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Lisa Brühlmanns Coming-of-Age-Film „Blue My Mind“.

© First Steps

First Steps Award: Wir müssen hier raus

Hexenhorror, Sex und Dämonen: Starker Filmnachwuchs bei den First Steps Awards, die am Montag in Berlin vergeben werden.

Von Andreas Busche

Ein ungeschriebenes Gesetz im deutschen Kino lautet: Der zweite Film ist schwieriger (zu finanzieren) als der erste. Außerdem hält sich seit Jahren hartnäckig ein Gerücht, das auch von Produzenten und Redakteurinnen gerne kolportiert wird, wenn mal wieder die Qualität des deutschen Kinos kritisiert wird: Die an den Filmhochschulen trauen sich ja nichts mehr. Dort werde der Nachwuchs frühzeitig auf TV-Format getrimmt. Ersteres Problem geht auf die Förderstrukturen hierzulande zurück, die – entgegen ihres Namens – weniger auf Talentförderung denn auf schnellen Erfolg ausgerichtet sind.

Dass der Vorwurf des mangelnden Muts an den Filmschulen nicht per se stimmt, beziehungsweise, dass die letzten Jahrgänge in Berlin, Potsdam, München und Hamburg erstaunliche Talente hervorgebracht haben – auf deren zweite Filme wir vermutlich noch lange warten dürfen –, beweist die Nominiertenliste des Nachwuchspreises First Steps Award, der am Montag in Berlin verliehen wird.

Die sechs Kandidaten für den besten abendfüllenden Spielfilm stimmen hoffnungsvoll. Zwar hat man als Fußballfan ja gerade wieder schmerzhaft erfahren müssen, dass gute Nachwuchsarbeit auch kein Garant für Titel ist. Aber der Jahrgang 2018 kann sich wirklich sehen lassen: So divers, neugierig, stilistisch vielseitig, eigensinnig, für Abschlussfilme mitunter auch erstaunlich avanciert könnte das deutsche Kino in Zukunft also aussehen. Wobei man einschränken muss, dass sich unter den sechs Nominierten zwei Schweizerinnen und ein Österreicher befinden.

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Vielleicht trifft es die Bezeichnung „deutschsprachiges Kino“ besser, was allerdings ebenfalls nicht ganz korrekt ist. Denn Lisa Brühlmanns im besten Wortsinn fantastischer Coming-of-Age-Film „Blue My Mind“ wäre ohne Untertitel für das blumige Schwyzerdütsch ihrer jugendlichen Protagonistinnen nur schwer verständlich. Und in Mehmets Akif Büyükatalays „Oray“ wird die meiste Zeit ein Hybrid aus Deutsch und Türkisch gesprochen. Ganz schön kompliziert also, dieser deutsche Nachwuchsfilmpreis 2018. Und das ist auch gut so.

Die hohe Qualität zeigt schon die Tatsache, dass Henrika Kulls „Jibril“, ihre Abschlussarbeit an der Filmuniversität Babelsberg, in diesem Jahr im Panorama der Berlinale lief, während „Sarah spielt einen Werwolf“ von dffb-Absolventin Katharina Wyss seine Premiere in Venedig hatte. Lukas Feigelfelds alpiner Hexenhorror „Hagazussa“ (ebenfalls dffb), noch so ein Film, der mit seinem stilisierten Althochdeutsch von Untertiteln profitiert, hatte sogar einen deutschen Kinostart. „Jibril“ und „Sarah spielt einen Werwolf“ sind dann auch gute Beispiele dafür, dass die Forderung nach mehr weiblichen Akteuren hinter der Kamera nichts mit Übervorteilung zu tun hat – sondern mit der Auffächerung von Perspektiven und Sensibilitäten. Drei der sechs Nominierten sind in diesem Jahr Frauen, sie alle erzählen ihre Geschichten aus einer weiblichen Perspektive: von Frauen, die gegen Konventionen ihrer sozialen Milieus aufbegehren. Das gilt auch für „Hagazussa“, nur dass Feigelfeld seinen Film über ein Bauernmädchen, das im 15. Jahrhundert aus ihrer abergläubischen Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wird, historisch verortet.

Schonungslos subjektive Perspektiven

Die irakischstämmige Maryam, alleinstehende Mutter von drei Kindern, beginnt in Kulls Film eine Affäre mit dem inhaftierten Jibril, doch beide finden in dieser Romanze etwas anderes. Für ihn bedeutet die junge Frau eine Zukunftsperspektive für die Zeit nach der Haft, sie wähnt sich in einer Beziehung und kann gleichzeitig weiter ihre Freiheit genießen. Als Jibril durch ein Vergehen seine Privilegien verliert und damit auch die Aussicht auf eine vorzeitige Entlassung, verkomplizieren sich die Abhängigkeitsverhältnisse. Susana Abdulmajid spielt Maryam mit volatiler Intensität, impulsiv, leidenschaftlich, kompromisslos, verletzlich. Kull fängt die Friktionen dieser ungleichen Beziehung ungefiltert ein.

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Ähnlich ungeschützt werfen Katharine Wyss und Lisa Brühlmann das Publikum in die Gefühlswelt ihrer Protagonistinnen. Sarah wird zwar nicht buchstäblich zum Werwolf, aber sie spürt – wie auch Mia in „Blue My Mind“ – Veränderungen in sich, die sie nicht kontrollieren kann. Die schonungslos subjektive Perspektive auf die fragile Konstitution zweier Teenager macht beide Filme mitunter anstrengend, doch die Mühe lohnt sich. Während sich Schauspielschülerin Sarah in der Welt des Theaters verliert und dabei ihr familiäres Umfeld mit in die Selbstinszenierung ihres jugendlichen Dramas saugt, reagiert Mia auf die ersten körperlichen Veränderungen, die „Blue My Mind“ in die Ecke des Horror-Genres rückt, wie ein typischer Teenager: mit Drogen und Sex. Beide Filme produzieren einen gewaltigen dramatischen Überschuss, wobei der Exzess in „Blue My Mind“ visueller ausfällt. Sarah hingegen steigert sich in ihren Weltschmerz hinein, der sich konsequenterweise in der Katharsis der antiken Tragödie entlädt.

Spiel mit den Konventionen des Horrorfilms

Womit man noch längst nicht auf Tilman Singers „Luz“ vorbereitet ist. Sein Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln ist der herausragende Beitrag dieses Jahrgangs. Der deutsche Regie-Nachwuchs bringt seit Jahren starke Genrefilme hervor, aber die Konventionen des Horrorfilms einerseits zu bedienen und die Sehgewohnheiten dabei so rigoros zu unterlaufen, ist ein kleines Kunststück. Es geht in „Luz“, verkürzt gesagt, um das Re-Enactment eines Verkehrsunfalls – oder eine Dämonenaustreibung. Ganz klar wird das auch im furiosen Finale nicht. Singer wechselt in den knapp 70 Minuten fortlaufend Zeit- und Wahrnehmungsebenen, sein visueller Stil ist slick in einem Retro-Sinn (man denke an Dario Argento), dabei komplett eigenständig. Das haben alle sechs, formal komplett unterschiedlichen Nominierungen für den First Steps Award gemeinsam.

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