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Ein Highlight des FORUM: "L'enlèvement de Michel Houellebecq"

© Berlinale

Filmkritik: "L'enlèvement de Michel Houellebecq": Houellebecq ist nicht zu fassen

In „L’enlèvement de Michel Houellebecq“ wird der französische Starautor entführt. Was ist passiert? War es Al Qaida? Mysteriös, dass nun auch der echte Houellebecq auf der Berlinale verschwunden ist...

Und wer ist nicht da zum verabredeten Zeitpunkt? Michel Houellebecq natürlich. Er taucht gar nicht erst auf im sechsten Stock des Filmhauses wie versprochen. Schon klar, dass diese Abwesenheit so kurz vor der Filmpremiere am Abend, die von seiner fiktiven Entführung handelt, ein schlüssiges, selbstreferenzielles Binnenkunstwerk ist – aber man hätte jetzt schon gerne mit ihm gesprochen.
Man kann Houellebecqs Leben als eine Perfektionierung der Techniken des Verschwindens betrachten, antiproportional zu seinem Ruhm als Autor: Er lebte in Irland und Spanien, hält Interviews für Belästigung, beantwortet E-Mails und Telefonanrufe nur sporadisch, und Journalisten fürchten, wenn er doch einmal da ist, seine berühmten Schweigeinterviews, in denen es ihm gelingt, sogar bei körperlicher Anwesenheit abwesend zu sein. Sein Gegenüber sieht dann nur noch die fliehende Stirn.
In Belgien und Holland sollte er im September 2011 aus seinem gefeierten Roman „Karte und Gebiet“ vorlesen, doch dann verschwand er plötzlich von der Landkarte. Oder jedenfalls vom Radar des Kulturbetriebs. Während der Woche seiner Abwesenheit wurde weltweit über eine Entführung gemutmaßt, sogar Al Qaida wurde verdächtigt. Dieses nie erklärte Verschwinden ist zur Grundannahme eines Films geworden, in dem Houellebecq sich selbst als Entführungsopfer spielt.
Und zu sehen ist ein Wunder. Nicht nur, weil er 92 Minuten am Stück anwesend ist. „L’enlèvement de Michel Houellebecq“ wirkt, als würde sich eine ziemlich bittere, extrem konzentrierte, in dieser Form jedenfalls ungenießbare Pille im neuen Medium Film sprudelnd auflösen. Jede Thesen-Blase kann man einzeln beim Aufsteigen und Zerplatzen beobachten. Das hat eine eigene Schönheit und einen prickelnd-belebenden Effekt. Diese Gelöstheit! Öffentliche Präsenz mit Einverständnis des Autors! Humor!
Nicht, dass er irgendwie anders wäre als sonst: Er grummelt, schweigt, fordert, beleidigt und das alles unter extremer, äußerlicher Vernachlässigung. Alle Welt schließt aus diesem Anblick, Houellebecq sei geschlagen mit sich selbst, nicht talentiert zum Glück. Aber hier sehen wir auch sein Vergnügen daran, eben genau so zu sein, wie er ist. Hier ist der Berufs-Verächter, bei etwas ertappt, das ihm Freude macht! Wenn einer nicht nur beim Ekel beobachtet wird, sondern bei der Lust am Ekel, dann ist das am Ende wohl doch eine positive Empfindung.

Ein Glück: Im Film bekommt Houellebecq selbst in Geiselhaft seine Prostituierten

Sein Parka: Legende. Seine Hosen sind zu kurz, seine Altmänner-Haare störrisch, und während des Abendessens bleibt ihm auch noch das Essen in den Wimpern hängen. Das reiht sich natürlich recht nahtlos ein in die französische Tradition männlicher, gnomhafter Scheusale, deren genialische Züge in ein geradezu erotisches Spannungsverhältnis zu ihrem zweifelhaften Sozialverhalten gestellt werden. Vermutlich war der Erfolg eines Gainsbourg nur denkbar durch den sagenhaften Erfolg des kleinen Napoleon, und erlaubte schließlich eine – anderen Nationen schwer zu erklärende – Beziehung von Carla Bruni zu Sarkozy. Aber das führt jetzt weg. Houellebecq jedenfalls bekommt von seinen Entführern Kampftechniken gezeigt und verknotet sich dafür in erotischen Posen auf dem Teppich. Man hat auch eine Prostituierte für ihn. Er sitzt in Handschellen auf einem Bett vor einer Glanztapete und beantwortet seinen Entführern literarische Fragen. Denn das ist ja das Unglück seines Lebens: Houellebecq ist Gefangener von beschränkten Fragestellern. Angekettet und gegen seinen Willen an fremde Orte gebracht. Entführt aus dem Eigentlichen, dem Schreiben, der Konzentration und der Langeweile. Eine herrliche Metapher für einen, der immer behauptet, nur widerwillig in dem Zirkus gelandet zu sein, in dem er selbst die tollste Nummer ist. Irgendwann sitzt er mit seinen Entführern beim Essen und stellt fest: Sie haben eines gemein: Keiner von ihnen ist Vater. Sein Werk, sagt Houellebecq, entbinde ihn von der Pflicht, diese organische Funktion zu übernehmen. Darauf können sich dann alle einigen. Der eine wird halt mit Literatur ein Weltstar, der andere im Bodybuilding.

Am Nachmittag erscheint er dann doch: Umgeben von einer Wolke Tabakrauch, der erkennbar schon länger in seinem Jeanshemd und den zwei Jacken nistet, zückt er doch bloß höflich eine Elektrozigarette, die jedes Mal grün aufleuchtet, wenn er zieht. Grünes Licht für acht Journalisten. Ein Däne will wissen, was er im Film mit jenem Satz über Skandinavien gemeint habe, und ein Pole, was mit jenem Satz über Polen. Der Autor als Gefangener seiner Fragesteller? Er wirkt gar nicht so. Neben ihm auf dem Sofa sitzt Guillaume Nicloux, der Regisseur und eloquente Mann, der man wohl sein muss, um von Houellebecq regelmäßig beim Mittagessen geduldet zu werden. Nicloux wollte den Autor ohne sein „Medienkostüm“ zeigen.
Sparsam aber wohlwollend erzählt Houellebecq, wie er gekitzelt war von diesem Projekt – etwas zu tun, was er noch nie gemacht hat. Auf der Grundlage der fiktiven Entführung einfach zu improvisieren. Er habe sich, sagt er, während des Drehs gefühlt wie hypnotisiert.
8.2., 21.30 Uhr, (Delphi), 9.2., 19.30 Uhr, (Cinemaxx 4), 11.2., 11 Uhr, (Cinestar 8), 16.2., 16.30 Uhr, (CineStar 8)

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