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Am Ziel. Power-Model Jesse (Elle Fanning).

© Koch Media

Film über Models: "The Neon Demon": Vom Babyface zum Überengel

Handlung? Eher nicht. Bilder? Satt. Horror? Schon. "Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn geht in "The Neon Demon" aufs Ganze. Und Elle Fanning bringt den Film zum Tanzen.

Lesen kann er erst, seit er 13 ist, sagt er, und das auch heute nur notdürftig. Schreiben? Nicht sein Ding, Orthografie mies und Handschrift „infantil“. Bestenfalls so Sätze wie „Mann kommt durch Tür, sieht Frau. Punkt." Und erst das Sehen! Erste Brille mit 18, viel zu spät, und gleich achtmal bei der Fahrprüfung durchgerasselt. Und obendrauf die Fabenblindheit! Die hat er erst mit 24 mitgekriegt, beim Schuhekaufen – als er sich, zum Entsetzen seiner Freundin, zum Vergleich zwei identische Paare hinstellte.

Geht also alles gar nicht bei Nicolas Winding Refn, bloß das Filmemachen. Und wie. Dass die Welt vor der ersten Brille bisschen unscharf war: großartig, findet er. Kontraste immerhin, „rot, blau, pink“, sowas kann er sehen, und den Rest besorgt, „das ist das Tolle am digitalen Kino, dass man nachher noch so viel verändern kann“, sowieso die Post-Produktion. So viele Handicaps! Unsinn, sagt er, eine Gabe. „Kreativität heißt, Schwäche in Stärke zu verwandeln.“

Cool, cooler, am coolsten

Cool, sehr amerikanisch cool ist der teils in den USA aufgewachsene Däne, da passt das Soho House als Gesprächsort perfekt, das nimmt den Coolnessfaktor von Mitte selber hoch zehn. Cool ist auch „The Neon Demon“, Refns neuer Film, zehnmal cooler als „Drive“, sein absoluter Hit mit Ryan Gosling und Carey Mulligan, und der war schon obercool. Und zehnmal fieser als „Only God Forgives“, sein Bangkok-Albtraum mit Kristin Scott Thomas als Horror-Mom, und der war schon sehr, sehr fies. Und hundertmal verrückter als alle beide.

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Die Handlung? Ein Oneliner. Mädchen vom Lande kommt nach L.A. und dort als Model groß raus, und bös geht es aus. Elle Fanning, 18, spielt diese 16-Jährige namens Jesse, die sich, kleiner Tip von der ersten Agenturchefin (Christina Hendricks), immer als 19 ausgeben soll, das kommt besser. Erst gibt es da einen lieben Verehrer, viel zu lieb übrigens, aber die Make-up-Artistin Ruby (Jena Malone) verwandelt das Provinzgirl zackzack in ein Powermodel. Schon beißt einer wie Jack (Desmond Harrington) an, Star-Fotograf mit Vorliebe für knappe Befehle und Closed Set.

"Du bist raus, und du bist drin"

Jack, das ist der Refn-Typ, extrem egozentrisch, „ja, das trifft's gut“. Der malt das Nachwuchsmodel golden an, mit Fingerfarben, „Extra Gold“ für den farbenblinden Regisseur. Ansonsten gilt: Zusammenarbeit mit anderen, schön und gut, aber wenn's nichts mehr bringt? „Du bist raus“, heißt es dann, und, nächste Tür, „Du bist drin“. Jesse allerdings schwebt wie von selber steil nach oben, und das finden die Kolleginnen Sarah (Abbey Lee) und Gigi (Bella Heathcote) gar nicht gut. Aber warum zum Teufel wollen die Omas in dem Business auch noch mit Mitte Zwanzig dabei sein?

Was dann passiert, ist ganz einfach zu erklären. Eine immer wieder betörende Bilderkaskade, ein paar appetithemmende Schocks, kurzum ein tiefer Blick in Nicolas Winding Refns „futuristisches Science-Fiction-Unbewusstsein“. Ein hinreißend gefilmter Catwalk, auf dem sich Jesse vom natural born babyface in einen Überengel verwandelt. Ein unschöner Vorfall im leerem Swimmingpool. Und die erstaunliche Erfahrung, dass sich selbst im Felde des Kannibalismus manches Organ als unverdaulich erweist. So’ne Sachen.

Elle Fanning hat "the thing"

Klar, dass die Geschichte da manchmal hakt. Und vor allem vorm Dreh hakte einiges beträchtlich. Refns Idee, schon okay, ein „Teenage-Horror-Movie über eine 16-Jährige“. Aber das erste Treatment: „Schlecht, zerlabert, ich verstand selber nicht, was ich damit wollte.“ Schwere Besetzungsprobleme auch: Wie ein derart junges Ding finden, das „the thing“ hat, das gewisse Alles?

Auf dem Weg.  Provinzgirl Jesse (Elle Fanning).
Auf dem Weg. Provinzgirl Jesse (Elle Fanning).

© Koch Media

„Und dann kam Elle“. Elle Fanning konzentrierte das ganze Geschehen auf sich, Refn trat die Hälfte des Drehbuchs in die Tonne, dann hatte auch der Titel – „erst war der bloß eine Schablone, an der ich rumbastelte“ – einen Sinn. „Plötzlich wusste ich: Der Neon Dämon, das ist sie.“ Mit anderen Worten, schwerer Fall von Pygmalionitis. Kurzer Check bei Ovid: Pygmalion, richtig, das war dieser zypriotische Bildhauer, der seinem Statuen-Geschöpf rettungslos verfiel.

So ruhig, so langsam, mit altmeisterlichen Pausen auch, wie der 45-Jährige über seinen Film redet. Den übrigens hat das aufgekratzte Cannes letzthin ziemlich niedergemacht, aber sowas ist einem wie Refn grundsätzlich egal. Seine Filme sind für die ganz Jungen, sagt er, auf dem Smartphone sollen sie so gut funktionieren wie auf der Leinwand, und tatsächlich, die Bilder sind laut, aber total aufgeräumt, und die Geschichte lässt sich voranwischen wie im Traum. Nur logisch, dass man nachher heftig davon träumt. Ach ja, eine Frage noch, Herr Refn: Ihre Lieblingsdroge? „Ich trinke nicht, ich rauche nicht. Ich führe ein banales, langweiliges Leben.“

Ab Donnerstag in Berlin im Cinemaxx, Colosseum, Cubix, Neukölln Arcaden und Zoo Palast; OV im Cinestar SonyCenter; OmU im Babylon Kreuzberg, Central, FaF, Kulturbrauerei und Rollberg

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