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Der Dokumentarfilm „Les tombeaux sans nom“ setzt den Opfern des Pol-Pot-Regimes ein Denkmal.

© Arsenal

Filmreihe über Regisseur Rithy Panh: Erinnerungen an die Roten Khmer

Mit seinem Film „Das fehlende Bild“ über die Diktatur in Kambodscha wurde Rithy Panh international bekannt. Das Berliner Arsenal-Kino zeigt sein Werk.

„Das fehlende Bild“, so heißt übersetzt Rithy Panhs Film „L’image manquante“, das ist die Erinnerung des kambodschanischen Regisseurs an seine Jugend unter der Roten-Khmer-Diktatur. Panhs Arbeit, dem das Kino Arsenal nun die erste Werkschau in Berlin widmet, ist der Versuch, diesem Bild nachzuspüren. Bis heute arbeitet der Zeitzeuge des „Demokratischen Kampuchea“ der siebziger Jahre an der Bewahrung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seines Heimatlands. 2013 erzählt er in „L’image manquante“ erstmals seine persönliche Geschichte.

Mit der Machtübernahme der Roten Khmer 1975 wurde die Familie des damals Zwölfjährigen als Städter und „Intellektuelle“ (sein Vater war Schullehrer) zu Feinden des Kommunismus erklärt. Wie Millionen andere wurden sie aus der Stadt vertrieben, voneinander getrennt und gezwungen, unter Sklaverei-ähnlichen Bedingungen in den staatlichen Reisfeldern zu arbeiten.

1979 gelingt Pahn die Flucht vor einem Regime, dem mit 1,7 Millionen Toten mehr als ein Fünftel der damaligen Bevölkerung zum Opfer fiel. Er geht zunächst nach Thailand, später nach Frankreich, wo er Regie studiert.

Jahrzehnte später stößt Panh bei der Suche nach Archivmaterial aus der Zeit nur auf Propagandabilder. Sie singen das Hohelied des Kommunismus und widersprechen seinen Erinnerungen. „Es gibt keine Wahrheit, es gibt nur das Kino. Die Revolution, das ist Kino.“ So Panh als Ich-Erzähler in „L’image manquante“. Er stellt fest, dass die Revolution und ihre Errungenschaften fiktive Bewegtbilder sind, deren Hauptdarsteller nicht das Volk, sondern Schreckensherrscher Pol Pot ist.

Die Abhandlung seiner Vergangenheit wird zur Reflexion über die Macht der Bilder. Panh beschließt, eigene Bilder zu schaffen, um im Kino seine Wahrheit zu erzählen. Mit kleinen Tonfiguren rekonstruiert er in mühsamer Handarbeit den Einmarsch der Roten Khmer in Phnom Penh, die Deportation seiner Familie, die harten Lebensbedingungen, die Hungersnot und den Tod des Großteils seiner Verwandtschaft. Die entsprechenden Bilder werden immer wieder dem Propagandamaterial gegenübergestellt. Das fehlende Bild lässt sich nicht auftreiben, deshalb fabriziert Panh es mit seinem Kino und gibt es an das Publikum weiter, als Veräußerlichung seiner Erinnerungen.

Das Arsenal zeigt Panhs neuesten Film

„L’image manquante“, das ist außerdem eine Hommage an die kambodschanische Kinokultur seiner Kindheit, die das kommunistische Regime nicht überlebte. Auch das ist das fehlende Bild: das verbrennende Zelluloid, der Tod des Kinos. Genauso wie die leer geräumten Städte ist es nur eine von vielen Leerstellen der Roten-Khmer-Diktatur, welche Panh an einer Stelle als „Eroberung durch die Leere“ beschreibt.

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Am Freitag wird die Reihe mit „Les tombeaux sans nom“ eröffnet, Panhs neuester Film und die inoffizielle Fortsetzung von „L’image manquante“. Fünf Jahre später begibt sich der Regisseur auf die Suche nach den Überresten seiner verstorbenen Familienmitglieder. Handgefertigte Figuren seiner Verwandten werden bei einem buddhistischen Trauerritual symbolisch beigesetzt.

Dann geht es in die Moor- und Waldlandschaften des ländlichen Kambodschas. Dort interviewt er Zeitzeugen und dokumentiert Rituale, die einerseits der Kontaktaufnahme mit den ruhelosen Seelen seiner verstorbenen Familienmitglieder, andererseits ihrer nachträglichen Bestattung dienen. Die Gebeine seiner Verwandten wird er nicht finden, doch er sei nicht auf der Suche nach Wahrheit, sagt er, sondern nach Zeichen. Die Spuren der Opfer sind allgegenwärtig: Als Panh einen Klumpen getrockneter Erde in seiner Hand zerbröseln lässt, findet er einen menschlichen Zahn.

[„Arbeit an der Erinnerung – Die Filme von Rithy Panh“, Arsenal, bis 23. November]

Die Erfahrungen lassen sich nicht abschütteln

In „L’image manquante“ wird Kino zum Erinnerungsbild, mit „Les tombeaux sans nom“ zum Trauerritual. Nicht alle zehn Filme Rithy Panhs, die bis zum 23. November gezeigt werden, thematisieren explizit die Verbrechen der Roten Khmer. Dennoch bilden sie stets den Hintergrund, vor dem seine Erzählungen entstehen, und informieren seinen kritischen Blick auf die Gegenwart. Am Ende von „L’image manquante“ kommentiert er die heutigen Bedingungen in seinem Heimatland: „Die Armen graben noch immer in der Erde.“

Bei Rithy Panh ist die Arbeit an der Vergangenheit nicht nur ein Weg, Kontinuitäten aufzuzeigen, sondern auch eine Überlegung über die Möglichkeiten der Zukunft. Dafür kämpft das 2006 von ihm mitbegründete Bophana Audiovisual Resource Center in Phnom Penh.

Dominique Ott-Despoix

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