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In der Pandemie können die Kinosäle, hier das Astor Grand Cinema in Hannover, nur zu 30 bis 50 Prozent ausgelastet werden.

© Julian Stratenschulte/dpa

Filmverleiher in der Krise: „Die Bedrohung der Kinos ist akut“

Filmverleiher fühlen sich in der Corona-Epidemie von der Politik im Stich gelassen. Ein Gespräch über die ungewisse Zukunft der deutschen Filmbranche.

Von Andreas Busche

Vergangene Woche veröffentlichten 34 Filmverleiher eine Stellungnahme, in der sie vor den Konsequenzen der Corona-Pandemie für das Verleihgeschäft warnten. Hilfspakete für Kinos und Produzenten reichten nicht aus, um die Branche vor dem Kollaps zu bewahren. Im Moment laufen in den Kinos unter Pandemie-Bedingungem überwiegend kleine bis mittelgroße Filme, die Verleiher schreiben Verluste. Leila Hamid (X Filme) und Björn Hoffmann (Pandora) erklären, was sie in dieser Situation von der Politik erwarten.

Frau Hamid, Herr Hoffmann, Sie warnen, dass die Filmbranche als Ganzes erhalten werden muss. Ohne Verleiher gibt es bald keine Filme mehr für die Kinos.
HOFFMANN: Der Gesamtzusammenhang wird bei den Hilfsmaßnahmen zu wenig berücksichtigt. Die Kinos kommen nicht ohne Verleiher aus, die Verleiher nicht ohne die Kinos und wir alle brauchen die Produktionen. Man kann nicht ein Glied der Wertschöpfung isoliert betrachten. Dieses Verständnis fehlt im Moment in der Diskussion. Der Brief war aber auch ein Appell an die Solidarität. Für uns ist es wichtig, dass wir 2021 noch dieselbe Zahl von Kinos haben wie vor Corona. Darum veröffentlichen wir unter diesen kritischen Bedingungen weiter Filme.

Profitieren Arthouse-Verleiher nicht davon, dass die Blockbuster gerade fehlen – auch hinsichtlich der ohnehin reduzierten Kapazitäten in den Kinosälen?
HAMID: Da viele Blockbuster verschoben werden, fehlt den Kinos die große Aufmerksamkeit. Und im Arthouse-Bereich ist die Konkurrenz immer noch relativ hoch. Wir hören von Kinobetreibern, dass sie Besucher wegschicken müssen, weil aufgrund der Mindestabstände die Auslastung der Säle reduziert ist.

HOFFMANN: Wir haben im August „Il Traditore“ von Marco Bellocchio in die Kinos gebracht, der hatte gut 30 000 Besucher. Ohne Corona wären das sicher 15 000 mehr gewesen. Die machen für uns einen Unterschied. Filme zu starten, ist gerade ein Verlustgeschäft.

Leila Hamid, Vorstandsvorsitzende vom X Verleih. Ab Donnerstag läuft der Film "Milla meets Moses" in den Kinos.
Leila Hamid, Vorstandsvorsitzende vom X Verleih. Ab Donnerstag läuft der Film "Milla meets Moses" in den Kinos.

© Thomas Schneider

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Fühlen Sie sich von den großen Verleihern ein Stück weit im Stich gelassen, weil Sie momentan quasi allein dafür verantwortlich sind, dass die Kinos Nachschub bekommen?
HAMID: Die Strategie der US-Studios können wir nicht beeinflussen. Da die Blockbuster momentan fehlen, hätten wir aber eine riesengroße Chance, die Aufmerksamkeit der Kinozuschauer stärker auf das Arthousekino zu lenken. Es gibt ganz viele wunderbare Filme, die jetzt im Oktober starten. Und da würden wir uns als Verleiher, die bereit sind, das finanzielle Risiko einzugehen, mehr Unterstützung wünschen. Das käme am Ende auch den Kinos und den Produzenten zugute.

Sehen die Verleiher ihre Rolle nicht angemessen gewürdigt?
HOFFMANN: Die Verleiher werden etwas stiefmütterlich behandelt, auch weil es außerhalb der Branche nur eine vage Vorstellung davon gibt, was wir eigentlich machen.

HAMID: X Verleih bringt ja nicht nur Filme in die Kinos, wir sind teilweise auch schon in die Produktion involviert. Die Kinos als Kulturort zu erhalten, ist natürlich die Grundlage der Branche. Wichtig sind im Moment aber Anreizmodelle, damit wir unsere Filme überhaupt mit ausreichenden Kampagnenbudgets in die Kinos bringen können. Nur so kann das Geschäftsmodell Kino langfristig funktionieren - es sollte nicht in völlige Abhängigkeit von Fördermitteln geraten.

