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Filmreigisseurin Céline Sciamma, geboren 1978 bei Paris.

© peripher

Filmregisseurin Céline Sciamma im Interview: „Jung sein, das heißt: sich verweigern“

Regisseurin Céline Sciamma spricht mit Jan Schulz-Ojala über ihren Film "Bande de filles", ihre Kindheit in Cergy-Pontoise, Mädchen und Jungs in der Banlieue - und die Lust auf Erfolg.

Céline Sciamma, Ihr neuer Film spielt in der Pariser Banlieue, und Sie sind selbst dort geboren und aufgewachsen. Wie muss man sich Cergy-Pontoise vorstellen?
Das ist eine Vorstadt 30 Kilometer von Paris, man kommt dort schnell mit der Regionalbahn hin. Die Architekten dieser ville nouvelle hatten den Ort als soziale Utopie entworfen, mit viel Raum für Fußgänger, viel Grün. Meine Familie bewohnte da ein bescheidenes Häuschen. Cergy, das war weder bürgerlich noch hartes Ghetto, sondern eine Mischung.

Wie hat sich das verändert?
Radikalisiert hat sich das erst mit der Zeit. Es gibt dort auch die soziale Misere, aber in einer Mischung. Weiße, Araber, Schwarze leben hier zusammen, immerhin abseits von den üblichen Wohntürmen und Hochhausriegeln.

Banlieue: Ist das überhaupt ein kohärenter Begriff? In Deutschland benutzt man das Wort wie für einen Gürtel, der das kleine Paris einschnürt und erstickt.
Na, wer da wen erstickt, ich weiß nicht. Aber das sind eindeutig zwei Welten. Wobei es große Unterschiede gibt zwischen bourgeoisen, exklusiven Vorstädten wie St. Germain-en-Laye und etwa Grigny. Wenn es eine Einheit gibt, dann ist das der Großraum Paris gegenüber dem Rest des Landes.

Ihre Banlieue-Vision in „Bande de filles“ deutet auf Freundschaft hin, auch auf Gewalt, aber in mäßigem Rahmen. Romantisieren Sie da nicht die Wirklichkeit?
Manche werfen mir genau das Gegenteil vor. Der Bruder der schwarzen Heldin Marieme sei ein gewalttätiger Prototyp, das schüre doch bloß Misstrauen. Aber bloß keine falschen Gleichgewichte, davon halte ich nichts. Mein Film klebt gerade nicht an der Realität, sondern entwirft seine eigene Fiktion. Filmemacher erfinden immer, egal, ob sie nun Tim Burton heißen oder Ken Loach.

Die Art, wie die Figuren miteinander sprechen, klingt auch nicht gerade nach der Umgangssprache der Banlieue.
Die gibt es so einheitlich gar nicht, das ist ein Klischee. Die Leute benutzen sehr verschiedene Sprachniveaus, vom groben Ton bis zum Level à la Staatspräsident. Mein Film will niemanden bedienen, der lässt sich nicht einfach wegordnen.

Sie sagen, Sie wollen kein künstliches Gleichgewicht. Aber wie ist es im MannFrau-Verhältnis? Da gibt es Mariemes Unterwerfung unter den Bruder und ihre scheue Liebesgeschichte mit Ismael.
Abgesehen von Ismael gibt es keine eigentlich männliche Figur im Film. Alle anderen sind bloße Archetypen, ohne Hintergrund, genauso wie die Femme fatale im Film noir, da will man auch nicht wissen, was sie denkt. Sicher ist es ungewöhnlich, die Männer in einem Film derart auf ihre soziale Rolle zu reduzieren. Aber dadurch wird die Person Ismael umso konturierter. Die Zuschauer teilen seine Intimität, sein Begehren.
Für die Mädchen der Bande, auch für die anderen Mädchen im Film könnte man dasselbe sagen. Neben der komplexen Marieme stehen sie auch nur für Archetypen.
Ja, der Filmtitel ist vielleicht ein bisschen irreführend. Es geht um Marieme, um ihre Perspektive in jeder Einstellung. Wir sind gewissermaßen in ihrem Kopf. Die Bandenchefin Lady ist eher eine Performerin, wie die anderen bewegt sie sich immer auf einer Art Bühne. Die Banlieue ist ja auch ein kontrollierter Raum, auch die Häuser, in denen die Mädchen leben. Intim ist nur das Hotelzimmer, und das müssen sie mieten.
Marieme entscheidet sich für die Freiheit – von Ehe und Familie, von Drogen undProstitution. Eine Art Märchen ist das, das ich gerne glauben möchte.
Vorsicht, der Film sagt ja nicht, dass ihr das gelingt. Heute kann die Jugend sich wohl überhaupt nur noch durch Verweigerung definieren, nicht durch das, was sie sich aufbaut. Es gibt kein kollektives Ideal mehr, das ist hart, aber sie hat keine andere Wahl. „Bande de filles“ verstehe ich als modernen Entwicklungsroman. Es geht darum, die eigenen Wünsche zu bejahen, auch die negativen. Marieme ist eine Heldin der Verweigerung.

Wie waren die Drehbedingungen in der Banlieue – eine Chefin am Set und dann auch noch ein Film über Mädchen, nicht über die üblichen Ghetto-Jungs?
Natürlich muss man erst mal sondieren, da kommt man nicht mal eben morgens mit dem ganzen Fuhrpark an. Luc Besson hatte dort schon mal gedreht, mit Riesenteam, viel Krach, Rauchbomben und so weiter, da waren die Bewohner eher traumatisiert. Also waren wir lange vor dem Dreh dort, haben unser Projekt präsentiert und Leute als Helfer am Set angeheuert. Es gab dann keinerlei Probleme.

An der Kinokasse hat „Bande de filles“ etwas weniger als Ihr Vorgängerfilm „Tomboy“ eingespielt …
… nein, das liegt auf demselben Niveau, 300000 Besucher.

Und, zufrieden?
Ich hätte mir etwas mehr gewünscht. Andererseits, wenn ein Autorenfilm heute 300 000 Zuschauer macht, dann gilt das als Erfolg. Vor fünf Jahren allerdings lag dafür die Latte noch bei 500 000. Was für mich aber am meisten zählt, ist, dass die jungen Leute reingingen, von denen im Film die Rede ist. Die Multiplexe auch in den Banlieues waren voll. Und auch sonst trafen sich in den Kinos Leute, die sich sonst so dort nie begegnen, die Cinephilen und die Jugendlichen.

Sie haben jetzt drei Filme über Kindheit und Jugend gedreht. Sind Sie mit dem Thema jetzt erst mal durch?
Ich denke über Verschiedenes nach. Auf jeden Fall will ich mit professionellen, auch älteren Schauspielern drehen. Etwas nicht Zeitgenössisches, vielleicht einen Horrorfilm. Ich hab wirklich Lust auf einen Film, der Angst macht.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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