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„Woyzeck“ inszeniert von der Theatergruppe Kupalaŭcy.

©  Deutsches Theater

Festival Radar Ost am DT Berlin: Schlachterschürzen und Springerstiefel

Belarussische Produktionen zeichnen beim Festival Radar Ost am Deutschen Theater ein finsteres Bild von der Lage der Kulturschaffenden im Land.

In Minsk sind im vergangenen Jahr Marc Chagall und Chaim Soutine entführt worden. Ganz richtig, die weltberühmten Maler. Das erzählt die Schauspielerin Leicy Valenzuela in der Produktion „In A Real Tragedy, It Is Not The Heroine Who Dies; It Is The Chorus“ in der Box des Deutschen Theaters.

Die Performance von Ksenia Ravvina – die im Rahmen des Festivals Radar Ost uraufgeführt wurde – kreist im engeren und weiteren Sinne um das Verschwinden widerständiger Stimmen und Bilder, um das Mundtotmachen kritischer Künstler:innen. Da dürfen die Namen Chagall und Soutine natürlich nicht fehlen. Zumal sich mit ihnen viel über die anhaltenden politischen Verwerfungen in Belarus erzählen lässt, die mit voller Härte auch auf die Kultur durchschlagen.

Mäzen und Oppositioneller Viktor Babariko wurde inhaftiert

Valenzuelas Anklage verweist auf Viktor Babariko. Der war, als Direktor von Belgazprombank (einer Tochter der russischen Gazprom) der wichtigste Förderer von unabhängiger Kunst im Lukaschenko-Regime. Fast schon ein inoffizieller Kulturminister. Babariko hat als Mäzen das Zentrum OK-16 gegründet, deren Leiterin die mittlerweile verhaftete Maria Kolesnikowa war.

Er hat das internationale Theaterfestival Teart mit ins Leben gerufen und auch finanziert. Und er hat im großen Stil weltweit Kunstwerke gekauft, deren Wurzeln im heutigen Belarus liegen: Chagall, Soutine, Malewitsch und viele mehr, präsentiert in einer eigenen Sammlung.

Schon im Sommer 2020 – vor den gefälschten Wahlen in Belarus, die zu Massenprotesten und deren brutaler Niederschlagung führen sollten – wurde Babarikos Sammlung konfisziert. Die „Eva“ von Soutine, dieses Gemälde einer Frau mit verschränkten Armen, avancierte zur Ikone der Protestbewegung. Überall präsent, auf T-Shirts, Tassen, als Graffito an der Wand.

Der Kunstermöglicher selbst, der es gewagt hatte, als Kandidat gegen Lukaschenko anzutreten, wurde inhaftiert. Ebenso wie sein Sohn, der als Gründer zweier Crowdfunding-Plattformen zur Unterstützung von Literaturübersetzungen, Festivals, Ausstellungen oder Konzerten seinen eigenen Anteil an der Lebendigkeit der unabhängigen Kulturszene hatte. Die Anklage gegen beide lautet auf Veruntreuung und Steuerhinterziehung. Ein Klassiker in totalitären Regimen.

Kirill Serebrennikov – dessen „Decamerone“ als DT-Koproduktion mit dem Gogol Center Moskau beim Radar Ost wieder zu sehen war – könnte ein Lied davon singen. Ihm wurde in Russland ja ebenfalls vorgeworfen, staatliche Fördergelder veruntreut zu haben, in Zusammenhang mit seiner Inszenierung „Sommernachtstraum“.

Schauspielerin Yang Ge, die Teil des Shakespeare-Ensembles war und auch in „Decamerone“ mitwirkt, erinnert daran in der Box des DT. In einem Film, den das Publikum anfangs übers Handy verfolgt, und später als Hologramm auf der Bühne beschwört Yang Ge das Groteske der Willkür, mit der eine Staatsmacht Exempel an der Kunst zu statuieren versucht. Sie hat in einem „Sommernachtstraum“ auf der Bühne gestanden, den es nach Darstellung der Strafverfolgungsbehörden niemals gab.

