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Der Paradiesvogel Khavn bei der Premiere im Venedig. Der philippinische Regisseur dreht mindestens einen Film pro Jahr.

© Stephan Holl

Film von Alexander Kluge und Khavn de la Cruz: Karaoke im Schweinestall

Für seinen Kinofilm „Happy Lamento“ arbeitet Alexander Kluge mit dem philippinischen Regisseur Khavn de la Cruz zusammen. Ihr Remix aus Essayfilm und Guerillakino ist bewusstseinserweiternd.

Von Andreas Busche

Warum spielt der Typ mit dem Astronautenhelm aus goldener Alufolie auf der Bontempi-Orgel „Kleine Taschenlampe brenn’“? Und wozu braucht er dazu eine Lesebrille? Die Sterne am Firmament kann man ja ohnehin nicht zählen, wie er ganz richtig erklärt. Und was hat dieses bizarre Intermezzo mit dem beinlosen Bettler zu tun, der in den Slums von Manila im Dreck sitzt und in einem irren Monolog „Lang leben die Kinder!“ brüllt – während sich der Kreis eben jener Kinder um ihn herum schließt, bis nur noch Schmatzgeräusche zu hören sind?

Diese Fragen haben alle ihre Berechtigung, sie tragen aber nur bedingt zum Verständnis von „Happy Lamento“ bei, dem ersten Kinofilm Alexander Kluges seit über 20 Jahren. Wobei auch die Sache mit der Autorenschaft komplizierter ist: „Featuring Khavn de la Cruz“ steht in den Anfangscredits, der philippinische Guerillafilmemacher hat in der Ko-Produktion jedoch mehr als nur einen Gastauftritt. Gut die Hälfte von Kluges Film bestehen aus Khavns No-Budget-Freakshow „Alipato – The Very Brief Life of an Ember“, der zweiten Zusammenarbeit der Kölner Produktionsfirma Rapid Eye Movies mit dem Pionier des Digitalkinos. Der kündigt seine inzwischen 47 Lang- and 112 Kurzfilme (glaubt man Wikipedia) gerne mit dem Hinweis „Das ist kein Film von Khavn“ an.

Wer auch immer sich am Ende für „Happy Lamento“ verantwortlich zeichnet, der Film ist ein Geschenk. Ein formal außer Kontrolle geratener Clash aus Kluges collagenhaftem Essaystil, mit denen er seit den Neunzigern in unterschiedlichsten Formaten in den Nachtprogrammen der Privaten herumexperimentiert, und dem wüsten Genremix Khavns, der seine Darsteller meist von der Straße castet, aber auch schon mit Wong Kar-Wais Kameramann Christopher Doyle gedreht hat. Der komische Typ mit dem Aluhelm ist übrigens Helge Schneider: ein alter Schnipsel aus Kluges reichem DCTP-Fundus. Auch der unvergessliche Peter Berling hat als falscher General, der über die Impraktikabilität von Elefanten im Fronteinsatz sinniert, einen Kurzauftritt.

Kluge hat in dem halb so jungen Khavn einen kongenialen Partner gefunden

Der 87-jährige Kluge läuft mit „Happy Lamento“ wieder zu Höchstform auf, er hat in dem halb so jungen Khavn allerdings auch einen kongenialen Partner gefunden. „Khavn ist brillant“, ruft er enthusiastisch ins Telefon. „Als ich zum ersten Mal ,Alipato’ sah, war ich begeistert. Er schneidet seine Filme ähnlich ich wie meine, das verbindet uns. Und unsere Liebe zur Frühzeit des Kinos. Unser nächstes Projekt wird ein Stummfilm über die Oper sein.“ Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Kulturbürger Alexander Kluge und dem Punk-Auteur Khavn de la Cruz: Beide fühlen sich in den verschiedensten Künsten zuhause. „Ich habe erst klassisch Piano gelernt, danach in Punkbands gespielt, mich irgendwann obsessiv mit Poesie beschäftigt“, erzählt Khavn beim Treffen in Berlin, wo er mit Stereo Total im Herbst ein Album für das Label Staatsakt aufgenommen hat. „Als ich dann meinen ersten Experimentalfilm sah, hat das mein Bewusstsein erweitert. Das Kino verschlingt alle anderen Künste: Musik, Literatur, Dichtung. Und es ist einfach schneller.“

