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Meryl Streep bei den Filmfestspielen in Venedig.

© dpa

Filmfestspiele in Venedig: Vom Goldwäscher zum Geldwäscher

Steven Soderberghs "The Laundromat" wurde für Netflix gedreht, auf Leinwänden wird er kaum zu sehen sein. Darf man das noch Kino nennen?

Von Andreas Busche

In der Nebenreihe “Giornate del Autori” kann man in Venedig die Zukunft des Kinos sehen. Die nächste Generation von Filmemachern, die die Sprache der bewegten Bilder neu denkt – oder bestenfalls neu erfindet. Wie unsicher diese Zukunft jedoch ist, verrät schon der Trailer der Sektion, der vor jedem Hauptfilm läuft: Urmenschen starren gebannt auf die Steindisplays ihrer mobilen Endgeräte, rennen sich gegenseitig über den Haufen und kommen schließlich in einer Höhle zusammen, an deren Wänden eine Malerei vorgeführt wird.

“Think Big” lautet das Motto, ein Plädoyer für das Kino als soziales Kulturgut. Doch die Steinzeit-Metapher ist irgendwie auch schräg: Darf man sie schon als sich selbst erfüllende Prophezeiung verstehen?

Diese unterstützenswerte Forderung wird sofort wieder ad absurdum geführt, wenn im Festivalpalast nebenan der neue Film von Steven Soderbergh über die “Panama Papers” mit Beifall (und einigen Pfiffen) bedacht wird. Soderbergh hat “The Laundromat” für Netflix gedreht, er wird nur auf wenigen Kinoleinwänden zu sehen sein. Darf man das also noch “Kino” nennen? Immerhin spielen Meryl Streep, Antonio Banderas, Gary Oldman und Sharon Stone mit.

Über solche Grundsatzfragen redet man sich nicht nur auf dem Lido die Köpfe heiß. Von Soderbergh sollte man allerdings auch keine Antwort erwarten. “The Laundromat” erzählt die Enthüllung des größten Datenleaks aller Zeiten, der der Welt die gewaltigen Unterschiede zwischen den wenigen, die sehr viel besitzen, und den sehr vielen, die kaum etwas haben, aufzeigte, als bemühte Komödie, die man kaum Satire nennen möchte.

Banderas und Oldman führen in der Rolle der Steueranwälte Mossack und Fonseca, die von ihrer Kanzlei in Panama aus Zehntausende von Briefkastenfirmen vertraten, wie ein alles kommentierender griechischer Chor durch den Film. Ein erzählerischer Kniff, der in “The Big Short” noch originell war.

 Einige Exkursionen im Film bleiben rätselhaft ziellos

Adam McKays Finanzsatire ist der Standard, an dem sich auch Soderbergh messen lassen muss. Die globalen Geldflüsse zeichnet “The Laudromat” mit einer lockeren Episodenstrutur nach, die unter anderem Meryl Streep als einsame Rächerin für den Unfalltod ihres Mannes von Upstate New York bis auf die Karibikinsel Nevis führt.

Andere Exkursionen bleiben rätselhaft ziellos, etwa die nach Los Angeles, in der ein afrikanischer Unternehmenspatriarch (Nonso Anozie) seine Tochter und seine Frau mit wertlosen Firmenanteilen für seinen promiskuitiven Lebensstil entschädigt. Oder in China, wo eine reiche Unternehmerin (Rosalind Chao), die von einer Villa an der Riviera träumt, einen französischen Geldwäscher (Matthias Schoenaerts) umbringt.

Soderbergh versteht es eigentlich, solche komplexen Narrative dramaturgisch zu verdichten. Aber “The Laundromat” fehlt sowohl der Witz als auch ein wirkliches  Interesse, die globalen Finanzmärkte mit ihren unübersichtlichen Offshore-Aktivitäten einem Laienpublikum zu erklären. Meryl Streep fungiert als moralisches Gewissen, stellvertretend für die Millionen von Geschädigten, deren mühsam Erspartes sich in den klandestinen Geldflüssen verlor.

Aber auch Streeps Ellen Martin kriegt die Hintermänner nicht zu greifen, das böse Kapital ist ihr immer einen Schritt voraus. Ihr Dilemma ist gewissermaßen das von Soderbergh, der das schnelle Filmen zur neuen Primärtugend erklärt hat. Netflix verspricht Regisseuren künstlerische Freiheiten, aber manchmal wäre mehr Sorgfalt angebracht. Auch zum Wohl des Kinos.

