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Zorica Nusheva in "God Exists, Her Name Is Petrunya"

© sistersandbrothermitevski / Berlinale

Film aus Mazedonien im Berlinale-Wettbewerb: Schluss mit den Demütigungen

Eine Mazedonierin gegen das Machtkartell der Männer: Teona Strugar Mitevskas „God exists, her Name is Petrunya“ im Wettbewerb.

Endlich! Es wurde höchste Zeit für einen Film von dieser Wucht. Danach lauter merkwürdig gelöste Gesichter voll stiller Freude. Und das an einem verregneten Sonntag Morgen.

Es gibt wenige Orte, an denen die Welt wirklich noch in Ordnung ist. Im Zweifel sind sie nur wenige Zentimeter breit wie der Zwischenraum von Bett und Bettdecke. Darin die Silhouette eines Gesichts. Und wenn einem dann noch ein Frühstück vor diesen Spalt geschoben wird, ist gegen die Einrichtung des Tages vorerst wenig zu sagen. Oder doch?

Denn die erste schlechte Nachricht kommt mit dem Frühstück: „Du hast ein Vorstellungsgespräch!“, sagt die Mutter zu Petrunya, Absolventin des Fachs Geschichte mit Bestnote, arbeitslos. Die Benachrichtigte würde die Luken des Morgens am liebsten gleich wieder schließen, aber sie steht doch auf, und das ist schon ein Ereignis: Dieses Menschenkind, hat ein, nunja, mächtiges Volumen. Und dazu ein Gesicht von entwaffnender Offenheit, und groß ist dieses Gesicht, breit würden die Grobiane sagen, aber darin doch von wunderbar einfacher Schönheit. Wenn die Menschheit sich Gesichter aussuchen müsste, in denen sie sich wiedererkennen möchte: sie sollte das von Zorica Nusheva nicht vergessen. Es ist ein Spiegel, ein Seismograf, ist wie ein Film im Film für alles, was nun folgt.

Der Fluss schäumt vor Leibern

Das Vorstellungsgespräch hat die Mutter über eine Tante arrangiert. Soziale Absicherung und Rente! Und schön soll sie sich anziehen! Und sagen, dass sie 24 ist, nicht 32. Auf keinen Fall 32! Petrunya schaut ihre Mutter an, wie man hoffnungslose Fälle betrachtet, aber sie geht, natürlich geht sie.

Auf dem Rückweg vom Vorstellungsgespräch, das ein Auslöschungsgespräch war, gerät sie am Fluss in eine Gruppe nackter männlicher Oberkörper. Es ist Dreikönigstag, die Prozession ist zu Ende, die jungen Männer warten, dass der Priester das Kreuz ins Wasser wirft, und einer wird es als Sieger an die Oberfläche tragen. Die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska dehnt und komprimiert diese Szenen ihres Films „God exists, her Name is Petrunya“ gleichermaßen. Immer wieder sehen wir Petrunyas schwarzen Flauschmantel überm geblümten Kleid in der Menge, dann schäumt der Fluss vor Leibern, bis eine Hand das Kreuz in die Höhe reckt. Petrunya!

Eine Groteske und doch bitterernst

Die Männer reißen es ihr roh aus den Händen, der Priester protestiert, irgendwie kann sie es doch noch einmal fassen und flieht. Mit dem Kreuz.

Es ist eine Groteske und doch bitterernst. Es ist eine Maximal-Bagatelle. Petrunya war nicht tauchbefugt, denn sie ist eine Frau. Man ahnt alles, was kommt, und dann kommt es genau so, bloß ganz anders. Mitsamt Polizeirevier und TV-Berichterstattung. Und das Unglaubliche geschieht: Teona Strugar Mitevska hält diese Hochspannungsbalance. Der Überraschungsmoment liegt nie im Banal-Anderen, sondern in den Graden der Intensität und Wahrhaftigkeit. Und in der Komik natürlich.

Nein, das ist kein Genderkino, das ist kein MeToo-Filmschaffen, keine Weltanschauungssurrogate standen hier hinter der Kamera. Obwohl sich Männer möglicherweise fragen: Sind wir denn wirklich so hässlich? Dieser Film antwortet: Ja, zumindest da, wo der Mann als Meute auftritt, als Herrschaftsmeute einer traditionalen Gesellschaft. Nach Ozons „Grâce à Dieu“ kommt Religion ein weiteres Mal nicht als Fortschrittsideologie in Frage. Obwohl man genau auf den Priester achten sollte, ihm und Petrunya gehört die ebenso abgründige wie tief anrührende, keinesfalls zu verratende lakonische Schlussszene. Alle Hoffnung liegt bei Menschen, die heraustreten aus dem Schatten der Institutionen und Ideologien, in ihr eigenes Licht. Der Weg von Frauen ist da manchmal nicht minder weit. Petrunyas Mutter sehen, heißt zu wissen, was Sklavenseelen sind. Hilfreich und doch nicht gut. Es ist heilig, sagt sie angesichts des Kreuzes in der Hand ihrer Tochter, und: Du bist ein Monster!

Vielleicht war Petrunya nur ins kalte Wasser gesprungen, um zu prüfen, ob sie noch existiert. Wenn es für Kinobilder Rahmen gäbe, Petrunyas Vorstellungsgespräch hätte einen verdient. Was für ein hochpräzises Exerzitium der Demütigung. Es war atemberaubend zuzusehen, wie sich die schönen klaren Augen schließlich senkten, ihre Kraft verloren. Aber bei der Frage nach ihrem Alter war Petrunya wieder ganz wach: „Ich bin vierund ... 32.“

11.2., 9.30 Uhr u. 18.15 Uhr (Friedrichstadtpalast), 12.2., 15.30 Uhr (b-ware!), 17.2., 18.30 Uhr (HdBF)

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