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Amerikanischer Meister. Miles Davis in „Birth of the Cool“.

© Firelight Films

Festival Dokuarts im Zeughauskino: Torfbatzenverse und Trompetenkiekser

18 Tage lang Filme über Kunst: das Dokuarts-Festival im Zeughauskino.

Von Gregor Dotzauer

Nuancen sind alles – und sie sind nichts. Verschiebungen im materiellen Weltgeschehen, die sich kaum messen lassen, in der Interpretation aber den Ausschlag geben. Nuancen liegen nicht in den Dingen selbst, sondern in den Unterschieden, die man zwischen ihnen erkennt. Vielleicht gibt es für ihre Wahrnehmung deshalb keine bessere Schule als eine Poesie, die dem vermeintlich Selbstverständlichen das Ungewöhnliche ablauscht.

„Es gibt die Schlammblüten der Mundart / Und die Immortellen des absoluten Gehörs“, heißt es in „Song“, einem der bekanntesten Gedichte des 2013 verstorbenen irischen Literaturnobelpreisträgers Seamus Heaney. „Und diesen Augenblick, wenn der Vogel ganz dicht / An der Musik des Geschehenden singt.“ Im englischen Original: „And the moment when the bird sings very close / To the music of what happens.“

Diese letzte Zeile hat Adam Lows BBC-Dokumentation „Seamus Heaney and the music of what happens“, die nun beim 12. Dokuarts-Festival im Zeughauskino zu sehen ist, den Titel gegeben.

Obwohl das Porträt in seiner journalistischen Herangehensweise, der Verknüpfung von Archivmaterial und Erinnerungen Heaney nahestehender Menschen, durchaus konventionell verfährt, ist es reich nuanciert. Low versucht gar nicht erst, die hinter trügerischer Schlichtheit versteckte Komplexität dieser Dichtung zu erreichen.

Stattdessen vermittelt er sinnfällig, was die scheinbar mit Torfbatzen an den Gummistiefeln auf der heimatlichen Scholle herumstapfenden Verse zu einem umfassenden Weltentwurf macht, in den auch das schmerzliche Bewusstsein von den politisch-konfessionellen Zerwürfnissen in der Region eingewandert ist.

Heaney und seine Brüder

Er kommt Heaney auch menschlich nah, indem er Ehefrau Marie, Tochter Catherine und die Brüder – Heaney war der Älteste von neun Söhnen, die auf der väterlichen Mossbawm-Farm in Nordirland aufwuchsen – maßgebliche Gedichte in überraschend unterschiedlichen Akzenten und Färbungen vorlesen und kommentieren lässt.

Die Nuance als „Gegenmittel zur überdrehten Polarisierung der politischen und kulturellen Diskurse“, die Festivalleiter Andreas Lewin zum Leitthema erkoren hat, lässt sich nun 18 Tage lang quer durch alle Kunstgattungen verfolgen. Mark Cousins zeigt Orson Welles als bildenden Künstler, bevor dieser sich dem Kino zuwandte.

Peter Bogdanovich porträtiert Buster Keaton. Francisco Gonzalez Piña beobachtet, wie im mexikanischen Puebla ein Museum für barocke Kunst nach Plänen des Japaners Toyo Ito entsteht. Yang Zhang besucht Shen Jianhua, einen Künstler aus Shanghai, wo dieser in einem Bergdorf der Provinz Yunnan ältere Frauen an seiner Kunstschule unterrichtet. Und Jawad Sharif geht dem Verschwinden der pakistanischen Volksmusik nach.

Carl Lumbly spielt den Stimmenimitator

Unter den Musikdokumentationen findet sich auch Stanley Nelsons für die PBS-Reihe „American Masters“ entstandenes Miles-Davis-Porträt „Birth of the Cool“.

Bei allem Tempo trägt es schwer an seinen allzu brav aufmarschierenden talking heads, vielem einschlägig Bekannten und Carl Lumblys Voiceover-Imitation des kehlkopflädierten Davis-Raunzens. Mit Frances Taylor, der ersten Frau des Jazztrompeters, renommiert es aber mit einer Zeugin, die man in dieser koketten Auskunftsfreudigkeit noch nicht gesehen hat.
Zeughauskino, vom 10. bis 27. Oktober, Info: doku-arts.de

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