 40 Jahre Weltpolitik in zwei Stunden erfordern Mut zur Lücke

Olivier Assayas steht mit “Wasp Network” vor einem ähnlichen Problem. Er umgeht es geschickt, indem er seinen Thriller um eine Gruppe Exilkubaner, die Anfang der Neunziger in Miami eine von den USA mitfinanzierte Terrorgruppe unterwandern, auf die bloßen Mechanismen des Spionagefilms reduziert. Hier führt der Pragmatiker Assayas Regie – nicht der Stilist, der im vergangenen Jahr mit “Zwischen den Zeilen” um den Goldenen Löwen konkurrierte.

Vierzig Jahre Weltpolitik auf zwei Stunden runterzubrechen, erfordert Mut zur Lücke. Und Assayas ist so unglaublich effizient, dass es fast ein wenig schade um seine Darsteller ist. Mit Édgar Ramirez, seinem Hauptdarsteller aus “Carlos”, Penelope Cruz, Wagner Moura und Gael García Bernal hat er die aktuell größten Weltstars des lateinamerikanischen und hispanischen Kinos versammelt (fehlen nur Antonio Banderas und Javier Bardem). Doch sie sind bloß Figuren in einem geopolitischen Schachspiel, kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.           

So wirkt “Wasp Network” unentschlossen zwischen Familiendrama – Ramirez und Cruz spielen ein kommunistisches Ehepaar, das dem ideologischen Bollwerk standzuhalten versucht – und Verschwörungsthriller. Assayas führt genug Protagonisten für eine Miniserie ein, stellenweise mutet der Film enzyklopädisch an. Man kann das ärgerlich finden oder seine Chuzpe bewundern. Als Komplementärfilm zu “Carlos”, seinem epochalen Thriller über den Terrorboom der Siebziger, hat er Stärken und Schwächen (die Dialoge zum Beispiel). Aber er unterstreicht auch, dass es falsch wäre, die großen Erzählungen dem Serienformat zu überlassen. Die Kunst des Kinos besteht in der Verdichtung. Man darf das eine nicht gegen das andere ausspielen.

"Ema" findet zwischen den Platzhirschen seinen Platz im Rampenlicht

Irrlichternd steht in diesen ersten Venedig-Tagen dagegen Pablo Larraíns “Ema” zwischen den Prestigeproduktionen, die um Aufmerksamkeit heischen. Dass er trotzdem seinen Platz im Rampenlicht bekommt, spricht für den chilenischen Regisseur, der nach seinem Präsidentengatinnendrama “Jackie” die geschmäcklerische Eleganz seiner letzten Filme wieder abgelegt hat. “Ema” beginnt mit dem Bild einer brennenden Ampel an einer nächtlichen Straßenkreuzung: Ein Film mit solch einer Eröffnungseinstellung kann gar nicht schlecht sein. Und er wird noch besser.

Larraín wirft sein Publikum vom ersten Moment an in einen elliptischen Bilderstrom, aus dem sich allmählich die Geschichte seiner Protagonistin, der Tänzerin Ema, erschließt. Mariana Di Girolamo sieht mit ihren blondierten, zurückgegelten Haaren wie ein furioser Punkengel aus. Sie hat ein Faible für Zündeleien; nachts läuft sie mit einem Flammenwerfer durch die Straßen.

Ihr Mann, ein Choreograf (wieder Gael García Bernal), ist unfruchtbar, weswegen die beiden einen Sohn adoptiert haben, der offenbar die Impulsivität seiner neuen Mutter abbekommen hat. Denn Emas Schwester liegt nach einem “Unfall” mit halb verbranntem Gesicht im Krankenhaus, darum muss der Junge in eine neue Pflegefamilie.

Die Handlung von “Ema” nachzuerzählen, ist relativ unergiebig. Spätestens ab dem Punkt, an dem die Personenkonstellationen etabliert sind, übernimmt Di Girolamo mit ihrer Gang von Freundinnen, alles Tänzerinnen, den Film. Hinter der sexuellen Freizügigkeit der jungen Frauen verbirgt sich jedoch keine Agenda, weil Larraín mit  offenen Bildern und einer durchlässigen Montage arbeitet, die dem Bewegungsdrang seiner Protagonistinnen stets nachgeben.

Sein Film gibt sich voll den Begehren Emas hin, die eine kinetische Energie besitzt. Dass sich hinter ihrem erratischem Verhalten eine essentielle Sehnsucht offenbart, ist die brillante Schlusspointe Larraíns. “Ema” geht erzählerische Wagnisse ein, die dem qualitativ bislang guten Wettbewerb eine Kante geben. Man darf hoffen, dass mehr davon folgt, wenn in der zweiten Woche der Hype um die großen US-Produktionen abklingt.

(Die Recherche wurde unterstützt vom Filmvestival Venedig.)

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