – Land“ für den neuen Berlin-Brandenburger Flughafen beizusteuern.

Der Versuch, Ordnung in die Welt zu bringen

Takehito Koganezawa beleuchtet Stellwände hinter der Sicherheitskontrolle blau und weiß für seine „Open Sky Box“, das Künstlerduo Stoebo lässt in den Ankunftshallen Münzen aus aller Welt in den Boden ein, Olaf Nicolai schlingt eine gigantomanische weiße Perlenkette um eine Fluggastbrücke, die Künstlerin Pae White installierte eine Art fliegenden Teppich aus rotem PVC in der Check-in-Halle und Björn Melhus steuert das virtuelle Kunstwerk „Gate X“ bei. Er zeigt, wie die gezeichneten Figuren aus den Sicherheitsvideos eigentlich wirklich leben.

Melhus’ Pixelkunst ist eine der originelleren Arbeiten. Mullicans Beitrag ist möglicherweise der einzige, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Wer das Gesamtwerk des Amerikaners ein wenig kennt, dem kommen die Zeichen bekannt vor. Im Grunde ist die Fassade der Pavillons eine exakte Kopie seiner aktuellen Arbeiten, die in der Berliner Galerie Klosterfelde zu sehen sind.

Sie sind sein Versuch, Ordnung in die Welt zu bringen. Mullican hat über die Jahre ein komplexes Zeichen- und Farbsystem geschaffen, durch das er Gegenstände und Gedanken ordnet. Grün steht dabei für Objekt, Rot für Subjekt, Blau für die ungerahmte Welt, Gelb für die gerahmte Welt und Schwarz für Sprache.

"Auch im Vorbeihuschen nehmen die Menschen Dinge wahr"

Dazu kommen fünf Symbole. Mullican geht es nicht darum, dass jeder Besucher sich ausführlich mit dieser Idiosynkrasie beschäftigt – aber darum, dass er es könnte. Der Künstler, der seit Jahren mit Hypnose experimentiert, glaubt zudem an die Kraft des Unterbewussten. „Auch im Vorbeihuschen nehmen die Menschen Dinge wahr. Selbst wenn sie nur das Schattenspiel registrieren, das die Sternbilder auf den Boden werfen, ist das okay.“

Bisher war Tegel der Flughafen von Matt Mullican, von seiner Wohnung in Charlottenburg nahm er einfach das Taxi dorthin. Er mag Berlin gerne, sagt er. Es ist eine „kleine Stadt“. Klein? Mullican meint das ernst, in seiner Stimme liegt keinerlei Ironie. „Es ist völlig egal, ob man am Checkpoint Charlie oder irgendwo in Neukölln ist – nie sind mehr als fünf Menschen auf der Straße. In New York ist das ganz anders.“ Auch dort unterhält er ein Atelier. Ursprünglich kam Mullican nach Berlin, weil seine Frau hier einen Job annahm. „Jetzt möchten wir eine Wohnung kaufen“, sagt Mullican. Um hier für immer eine Anlaufstelle zu haben.

Dieser Text ist ein Vorabdruck aus der Zeitschrift „Weltkunst“, die kommenden Mittwoch im „Zeit“-Kunstverlag erscheint.

Zur Startseite