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"BIFF Village", das Publikumszentrum des Internationalen Filmfests Busan am Haeundae Beach der Hafen- und Urlaubsstadt.

© AFP

Filmfestival Busan: Im Zeichen der Katastrophe

Auf Asiens wichtigstem Filmfestival im südkoreanischen Busan sorgte vor allem ein Dokumentarfilm über das Fährenunglück vom April für Furore. Ansonsten gilt in Südkoreas und in Chinas Filmbranche: alle Macht dem Genre.

Wenn ein Festivaldirektor auf die Frage, was ihm diesmal besonders wichtig ist, die Sicherheit nennt, steht Schlimmes zu befürchten. Das Gefährlichste aber, was man beim Filmfest Busan bislang erleben konnte, diesem so entspannten, gastfreundlichen Festival in Südkoreas Hafenstadt, war der Taifun letztes Jahr – ohne einen Verletzten. Doch seit der SewolFährenkatastrophe vom April, die 302 Menschen das Leben kostete, die meisten davon Schüler, steht das Land unter Schock. Das schiere Ausmaß an Unfähigkeit, Vertuschung, Behördenversagen und Geldgier hatte kaum jemand für möglich gehalten. Bis zum 1. Oktober hatte das Parlament die Arbeit verweigert, weil sich die Parteien nicht auf die Zusammensetzung einer Untersuchungskommission einigen konnten.

Auch das am 2. Oktober gestartete Filmfest stand im Zeichen der Katastrophe. Busans Bürgermeister hatte die Absetzung einer Sewol-Dokumentation verlangt und mit Subventionskürzung gedroht – die Festivalleitung blieb standhaft. Regisseur Lee Sang-ho, prominenter Journalist und linke Reizfigur, zeigt in „The Truth Shall not Sink with Sewol“ die freiwillige Rettungsaktion eines Tauchunternehmers, der mit seiner Taucherglocke jenen Schülern zu Hilfe kam, die in Luftblasen überlebt hatten. Eine wertvolle Ausrüstung, die weder Marine noch Küstenwache zur Verfügung stand. Trotzdem wurde der Unternehmer von den Behörden sabotiert und behindert, und die Medien zeichneten das Bild eines Wichtigtuers, der die Bergung stört.

Angehörige der Opfer sind im Saal, auch skeptische Zuschauer sind sichtlich mitgenommen und wütend – über die Vorgänge selber wie über die Presse. Joshua Oppenheimer, vielfach ausgezeichneter Dokumentarfilmer („The Look of Silence“), will wissen, warum so viele Journalisten sich wie Stenografen der Regierung verhielten. „Sie sind Interessenvertreter,“ so der Regisseur.

Auch ein Nachhall der Katastrophe: Das Festival verzichtete diesmal auf den Blauen Teppich, auf dem junge Starlets in gewagter Garderobe an ihrer Karriere arbeiten. Busan ist ohnehin weniger auf Glamour aus als auf die Stärkung seiner Rolle als wichtigster Marktplatz für den asiatischen Film. Nirgends bekommt man einen besseren Überblick. Viel diskutiert wird über die zunehmende Kooperation von Südkorea mit China. Südkorea hat in den letzten 20 Jahren die modernste Filmindustrie Asiens aufgebaut, China mit seinem boomenden Markt will davon profitieren. Also schließt man Handelsverträge, die länderübergreifende Koproduktionen fördern. Gut für Südkorea: China hat eine strenge Importquote, Koproduktionen aber gelten als Inlandsware.

Die Sache hat einen Haken. Hongkongs Filmszene büßte auf diese Weise ihre Eigenständigkeit ein. Dass Genre-Regisseure und Autorenfilmer sich an historischen Stoffen oder Komödien versuchen (Johnny To zeigte in Busan seine unterhaltsame, schlichte Komödienfortsetzung „Don’t Go Breaking My Heart 2“), hat mit Chinas Zensur zu tun. Sie verlangt unter anderem: keine Korruption, kein tragisches Ende. In Südkorea aber schätzt man einen ordentlich traurigen Filmschluss. Regie-Star Bong Joon-ho („Snowpiercer“) glaubt nicht, dass die Generation nach ihm noch so frei sein wird wie er selbst.

Momentan jedenfalls geben Filme aus Südkorea und China den Ton an, handwerklich, künstlerisch, kommerziell. Mit Produktionen wie dem grandiosen südkoreanischen Kimchi-Western „Kundo“ oder dem Oscar-Kandidaten „Sea Fog“, einem nachtschwarzen Stück über eine aus dem Ruder laufende Schmuggelaktion. Der Film gehört zur Gattung „IMF Noir“ – IMF steht für den Internationalen Währungsfonds – , die den Überlebenskampf des einfachen Mannes während der asiatischen Wirtschaftskrise 1997 mit Genremitteln in Szene setzt. China zeigte in Busan „Coffin in the Mountain“, eine raffiniert strukturierte Groteske über den Fund einer unbekannten Leiche. Ein Film über das Leben in der Provinz, ähnlich wie der ebenfalls gezeigte Berlinale-Gewinner „Feuerwerk am helllichten Tag“.

Auch eine andere Entwicklung lässt sich in Busan beobachten: der rasante Aufstieg Südostasiens, etwa von Vietnam, diesmal vertreten mit einer gelungenen Dostojewski-Adaption („Gentle“) und dem zwischen Realismus und surrealen Metaphern balancierenden Abtreibungsdrama „Flapping in the Middle of Nowhere“. Der Graben zwischen kommerziellen Filmen fürs eigene Land und (mit internationalem Geld produzierten) Autorenfilmen für westliche Filmfestivals ist allerdings immer noch groß.

Japan, das unter seinem altmodischen Studiosystem und ineffektiver Filmförderung leidet, macht vor allem mit bewährten Bilderstürmern von sich reden, mit Sion Sonos exzessivem, aber überraschend belanglosem Hiphop-Musical „Tokyo Tribe“ und Takashi Miikes blutrünstigem Todesspiel „Over your Dead Body“. In Erinnerung bleiben wird wohl nur Tetsuya Nakashima mit „World of Kanako“: Ein Ex-Polizist sucht seine vermisste Tochter und erfährt dabei mehr, als zu ertragen ist. Erneut gelingt Nakashima eine atemberaubende Verdrehung des populären japanischen Jugendfilms, eine wilde und unmoralische Parabel über das Unverständnis von Eltern für ihre Kinder (und umgekehrt).

So war auch dieses Jahr in Busan zu sehen, wie aufregend das Spiel mit dem Genrefilm sein kann. Gut möglich, dass auch die Fähren-Katastrophe eines Tages so verarbeitet wird. Bis dahin braucht es mutige Dokumentationen, um das Sewol-Desaster aufzuklären. Und mutige Festivaldirektoren, die dem politischen Druck widerstehen.

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