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Der Schriftsteller Siegfried Lenz (1926-2014)

© dpa

"Florian, der Karpfen": Siegfried Lenz und seine Liebe zu den Fischen

Schlau, argwöhnisch, kämpferisch: Aus dem Nachlass von Siegfried Lenz ist jetzt das frühe Märchen „Florian, der Karpfen“ erschienen.

Als Siegfried Lenz sich Anfang der fünfziger Jahre an sein erstes Hörspiel für den Kinderfunk des NWDR in Hamburg setzte, dürfte ihm seine Kindheit im ostpreußischen Lyck und dessen herrlicher See klar vor Augen gestanden haben. „Karlchen wohnte an einem schönen, grünen, schilfbedeckten See“, heißt es in dem Hörspiel „Florian, der Karpfen“, „und er lag oft und lange auf einem Holzsteg und beobachtete die Fische.“

So ähnlich klingt es auch in einer der wenigen autobiografischen Auskünfte, die Lenz von sich gab, in „Ich, zum Beispiel“. Da schreibt er: „Ich wohnte in einem kleinen Haus am Seeufer, und der Lyck-See war für mich die Welt im Spiegel.“

Nachdem das Hörspiel 1953 gesendet worden war, muss Lenz gut zehn Jahre später noch einmal an eine Prosafassung davon verfasst haben, eine bislang unveröffentlichte, die in seinem Nachlass gefunden wurde und jetzt nach dem Roman „Der Überläufer“ als zweites Buch von Lenz posthum erscheint. (Hoffmann u. Campe, Hamburg 2021.80 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 15 €.)

Anders als der Roman ist dies ein kleines Buch. Darin findet sich „ein Märchen und seine Geschichte“, wie es im Untertitel heißt. Tatsächlich wird das Märchen von viel Wissenswertem über Lenz gerahmt, gerade im Zusammenhang mit seiner lebenslangen Begeisterung für die Fische. Die ging so weit, dass er sich in einem See auf seinem Grundstück in Tetenhusen Karpfen und Schleie gewissermaßen als Haustiere hielt.

Lenz hielt auch eine Laudatio auf den Karpfen

Oder er eine Laudatio auf den Karpfen hielt, als dieser 1999 zum „Fisch des Jahrhunderts“ gewählt wurde, von einer internationalen Jury, wie er schreibt, die „aus tausend petrischen Sachverständigen bestand“. Der Karpfen, urteilte Lenz, stelle für jeden Angler eine Herausforderung dar, „mit seiner oft bewiesenen Schläue, mit seinem Argwohn, mit seiner unvermuteten Kampfnatur.“

Mit dem Karpfen Florian in seinem Märchen verhält es sich ein bisschen anders. Florian ist alt, taub und blind, aber ein großartiger Kunstluftblasenbildner, der den kleinen Fischen ihre schönen silbernen Schwimmblasen einbläst. Genau so eine Schwimmblase möchte Lenz’ mutmaßliches kindliches Alter Ego haben, eben jenes Karlchen.

Cover des Lenz-Büchleins "Florian, der Karpfen"
Cover des Lenz-Büchleins "Florian, der Karpfen"

© Hoffmann und Campe Verlag

Seine Sehnsucht, ebenfalls auf dem Grund des Wassers zu schwimmen, sich wie ein Fisch lautlos bewegen zu können, ist so groß, dass er sich eines Tages von vier jungen Haubentauchern über den See ziehen lässt, um die Fische zu fragen, wer sie eigentlich mit diesen schönen Schwimmblasen versorgt. Doch diese schweigen ängstlich: die beiden Hechte Napoleon und Schluckauf, der Krebs Hans von Zwickau, das Brassenmädchen Rosa, die kleinen Barsche. Oder auch Blinkerchen, das Maränchen: „Oh Karlchen, das darfst du mich nicht fragen. Frag mich etwas anderes, frag mich nach allem in der Welt. Nur das nicht, nur das nicht.“

Doch Karlchen setzt das Maränchen so unter Druck, dass es ihn zu Florian führt. Florian wird bewacht und beschützt von einem Neunauge, das alles andere als amüsiert ist über den menschlichen Eindringling. Es bittet ihn zu verschwinden, lässt sich aber von Karlchen mit einem Messer bestechen. Das Messer eigne sich nicht zuletzt sehr gut zur Schönheitspflege, so Karlchen, und schon wird das eitle Neunauge schwach und der Junge bekommt von Florian seine Schwimmblase.

Der Mensch und die Natur

Im Anschluss daran hält Lenz noch einige Kapriolen parat. Diese sollen hier nicht verraten werden, außer dass Karlchen nicht glücklich wird mit seiner viel zu großen Blase. Und dass das eitle Neunauge auch noch einen Spiegel bekommt und ob seiner Hässlichkeit völlig aus dem Häuschen ist. Die Moral dieses Märchens ist, dass die Menschheit in den ihr fremden Biotopen nur Unheil anrichtet, und auch Bestechlichkeit sich nicht lohnt: Die Welt im Spiegel, sie kann beängstigend, brutal sein!

Lenz hat später immer mal wieder für Kinder geschrieben, man denke an seine fünf Suleyken-Geschichten „So war das mit dem Zirkus“. Vielleicht finden sich weitere Texte für Kinder in seinem Nachlass, von „einigen kleineren Texten und Erzählungen, die bislang wahrscheinlich nie gedruckt worden“, ist im Nachwort die Rede. So wie Siegfried Lenz es selbst in einem Interview sagte, da war er 83 Jahre alt: „Wartet ab! Da kommt noch was!“

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