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Film des Jahres: "Paterson": Eine amerikanische Utopie von Jim Jarmusch

Das Porträt des dichtenden Busfahrers Paterson ist ein Meister- und Alterswerk. Jarmusch feiert damit den privaten und sozialen Frieden - und den Künstler in jedem Menschen.

Paterson, im zersiedelten Norden des US-Bundesstaats New Jersey gelegen, ist eine Großstadt wie aus dem amerikanischen Retro-Traumbilderbuch. Vergangene Woche hat man hier mit über 70 Prozent für Hillary Clinton gestimmt. Weiße und Schwarze leben zu gleichen Anteilen zusammen, die Stadt ist nicht reich, aber kinderreich, und das jobträchtige New York ist gerade mal 20 Meilen entfernt. Ach ja, und die Todesstrafe hat der kleine, aber dicht bevölkerte Staat New Jersey mit der demokratischen Mehrheit im regionalen Senat und Abgeordnetenhaus auch vor Jahren abgeschafft.

Gerade so friedlich – und überwiegend besonnt – erscheint Paterson auch in Jim Jarmuschs gleichnamigem Film, der das Leben seiner Hauptfigur, eines Busfahrers, der auch noch Paterson heißt, eine Woche lang in aller Gelassenheit beobachtet. Paterson bewegt, stets zur Tagesschicht, den Metrobus Nummer 23, und es geschieht, zumindest dem Anschein nach, nahezu nichts, was die Wonnen seiner stillen Gewöhnlichkeit trüben könnte. Hier lebt ein Mensch zusammen mit seinem privaten und sozialurbanen Umfeld in vollendeter Harmonie. Ja, radikaler als in „Paterson“ könnte der Gegenentwurf zum aufgewühlten Amerika dieser Monate und Tage, aber auch zu den auf Überwältigung zielenden, oft erdrückenden Kinofilmen dieses Landes kaum sein. Und leiser, ökonomischer, souveräner ebenso wenig.

Von Streichholzschachteln zur Liebe

Ist die Abwesenheit vom offenkundig Exzeptionellen, vom Sensationellen ein tauglicher Stoff für ein Medium, das doch vor allem von der massiven Ablenkung vom Alltag lebt? Aber ja, wenn man sie so wie Jarmusch zu inszenieren versteht! Patersons erfährt den Alltag, wenn er jeden Morgen ohne Wecker mal um 6 Uhr 12 und mal um 6 Uhr 27 erwacht, als sich immer wieder erneuerndes Abenteuer. Zu einem schlichten, schmucken Häuschen hat es der verschwiegene Busfahrer gebracht und zur so zarten wie vitalen wie schönen Gefährtin Laura, die ihre Lebenswünsche ebenso fröhlich umsetzt, wie sie Paterson zur Verwirklichung seiner eigenen Träume drängt. Denn Paterson, der seine Notizkladde immer bei sich führt, ist auch ein Dichter – und da könnte er, meint Laura, doch am Wochenende mal zum Copyshop gehen und damit beginnen, die Welt mit seiner vervielfachten Poesie zu beglücken!

Paterson aber ist sich selbst völlig genug – ob er vor Dienstbeginn auf dem Fahrersitz, zur Mittagspause vor dem Panorama der Great Falls von Paterson oder abends im Hobbykeller schreibt. Ein bisschen so wie einst der sein ganzes Leben im nahen Rutherford zubringende Kinderarzt William Carlos Williams (1883 –1963), der nachts dichtete; wundert es da noch irgendwen, dass dessen Hauptwerk „Paterson“ heißt, ein Alltagsmonumentalgedicht, das fünf Bände fasst? Ganz wie sein Idol und die Dichter der „New York School“ setzt auch Paterson auf Williams’ Mantra „No ideas but in things“. So schreibt er etwa über Streichholzschachteln auf dem Küchentisch, und unversehens denkt und fühlt und formuliert sich das voran in ein hinreißendes Gedicht über die Liebe.