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Den Kontakt zu Kluge stellte Rapid- Eye-Gründer Stephan Holl her, dessen Verleihfilme (viel japanisches Exploitationkino) Kluge gelegentlich in seiner Nachtschiene auf Vox gezeigt hat. „Happy Lamento“ ist über eine Entfernung von über zehntausend Kilometern entstanden. „In den Siebzigern“, erzählt Kluge, „haben wir, der wilde Fassbinder, der disziplinierte Edgar Reitz, Schlöndorff und ich zusammen ,Deutschland im Herbst’ gedreht. Solche Kooperationen gibt es heute kaum noch, dabei wird diese Arbeitsweise in unserer globalisierten Welt immer wichtiger.“

Bei der Premiere in Venedig vergangenen Sommer, wo sich die Filmemacher erstmals persönlich trafen, erklärte Kluge, dass er als weißer Filmemacher niemals auf den Philippinen einen Film wie „Alipato“ drehen könne: „Ich käme mir vor wie ein Kolonialist.“ Darum ist Khavn als sein Partner vor Ort so wichtig, um diese Wirklichkeit einzufangen. In „Alipato“ zieht eine groteske Kinderbande, eine Mischung aus „Die kleinen Strolche“ und Tod Brownings „Freaks“, marodierend durch die Shantytowns Manilas. Die frenetischen, dank der lyrisch-schmutzigen Videoästhetik verschlierten Bilder von Khavns langjährigem Kameramann Albert Banzon verleihen den inspirierten Setdesigns – unter anderem eine Karaokebar in einem Schweinestall – eine fiebrige, rabiate Intensität.

Exploitationkino trifft auf Privatobsession

In „Happy Lamento“ treffen diese Exploitationpartikel auf die Privatobsessionen Kluges: immer wieder der Zirkus, insbesondere Elefanten (inklusive einer Szene aus Thomas Edisons Skandalfilm „Electrocuting an Elephant“ von 1903) und einem längeren Gespräch mit dem zigarrepaffenden Heiner Müller über den Mond. Müllers Lieblingssatz aus der Feder des obskuren Nachkriegslyrikers Werner Riegel: „Schön ist der Mond über Polen / einen Genickschuss lang.“

Alexander Kluge mit Khavn de la Cruz.
Alexander Kluge mit Khavn de la Cruz.

© Rapid Eye Movies

So zaubert „Happy Lamento“, dem Zettelkastenprinzip des von Kluge verehrten Niklas Luhmann folgend, eine intellektuelle Volte nach der anderen aus dem Hut, garniert mit Khavns brachialen Manila-Impressionen. Lino Brocka ist ein großes Einfluss obwohl der 1991 verstorbene Begründer des modernen philippinischen Kinos einen eher sozialrealistischen Stil pflegte. Khavns Rockband aus den nuller Jahren, in der auch Lav Diaz mitspielte, hieß The Brockas. „Mein anderer großer Einfluss ist Manila selbst. Die Stadt besteht aus 13 kleinen Städten, das ganze Spektrum von arm bis reich.“

In der Zwischenzeit haben Kluge und Khavn schon ihren nächsten Film im Kasten, eine „Orpheus“-Adaption mit Lilith Stangenberg – gedreht auf den Philippinen. „Ich will mich nicht festnageln lassen“, erklärt Khavn sein manisches Arbeitspensum. „Ein Drehort ist wie ein Abenteuerspielplatz. Du stellst die Geräte bereit und dann können die Kinder spielen.“

In den Kinos Brotfabrik, Lichtblick, Sputnik

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