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Schweinepriester. Szene in Johan Kresniks Theaterstück nach Marquis de Sade und Pier Paolo Pasolini.

© Eventpress Hoensch

Fleischerei Volksbühne: Grill des Grauens

Kakofonie im Konsumtempel: Johann Kresniks „Die 120 Tage von Sodom“ zeigt zwar jede Menge nacktes Fleisch, taugt aber trotzdem nicht zum Skandal.

Von Sandra Luzina

„Ein Gespenst geht um in Europa und in der Welt: der Konsumfaschismus.“ Ilse Ritter als abgetakelte Hure trägt in „Die 120 Tage von Sodom“ das abgewandelte Marx-Zitat vor. Die These, in der Johann Kresniks neue Tanztheaterproduktion kulminieren soll. Die sorgte schon im Voraus für ein gewisses Erregungspotenzial, auch wegen der Warnung der Volksbühne: erst ab 18 Jahre. Zwar sind reichlich nackte und kunstblutbeschmierte Körper zu sehen, aber kaum explizite Szenen. Kresniks Bühnenorgie wirkt nicht anstößig, sondern nur abgeschmackt. Zum wahrscheinlich erhofften Skandal reicht es bei Weitem nicht.

Ein Trio infernale hat sich zusammengefunden, um 40 Jahre nach Pasolinis Tod über die Verbindung von Macht, Sexualität und Folter zu reflektieren. Der 75-jährige Bühnenberserker Johann Kresnik, Verfechter eines „choreografischen Theaters“, und der in São Paulo geborene Ismael Ivo haben in den Neunzigern große Erfolge gefeiert mit „Francis Bacon“ und „Othello“ . Auch der Maler Gottfried Helnwein, der für die visuelle Gestaltung verantwortlich ist, hat schon früher mit Kresnik zusammengearbeitet. Die Österreicher sind berüchtigte Skandalheinis – und nicht gerade zimperlich in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel.

Für „Die 120 Tage von Sodom“ hat Gottfried Helnwein einen Konsumtempel entworfen, der stark an den durchgestylten Supermarkt erinnert, in dem Karl Lagerfeld 2014 die neue Chanel-Kollektion vorführen ließ. In den Regalen stehen nicht nur die Produkte der Lebensmittel-Multis, sondern auch Packungen mit „Merkel“, „NSA“, „Goldman Sachs“. Zu einer ohrenbetäubenden Kakofonie bietet ein Verkäufer mit Mikro Kondome feil, während Kresnik auf der Bühne die Puppen tanzen lässt. Blutjunge Girls vervollständigen das lockende Warensortiment im Supermarkt. Sie sind das „Frischfleisch“, nach dem es die Peiniger verlangt. Doch erst mal zappeln die Früchtchen mit aufreizenden Bewegungen zu „Gangnam Style“, dazu zeigen zwei Breakdancer ihre Moves. Kresniks Weltsicht ist überaus schlicht: Die Jungen sind verblödet, die Alten sind versaut.

Doch was als Übermalung von Pasolinis Skandalfilm „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ von 1975 gedacht ist, hinkt und stinkt gewaltig. Kresnik zieht – kaum überraschend – eine Linie von de Sade über den Faschismus bis zu einem heutigen totalitären System, eben dem „Konsumfaschismus“. Das Quartett der perversen Schlächter sind bei ihm ein Politiker (Roland Renner), ein Banker (Enrico Spohn), ein Richter (Helmut Zhuber) und ein Bischof (Hannes Fischer). Ergänzt werden sie von Ismael Ivo als US- General – der Handlanger des Kapitals als Knallcharge natürlich. Beim Anblick ihrer jugendlichen Opfer frohlockt die kapitalistische Schweinebande: „Euch kann man wirklich alles zum Fraß vorwerfen.“

Fiese Banker lassen die Hose runter

Die politische Stoßrichtung ist bei Kresnik gleich klar. In einer synchronen Choreografie führen die Stützen des Systems ihre Hand zum Hosenschlitz. Als Erster lässt der fiese Banker die Hosen runter. Wie die Schauspieler an Plastik-Phalli rubbeln, auf den Scheißthron steigen und dabei noch Christoph Klimkes penetranten Remix aus De-Sade-Pasolini-Textfragmenten aufsagen müssen, ist einfach nur Schmiere. Inka Löwendorf und Ilse Ritter müssen als willfährige Huren einen entblößten Hintern oder eine nackte Brust vorzeigen. Ritter soll zudem in der Maske eines Raben – ein Zitat aus Pasolinis Film „Große Vögel, kleine Vögel“ – den Verführten die Augen öffnen. Doch ihre vernuschelte Kulturkritik stößt auf taube Ohren.

Die Tänzer verkörpern die jugendlichen Opfer, an denen die Clique der Machtmenschen ihre bestialischen Triebe auslebt. Die Erniedrigungsinszenierungen und Gewaltorgien kippen ins Lächerliche. Einem Mann in der Pose des Gekreuzigten werden Innereien entnommen. In Metzger-Manier wird rohes Fleisch zerschnippelt und verfüttert, die Leiber der Tänzer erinnern an Tierkadaver. Besonders eklig: die Grillorgie der Schweinepriester zum Schluss. Das Fazit: Für Vegetarier und Veganer ist diese Inszenierung nicht geeignet.

Bilder von Karl Marx, Che Guevara, Rosa Luxemburg und Pasolini kommen auch noch auf die Bühne und werden von Paramilitärs zerfetzt. Kresnik, früher fest an der Volksbühne, verrührt auf peinigende Weise abgelutschte Brachial-Ästhetik und altlinke Agitation. Kresnik macht Hackfleisch aus Pasolini. Er allein durchschaut den Verblendungszusammenhang. Das ist ärgerlich und anmaßend.

Wieder am 30. 5., 2. und 21.6., 19.30 Uhr

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