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„Artist(s) at Risk“ das war der Fokus des diesjährigen Festivals Radar Ost, mit Produktionen aus Russland, der Ukraine, Bosnien und Herzegowina und eben Belarus. Bedrohte Künstler:innen gibt es ungezählte im Lukaschenko-Reich. Ebenso wie Aktivist:innen, Journalist:innen, oder auch Normalbürger:innen, die grundlos Opfer von Repressionen werden.

Seit Sommer dieses Jahres hat der Alleinherrscher 400 NGOs liquidieren lassen – das ist der offizielle Terminus. Ihre Mitarbeitenden werden verfolgt oder zur Emigration gezwungen. Gerade wurden die Gesetze im Land noch einmal so verschärft, dass man für einen missliebigen Social-Media-Post der zum Beispiel die EU-Sanktionen gegen Belarus gutheißt – zehn Jahre ins Gefängnis wandern kann.

Längst leben und arbeiten viele Kulturschaffende im Exil. In Kiew zum Beispiel, oder in Berlin. Dazu zählen auch Mitglieder der Gruppd Kupalaŭcy  aus Minsk. Die hat sich Ende August 2020 aus dem Kupala-Theater abgespalten, dem belarussischen Nationaltheater – als Reaktion auf die Entlassung ihres damaligen Direktors und aus Solidarität mit der Protestbewegung.

„Woyzeck“ in einer drastischen 50-Minuten-Version

Das Kupala war ein eher konventionelles Abonnement-Theater für älteres Publikum. Die Gruppe Kupalaŭcy – die jetzt ohne Haus dastand – begann sich neu zu orientieren und in klandestinen Strukturen zu arbeiten. Die erste Produktion, ein Stück über die belarussische Identität, wurde auf Youtube ausgestrahlt und hatte auf Anhieb 100 000 Zuschauer:innen. Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, auch solche, die sich vorher nicht fürs Theater interessiert hatten.

In der Folge musste Kupalaŭcy mehrfach die Örtlichkeiten wechseln – meist, weil ihre Vermieter:innen Besuch von der berüchtigten „antiterroristischen“ Spezialeinheit Omon bekamen. Und das in einer Stadt, in der die Mieten auf dem freien Markt höher sind als in München und die Räume für freie Kultur entsprechend rar. Dazu kam noch die allgemeine Gefährdungslage.

Im DT hat die Gruppe jetzt erstmals live vor Publikum ihre Produktion „Woyzeck“ gezeigt. Eine gerade mal 50-minütige, von harten Elektrobeats befeuerte Büchner-Inszenierung des Regisseurs Raman Padaliaka, die in verstümmelter Sprache vom Zerriebenwerden in autoritären Strukturen erzählt. Schlaglichtartig verknappte Szenen zeigen, wie einem Woyzeck von Doktoren mit Schlachterschürze und Soldaten in Springerstiefeln als Repräsentanten der Obrigkeit das Gute und der Glaube an sich selbst ausgetrieben werden. Mit tödlichem Ergebnis.

Was ist die Perspektive für Künstler:innen im Exil? „How To Sell Yourself To The West“ – eine Performance der russischen Regisseurin Ada Mukhína – gibt ihnen den sarkastischen Rat, ihre Herkunft aus dem Konfliktgebiet gewinnbringend einzusetzen. Die macht sich immer gut im relevanzgierigen westlichen Kulturbetrieb. Das DT meint es hingegen ernst. Vier Stücke des Festivals Radar Ost sind als Koproduktionen vor Ort entstanden, zwei Mitglieder der Gruppe Kupalaucy werden für zwei Monate Gäste am Haus sein. Dass sich die Lage in Belarus unterdessen entspannen wird – dafür besteht leider wenig Hoffnung.

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