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Ziemlich beste Freundinnen. Helen (Carla Juri, rechts) und ihre „Blutsschwester“ Corinna (Marlen Kruse).

©  Majestic

"Feuchtgebiete" im Kino: Jetzt flutscht's!

Charlotte Roches zäher Skandal-Roman "Feuchtgebiete" um die selbsterkundungssüchtige Helen Memel schockte Deutschland vor fünf Jahren. Nun hat David Wnendt mit Geduld und Spucke und Ideen das Beste daraus gemacht: einen fast appetitlichen Ekel-Film.

Eigentlich eine stinknormale Coming-of-Age-Geschichte. 18-Jährige, die noch zur Schule geht und wie eine Zwölfjährige spricht, die für 15 gehalten werden will, liegt wegen einer kleineren Sache im Krankenhaus. Eltern schon länger geschieden, könnten doch ausnahmsweise mal zusammen zu Besuch kommen in die Klinik Mariahilf, typischer Scheidungskindertraum. Läuft natürlich nicht, aber junger Pfleger kümmert sich rührend, echter Heiler auch für Seelenschmerzen, und irgendwann mit ihm raus, entlassen endlich, raus in die Zukunft, ins eigene Leben.

Für die zarte Lovestory hat Regisseur David Wnendt, 35, letztes Jahr mit seinem Debüt „Die Kriegerin“ schon ordentlich erfolgreich, auch herzallerliebste Protagonisten gefunden. Seine Helen ist die eindeutig süße, 28-jährige Carla Juri aus dem Tessin, die locker als 18-Jährige durchgeht mit ihrer Zwölfjährigenstimme. Und den Pfleger Robin spielt der fraglos hübsche, jungenhafte Christoph Letkowski, 31, ganz toll Gitarre spielen kann er auch und hat in den Drehpausen die Band „Von Eden“ gegründet. Sein Liebeslied „Land in Sicht“ – ein paar Zeilen davon sind im Film zu hören – kann man auf Youtube klicken.

Kommen wir zum härteren Stoff, dem augenscheinlich Wesentlichen. Schließlich geht’s hier um die Verfilmung von „Feuchtgebiete“, den Erstlings-Romancière Charlotte Roche bei seinem Erscheinen vor fünf Jahren unter anderem als „Wichsvorlage“ pries. Medienskandal-Ding, folglich über zwei Millionen Auflage in Deutschland, in 28 Sprachen übersetzt, das Mantra eines Megasellers. Erotisch übrigens war Helens innerer Monolog weniger – eher der ätherische Ausfluss abgesonderter Spucke in einer veritablen Enzyklopädie der Körperflüssigkeiten, deren anale, orale, nasale sowie genitale Erscheinungsformen mit kaum versiegendem Wissensdurst allen möglichen Körperöffnungen appliziert wurden. Insgesamt allerdings ein eher ödes Labor, doch shocking Vokabeln à la „Muschiflora“ taten klappernd ihren Dienst, vom Popelnpinkelnwichsenkackenficken zu schweigen.

Erster Befund: David Wnendt macht das Beste, nein: das Bessere draus. Schon in seine Neonazigören-Geschichte „Kriegerin“ war er mit Gewalt und Schmackes eingestiegen, um bald romantischere Töne anzuschlagen, und so macht er es auch hier. Erst mit Power und Peaches („You Love it“) rin in das Masturbationsgemüse - Helen: „Gurke? Okay. Möhre? Bingo!“ – und dann der Versuch, aus Roches Semantik-Sputum einen filmischen Charakter zu formen. Denn diese Helen, die da infolge gar zu fundamentalistischen Ladyshavens mit einer Analfissur im Krankenhaus liegt, hat tatsächlich mit üblen Ego-Eltern und einem noch übleren Familiengeheimnis zu kämpfen. Ist sie allein deshalb so abgedreht? So eng sollte man das auch nicht gleich sehen, schließlich kann das ganze Gemansche auch Spaß machen – und wer wollte da schon gleich ein fucking Spaßverderber sein.

Diese Eltern aber geben der Sache, ganz nebenbei, eine böse Tiefe, deren lebenszerstörerische Dimensionen der Film, eminent anders als das Buch, in feinen, klugen Anläufen enthüllt. Axel Milberg als Koloss von bräsig abgeschottetem Papa und Meret Becker als spitzlippig schmales Muttermonster tragen ganz wundergruselig das Ihre dazu bei. Auch Edgar Selge als Chefarzt Notz ist ein Witz, ein absolut restunheimlicher. Wie überhaupt das Ensemble immer hübsch diesseits der Charge bleibt. Klar wird hier hemmungslos auf die Spitze getrieben, aber – auch dies anders, als es im bloß provokationslüsternen Buche steht – nie darüber hinaus.

So wie Wnendt mit seinem klasse Kameramann Jakub Bejnarowicz („Gnade“, „Der Fluss war einst ein Mensch“) in den Nacktszenen immer so deutlich wie nötig und so undeutlich wie möglich bleibt, so rührend kümmert er sich darum, dass – bei allen Close-ups, bei allem Clipgeruckel und aller visuell virtuoser Auflösung zwischen physischem Außen und Innen – die Empathie für seine Heldin nicht verloren geht. Die von Carla Juri vielleicht doch ein bisschen zu niedlich-appetitlich Verkörperte ist ein einsames, vernachlässigtes, zwangsradikales Geschöpf, eine Mit-Esserin, die ihren Körper aus Neugier und einer tiefen Not manisch beknabbert, belutscht und am liebsten wegverspeist. Sexy ist da kaum was, auch wenn vom Geschlechtsleben dauernd die laute Rede ist. Eher scheint da jemand in der banal-poralen Phase steckengeblieben.

Ob aber derlei Wahrnehmungsfeinheiten gegen den Schlüssellochreiz jenes Ekelpotenzials eine Chance haben, die eine „Feuchtgebiete"-Verfilmung nun mal enthalten muss? Letzteres ließe sich zumindest instrumentalisieren, als Kontrast zum beliebten Zuschauerspiel „Nenn mir deine Lieblingsszene, und ich sage dir, wer du bist“. Sicher ganz vorne dabei: Das nackthintrige Rumrutschen auf der wohl dreckigsten Kloschüssel der Welt. Die mit der besten Freundin und „Blutsschwester“ Corinna (schön bodenständig: Marlen Kruse) getauschten benutzten Tampons, wobei jedoch nicht alles am Schnürchen läuft, weshalb Papas Grillzange famos zum Einsatz kommt. Oder auch die gefühlt viertelstündig ausgebreitete, denn doch leicht absonderliche Fantasie Helens, eine von mehreren stämmigen Fahrdienstboten stramm vollgespritzte Pizza Spinaci ganz besonders lecker zu finden.

Aber Skandal? Ach je. „Ich muss fast brechen“, bekundet Helen, in der Diktion verblüffend zurückhaltend, einmal im Roman. Kotzgebote sehen anders aus.

Ab Donnerstag im Kino.

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