zum Hauptinhalt
Marius Lauber alias Roosevelt bei seinem Pop-Kultur-Auftritt in Berlin.

© Roland Owsnitzki/Festival

Festival Pop-Kultur 2016: Glitzern, träumen, tanzen

Der Auftakt des Berliner Pop-Kultur-Festivals mit Michael Müller, Roosevelt und Brand Brauer Frick.

Sehr schick diese rot-schwarzen Turnschuhe, die Chris Dercon da trägt. Passen gut auf so eine Pop-Festival-Eröffnung – lassen aber auch grübeln, ob der zukünftige Volksbühnen-Chef damit vielleicht ein dezentes Statement für die Fortsetzung der großen Koalition abgeben möchte.

Auch bei der Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey, die die Gäste in der Vollguthalle des Schwuz in knallroter Hose und schwarzem Oberteil begrüßt, könnte man auf diesen Gedanken kommen.

Der Regierende Bürgermeister hat sich für eine neutrale Kombination aus hellgrauem Anzug und blauem Hemd entschieden. Dass er im Wahlkampf steckt, wird trotzdem deutlich. Vor allem am Ende seiner kurzen Rede, als er Berlin als „Stadt der Freiheit“ beschwört. Zuvor betont Michael Müller, dass „ein Teil der Berliner Erfolgsgeschichte mit der Musik verknüpft“ sei. Um diese fortzuschreiben, gelte es Räume zu sichern, sowohl Club- als auch Probenräume. Genau das hätte sein ebenfalls anwesender Kulturstaatssekretär Tim Renner wohl an dieser Stelle gesagt, der darf aber diesmal nicht ans Mikrofon.

Draußen ist es noch nicht dunkel, drinnen wird schon getanzt

Das vom Musicboard Berlin veranstaltet Pop-Kultur-Festival mit Konzerten, DJ-Auftritten, Talk-Runden, Lesungen und einem Nachwuchsprogramm für 250 Musikerinnen und Musiker findet nach der letztjährigen Premiere im Berghain diesmal an drei Tagen und sechs Orten in Neukölln statt. Zur Eröffnung im Huxleys Neue Welt spielt der Kölner Marius Lauber, der unter dem Namen Roosevelt Musik macht und mit seinem gerade beim Berliner Label City Slang veröffentlichten Debütalbum zu Recht eine kleine Begeisterungswelle ausgelöst hat. Als der 25-Jährige mit seinen beiden Begleitmusikern auf die Bühne kommt, ist es draußen noch nicht mal richtig dunkel, die Reihen im Saal sind entsprechend löchrig, doch vorne wird sofort getanzt, und einige der jungen Fans können sogar schon die Texte mitsingen. Roosevelt beginnt mit „Wait Up“, einer feinen Yacht-Rock-inspirierten Nummer, die  eine knackige Bassline, glitzerige Synthies und einen melancholischen Refrain verbindet.

Der Einfluss des Westcoast-Pops schillert durch

Roosevelt, einst Schlagzeuger der Indie-Popband Beat!Beat!Beat!, hat ein großartiges Gespür für eingängige Elektro-Pop-Songs, in die er House- und funkige Disco-Elemente mischt. Auch der Westcoast-Pop der Siebziger schillert als Einfluss immer wieder durch. Die Londoner Jungle kamen mit ihrem Debüt vor zwei Jahren zu einem ähnlich überzeugenden Ergebnis. Auch Erinnerungen an die frühen Zoot Woman und Phoenix blitzen gelegentlich auf.

Der Kölner wechselt zwischen Keyboard und Gitarre, sein oft mit Hall-Effekt unterlegter Gesang könnte noch ein bisschen weiter nach vorne gemischt werden. Doch er scheint ohnehin eher ein zurückhaltender Typ zu sein, sagt nur einmal kurz Hallo und tausend Dank. Auch in Sachen Styling macht sich Roosevelt offenbar kaum Gedanken. Mit seinen zerwuschelten Haaren und dem an ein Pyjama-Oberteil erinnernden Hemd sieht er aus, als komme er gerade aus dem Bett. Gegen Ende seines Set spielt er noch eine liebevolle Cover-Version des Womack & Womack-Hits „Teardrops“, inklusive Falsett-Background seiner Begleiter. Ein vielsprechender Auftritt von einem Musiker, der erst in England tourte, bevor er hierzulande richtig entdeckt wurde.

Beaver Sheppard und Daniel Brandt beim Konzert von Brandt Brauer Frick im Huxleys. 
Beaver Sheppard und Daniel Brandt beim Konzert von Brandt Brauer Frick im Huxleys. 

© Janto Djassi

Brandt Brauer Frick, die zweite Gruppe des Abends, sind in London und Paris schon länger bekannt, letztes Jahr sind sie sogar durch China getourt. Das Berliner Trio wächst live schon mal zum zehnköpfigen Ensemble an, wird an diesem Abend aber nur von einer Sängerin und zwei Sängern unterstützt. Vorne steht Beaver Sheppard, den man kaum sieht, weil keine Scheinwerfer auf ihn gerichtet sind – umso größer ist die Konzentration auf seine Stimme. Das Stück „Away From My Body“ beginnt er sprechsingend zum schnellen Snare-Rand-Geklöppel Daniel Brandts. Langsam bäumt sich das Stück zu einem düsteren Gothic-Monster auf, das durch einen nebelverhangenen Club tanzt. Jan Brauer und Paul Frick werfen von ihrem Gerätetisch Bassspuren und Klaviertupfer dazu, bis Sheppard in einem langen Schmerzensschrei endet.

Gastsänger Beaver Sheppard ist eine Bereicherung

Danach verlassen die Sänger für eine Weile die Bühne, und das Trio begibt sich auf eine dynamische Abfahrt. Das Klavier – einst das zentrale Instrument der Gruppe – kommt dabei nur noch in gesampelter oder synthetisierter Form vor. Den „Techno ohne Technik“-Ansatz haben Brandt Brauer Frick offenbar ausgereizt, dafür nennen sie ihre Musik jetzt „emotional body music“. EBM statt EDM also – eine Abgrenzung zum überdrehten Dancegebollere eines Skrillex und Konsorten.

Tatsächlich hat ihr Sound eine warme, gefühlvolle Seite, egal ob er nun elektronisch oder analog erzeugt wird. Das gilt vor allem, wenn Beaver Sheppard mitwirkt. Etwa bei dem ein wenig an die Berliner Kollegen von Moderat erinnernden Stück „Holy Night“, bei dem der kanadische Sänger zum Knurren und Flackern der Synthesizer fleht, nicht seinen Verstand zu verlieren. Retten wird ihn der Rhythmus. Brandt schlägt ihn voller kleiner Zacken, aber gerade wie ein Herzschrittmacher. So sorgt er für verträumte Tanzbewegungen - auf und vor der Bühne.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false