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Für jeden dieser wundergleichförmig von Montag bis Montag voranschreitenden Tage reserviert Jim Jarmusch szenische Auszeiten, in denen Paterson seine Zeilen spricht, während sie zauberisch die Leinwand füllen. Stets erklingt dazu sphärische, von Jarmusch und Carter Logan komponierte und gespielte Musik; manchmal kommen gar Dreifachbelichtungen hinzu, und schon schwimmen der Paterson-Wasserfall, Lauras Gesicht und ein Stift auf Papier förmlich ineinander. All dies ist Ausdruck jener unverwechselbaren Trance, die jeden Künstler im Schaffensprozess erfasst – doch gleich fährt Paterson wieder in seinem Bus umher, während er den Gesprächen der Fahrgäste lauscht. Oder Laura entzückt ihn mit neuen schwarz-weißen Cupcake- oder Stoffdesigns. Oder er führt Lauras englische Bulldogge namens Marvin aus und trinkt sein allabendlich einziges Bier in der Shadow Bar.

Schauplätze. Rituale. Sehr intim, weil als Seelenspiegelung inszeniert, intim wie Patersons sanfte Zärtlichkeiten frühmorgens und Lauras schläfriges Träumeerzählen. Bald ist Tag und Paterson allein, aber immer durch Liebe und sein freundliches Verhältnis zur Welt behütet. Ein Äußerstes an Action? Die Elektrik des Busses fällt aus, und Paterson, der aus Prinzip kein Smartphone hat, muss mit dem quietschbunten Handy eines Schulmädchens Hilfe herbeitelefonieren. Oder plötzlich fuchtelt ein liebeskranker Stammgast in der Bar mit einer Spielzeugpistole herum, und schon funktionieren Patersons Reflexe aus seiner Zeit als US-Marine. Ja, Paterson kann auch schnell sein. Nur einmal kommt er zu spät. Und das wäre richtig schlimm, wenn nicht ein Trost auf der Lauer wäre, umwerfend beiläufig wie alles andere.

Botschaft schlichten Gutseins

Adam Driver und Golshifteh Farahani spielen den scheinbar phlegmatischen Paterson und die quirlige Laura: das Filmpaar des Jahres, ach was, ein zeitloses. Sicher sind sie zu glücklich, um wahr zu sein – aber was, wenn Jim Jarmusch jede Zuschauerin und jeden Zuschauer unaufdringlich einlädt, es ihnen an bilateraler Großherzigkeit zumindest ab und zu gleichzutun? Sicher auch ist „Paterson“ im harmonischen Ansatz aller zwischenmenschlichen Verhältnisse eine Utopie – aber was hindert daran, die Distanz zu ihr versuchsweise hin und wieder zu verkleinern? Wohl noch nie hat sich ein Filmemacher abseits grober dramaturgischer Effekte und kompositorischer Gefühlsduseleien derart auf die Botschaft schlichten Gutseins eingelassen – in einem vollends auf das Nötigste an Handlung, an Personal, an Wendungen reduzierten Milieu.

Es ist die Kunst, mithin die Fähigkeit zur Transzendenz, die Paterson und auch Laura so ganzheitlich beseelt, sei es durch seine kurios bodenständig anhebenden Gedichte, sei es mit ihrem sprudelnden Erfindungs- und Gestaltungsreichtum. Dabei steckt im rührend Komischen immer auch das wundersam Anrührende, und schon ist der Zuschauer, ohne dass hier irgendwer besonderen Aufwand betriebe, vom Geschehen so umfassend umfangen wie selten im Kino. Wer will, mag diese Feier des Schönen eskapistisch nennen. Immer aber lässt sich feiner Schmerz mitlesen, jener Schmerz, der umso wacher macht für die Wirklichkeit.

Ab Donnerstag im Cinemaxx, Kant, Yorck; OmU im b-ware!, Bundesplatz, FaF, Babylon Kreuzberg, Central, Eiszeit, Filmkunst 66, fsk, Hackesche Höfe, International, Moviemento, Odeon und Rollberg

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