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David (Vincent Lacoste) mit seiner Nichte Amanda (Isaure Multrier).

© NORD-OUEST FILMS – ARTE FRANCE CINÉMA

Filmdrama „Mein Leben mit Amanda“: Alltag nach der Katastrophe

Wie junge Pariser einen Anschlag verarbeiten: Mikhaël Hers' „Mein Leben mit Amanda“ ist ein paradoxer Sommerfilm über Trauer und Verlust.

Elvis has left the building“, diese berühmte Redewendung, die den Umschlag von verklingender Hoffnung in schmerzliche Gewissheit markiert, beschreibt sehr schön das Thema von „Mein Leben mit Amanda“. Es der Titel eines Buches, nach dessen Bedeutung die siebenjährige Amanda ihre Mutter Sandrine (Ophélia Kolb) fragt.

Sie erklärt Amanda, dass der Satz nach einem Konzert des „King“ im Dezember 1956 die überdrehten Fans beruhigen sollte. Und dann tanzen Mutter und Tochter im sonnendurchfluteten Wohnzimmer der kleinen Pariser Altbauwohnung Rock'n'Roll.

In diesem Moment glaubt man im Film von Mikhaël Hers noch, Orientierung zu finden. Man fühlt sich zu Hause in den Biographien dieser jungen Großstädter, bei denen die nächste Liebe - oder die nächste Krise - nur eine Zigarette oder eine Metrostation entfernt ist.
Auch die Figuren erscheinen vertraut. Sandrines jüngere Bruder David (Vincent Lacoste), ein ehemaliger Beinahe-Tennisprofi und Mitarbeiter beim Grünflächenamt, betreut einige Airbnb-Wohnungen und lässt sich ansonsten treiben. Aktuell in die Arme von Léna, die aus der Provinz nach Paris geflohen ist.

Und Sandrine, eine alleinerziehende Englischlehrerin, die sich nach einer gescheiterten Beziehung wieder hervorwagt: Es gibt einen neuen Mann in ihrem Leben, sie holt den Führerschein nach. Wofür sie einen Führerschein braucht, leuchtet allerdings nicht ganz ein. In „Mein Leben mit Amanda“ wird eigentlich ganze Zeit Fahrrad gefahren. Paris ist, im Kino zumindest eine relativ neue Einsicht, von der Stadt der Flaneure zu einer Stadt der Radler geworden. Spätestens bei diesen langen Fahrten durch die Straßen scheint der Film im Subgenre des „Paris-Sommerfilms" angekommen. Das Leben plätschert dahin, die Gefühle befinden sich im Einklang mit einem Ort, an dem Realität und kulturelle Ikonographie nicht mehr zu trennen sind.

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„Ich habe nie woanders gelebt“ sagt David spät im Film, als er Lena im Périgord besucht. Nach der Katastrophe, einem Terroranschlag, der so beiläufig wie brutal die Zerbrechlichkeit der Normalität vorführt. Unter den Opfern befindet sich auch Sandrine, nun hat David die Verantwortung für seine Nichte.

Das Besondere an „Mein Leben mit Amanda“ ist, dass das Leben nach dem Anschlag einfach weitergeht. Die Routinen zwischen Schule, Wohnung und Straße bleiben gleich, der Rhythmus des Alltags - nur die Tonalität ändert sich. Eine Entfremdung ist spürbar, die Identifikation mit dem Vertrauten löst sich auf. Zwar sind die Wege und Räume dieselben, aber die vom Unglück Getroffenen bewegen sich jetzt wie Zombies durch die Stadt. Untote, die sich darüber definieren, dass andere gestorben sind.

Isaure Multrier beeindruckt in der Hauptrolle

Regisseur Mikhaël Hers verzichtet auf visuelle und dramaturgische Effekthascherei, er bleibt konsequent in der emotionalen Halbnahen - wie auch perspektivisch in den Einstellungen vom Fahrradlenker aus. Er fokussiert die Hauptfiguren, aber mit klarer Distanz. Von dieser Diskretion profitiert insbesondere Amanda, beeindruckend gespielt von Isaure Multrier. Keines dieser unglaublich aufgeweckten Kinderfilmkinder, sondern eher unscheinbar, etwas rundlich, ziemlich blond und sehr umgänglich. Durch den Raum, den der Film ihr lässt, wird sie in ihrem reduzierten Spiel zum Fixpunkt der Geschichte.

„Mein Leben mit Amanda“ ist ein paradoxer Sommerfilm über Trauer und Verlust: den Verlust geliebter Menschen, aber auch den Verlust des Vertrauens in den Lebensraum im wörtlichen Sinne. Die Hintergründe des Anschlags werden nicht weiter thematisiert. Die Straßen und Parks werden bloß für eine sehr lange Zeit nicht mehr dieselben sein. David und Amanda beharren aber trotzig auf der Freiheit, einfach nur auf der Wiese zu sitzen. Darin liegt auch eine Botschaft: zur Heilung gehört es, sich die Stadt von der Angst zurückzuerobern, mehr noch: nicht erst zuzulassen, dass die Angst die Stadt auffrisst.

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