zum Hauptinhalt
Mina (Maryam Moghaddam) muss erleben, was es bedeutet, als Frau im Iran auf sich allein gestellt zu sein.

© Weltkino

Filmdrama über die Todesstrafe im Iran: Es war wohl Gottes Wille

„Ballade von der weißen Kuh“ ist eine nüchterne Kritik an der Todesstrafe im Iran. Maryam Moghaddam führt Regie und spielt die Hauptrolle.

Der Todgeweihte sitzt hinter einer schweren Zellentür. Sie öffnet sich kurz, um seine Frau Mina hereinzulassen. Danach herrscht Stille, nur ihr Schluchzen erfüllt den Gefängnisgang, als die Kamera langsam von der geschlossenen Tür zurückweicht. Es ist der einzige Augenblick, in dem in „Ballade von der weißen Kuh“ der zum Tode verurteilte Babak zu sehen ist. Sein Foto erscheint später nochmal kurz im Bild. Diese Szene gleich zu Beginn ist auch der letzte Moment, in dem Mina ihren Mann sieht. Maryam Moghaddam und ihr Regie-Partner Behtash Sanaeeha lassen die Vollstreckung des Urteils aus, ihnen geht es um die Folgen der Strafe – nicht nur für die Witwe und ihre taubstumme Tochter Bita (Avin Purraoufi).

Der Titel bezieht sich auf eine Sure des Korans. Darin fordert der Prophet Mose die Israeliten auf, eine Kuh zu schlachten, quasi als Sündenbock. Der Film zeigt die weiße Kuh in zwei Traumsequenzen. Sie steht im Gefängnishof, hinter ihr sind entlang der Mauer Häftlinge aufgereiht, gegenüber die trauernden Witwen, alle tragen Schwarz. Ihr Gewisper erfüllt den Hof, es schwillt an, bis Mina aus ihrem Traum aufschreckt. So symbolbeladen dieser Auftakt wirkt, schlägt der Film danach einen ganz anderen Weg ein.

Der Sündenbock, um den es geht, ist Babak. Er wird wegen eines Mordes hingerichtet, den er nicht begangen hat. Ein Justizirrtum, erklärt ein Beamter der Witwe. Sie will eine Entschuldigung, doch bekommt nur zu hören: „Es war wohl Gottes Wille.“ Der Film positioniert sich deutlich gegen die Todesstrafe im Iran – laut Amnesty International das Land mit den meisten staatlich angeordneten Exekutionen weltweit.

Doch er zeigt nicht nur einen kalten, verständnislosen Rechtsstaat, sondern auch, wie unmöglich es für eine alleinerziehende iranische Frau ist, unabhängig zu leben. Maryam Moghaddam schultert nicht nur die Regie, sie spielt auch die Hauptrolle. Angesichts der offenen Kritik ist es kein Wunder, dass „Ballade von der weißen Kuh“ im Iran selbst, wo sich Filmschaffende einer harschen Zensur ausgesetzt sehen, nicht gezeigt werden darf. Er lief dort nur einmal auf einem staatlichen Festival, allerdings in einer stark gekürzten Version.

Moghaddam hat den Film ihrer Mutter gewidmet

Plötzlich tritt ein Fremder in Minas Leben. Reza (Alireza Sanifar) gibt vor, ein alter Bekannter Babaks zu sein. Er begleicht vermeintliche Schulden und verhilft ihr zu einer neuen Wohnung, die sie ohne seine Hilfe nicht bekommen würde. Ein Geschenk des Himmels. Tatsächlich erwächst die Güte Rezas einer fundamentalen Schuld: Er ist der Richter, der das Todesurteil gegen Minas Mann verhängt hat.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

So wuchtig die Geschichte anmutet, die diese „Ballade“ erzählt, ist sie doch zurückhaltend inszeniert. Vieles bleibt angedeutet, etwa das Interesse von Minas Schwager (Pourya Rahimisam), an die Stelle seines verstorbenen Bruders zu treten. Die Hauptfigur ist von Moghaddams Mutter inspiriert, die tatsächlich Mina hieß. Ihr ist der Film gewidmet.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Moghaddam und Sanaeeha verzichten weitgehend auf Filmmusik und Kamerafahrten. Die wenigen Momente, in denen sie sich mal bewegt, wie in der Eingangsszene im Gefängnis, nutzt Kameramann Amin Jafari, um Schlüsselszenen zu akzentuieren. Meist beschränkt er sich auf tableauartige Einstellungen, die in ihrer Statik eine unaufdringliche Schönheit ausstrahlen. Moghaddam und Sanifar spielen entsprechend zurückgenommen. Schatten der Trauer und der Schuld verschleiern ihre Blicke. Man spürt in Moghaddams Spiel, wie bei Mina Zuneigung und die Hoffnung auf ein neues Glück erwachen. Doch schnell ist klar, dass das nicht gut ausgehen kann.

(In den Kinos Delphi Lux, Filmkunst 66, Filmtheater am Friedrichshain, Sputnik)

„Ballade von der weißen Kuh“ hat einen traurigen Grundton, in seine Stille hinein hallt die Wut über die Verhältnisse im Iran. Da ist es schade, dass das Regie-Duo diese Zurückhaltung am Ende aufgibt und die aufdringliche Symbolik (die Traumsequenz mit der Kuh) auf die Handlung ausweitet. Der betont dramatische Schluss will nicht recht passen zum Rest des Films und zum Wesen seiner Hauptfigur. Die Irritation wird noch verstärkt, da Moghaddam und Sanaeeha die Auflösung im nächsten Moment selbst wieder in Frage stellen.

So raubt das Ende der filmischen Anklage einiges an Kraft, auch wenn die Haltung unmissverständlich bleibt. „Todesstrafe ist Menschenrecht“, behauptet ein Kollege Rezas einmal. Was an diesem Rechtsverständnis grundlegend falsch ist, macht die Ballade von Mina, Reza und der weißen Kuh bis in die Beziehungen der Menschen spürbar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false