Die Verleihförderung ist schon lange ein Streitpunkt. Sie kritisieren zum Beispiel, dass nur deutsche Produktionen gefördert werden. Die zweite Kritik zielt darauf ab, dass es sich im Prinzip um eine Projektförderung handelt, die Verleiher also nicht eigenständig über ihre Zuwendungen verfügen können.
HOFFMANN: Ein Kino erhält Förderung unabhängig davon, ob es amerikanische oder deutsche Filme zeigt. Da ist es nicht nachvollziehbar, dass Verleiher nur für deutsche Filme Förderung erhalten, wenn die europäischen Produktionen für den Arthouse-Markt mindestens ebenso wichtig sind. Im Zuge des Hilfspakets „Neustart Kultur“ sind den Verleihern bereits 14 Millionen Euro zusätzlich zugesagt worden. Das ist allerdings nicht mehr als eine „Risikopufferung“. Dass Verleiher weiter Verluste machen, spielt in den Betrachtungen der Förderer – dem BKM, der Filmförderanstalt und den Regionalförderern – keine Rolle.

HAMID: Durch Corona befindet sich die Branche in einer Abwärtsspirale. Unsere Filme erreichen weniger Zuschauer, also werden weniger Filme gestartet, was wiederum bedeutet, dass das Publikum wegbleibt. Wir brauchen schnell einen Ausweg aus dieser Situation. Die Filme, die jetzt im Herbst in den Kinos starten, benötigen Unterstützung.

Björn Hoffmann, Geschäftsführer von Pandora. Aktuell hat der Verleih den Mafiafilm "Il Traditore" in den Kinos.
Björn Hoffmann, Geschäftsführer von Pandora. Aktuell hat der Verleih den Mafiafilm "Il Traditore" in den Kinos.

© Verena Winter

Fordern Sie eine Reform der Verleihförderung?
HOFFMANN: Man hätte die 14 Millionen Euro weitsichtiger anlegen können. Das Geld gibt uns weder Planungssicherheit noch eine Kompensation. Besser wäre es, Anreize zu setzen, um die Kinos wiederzubeleben – indem man das Risiko der Verleiher mindert. Dazu fehlt es aber an effektiven Förderinstrumenten. Unter diesen Umständen ist es unverständlich, am alten Modell der Verleihförderung festzuhalten.

An welche Instrumente denken Sie?
HOFFMANN: Wir denken etwa an eine Referenzmodell, wie es in Frankreich praktiziert wurde. Da hat die staatliche Förderung die Verleiher mit einem Betrag auf jede verkaufte Kinokarte unterstützt. Davon haben besonders die kleinen Filme bis 50 000 Besucher profitiert, aber auch Filme mit über 500 000 Zuschauern. Dieses Modell unterstützt die Filme, die jetzt starten – und nicht erst im nächsten Frühjahr.

HAMID: Es geht dabei nicht darum, dass wir als Verleih gefördert werden, sondern, dass wir bei der reduzierten Anzahl an Zuschauern eine Unterstützung bekommen, die uns überhaupt die wirtschaftliche Chance bietet, Filme im Kino zu starten.

Vor Corona stand für 2021 eine Novellierung des Filmfördergesetzes an. Wird die Verleihförderung bei der Wiederaufnahme der Gespräche Thema sein?
HAMID: Die Bedrohung für die Kinos ist so akut, dass ich nicht über die nächste FFG-Novelle nachdenke.

HOFFMANN: Es wird uns in Gesprächen vermittelt, dass eine Rettung der Kinostrukturen Vorrang vor den Branchenstrukturen hätte. Ich kann mir nicht erklären, warum der Zusammenhang nicht erkannt wird. Ohne Filme gibt es auch keine Kinos.

Wie sehen denn Ihre Pläne für 2021 aus? Es wird ja auch weniger gedreht, und der internationale Filmmarkt stockt.
HOFFMANN: Da wir mit Filmemachern langfristig zusammenarbeiten, sieht es noch ganz gut aus. Im nächsten Jahr kommen die neuen Filme von Christian Schwochow und Andreas Dresen, 2022 von Emily Atef und Hans-Christian Schmid. Aber der Ankauf von internationalen Filmen ist fast zum Erliegen gekommen. Die Verleiher sind vorsichtig geworden.

HAMID: Wir überlegen uns gerade sehr gut, wann wir unsere Filme in die Kinos bringen können. Wenn uns die Unterstützung fehlt, ergibt es für uns wirtschaftlich keinen Sinn.

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