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Die britische DJ Mary Anne Hobbs spielt im „Club Matryoshka“ düstere Tracks zwischen Dubstep, Grime und Techno,

© Marcus Hessenberg

Festival Club Transmediale: Warum die Party dieses Jahr in „Minecraft“ stattfindet

Musikfestivals wie der „Club Matryoshka“ bespielen schon länger die Welten des Online-Games „Minecraft“. Jetzt auch die Berliner Club Transmediale. Ein Porträt.

Anfangs war es bloß ein Witz unter Freunden, eine fixe Idee. Um kurz nach fünf Uhr morgens teilt der philippinische Musiker und Dozent Jorge Wieneke seinen Künstlerkumpels auf Facebook mit, er habe gerade einen Nachtclub gegründet – und zwar virtuell, in der Videospielwelt „Minecraft“.

Seit Veröffentlichung im Jahr 2009 ist das Spiel aus der Feder des schwedischen Game Designers Markus Persson einer der größten Welterfolge der Videospielbranche geworden. 2013 nahm es das New Yorker Moma in seine Sammlung für moderne Kunst auf, 2014 kaufte Microsoft die Rechte für über zwei Milliarden Dollar. Im Corona-Jahr 2020 wuselten über 123 Millionen Menschen durch die kindliche Welt, die mit ihrer 32-Bit-Ästhetik den Charme von virtuellem Lego versprüht.

Der Clou: Alle können zu Baumeistern werden und andere in die geschaffenen Welten einladen. Auch Künstler*innen und Museen nutzen die virtuelle Welt, wie etwa die Tate Modern. Sie ließ 2014 einige Werke ihrer Sammlung durch bekannte „Minecrafter“ rekonstruieren. Jorge Wieneke baut sich 2019 einen kreativen Zufluchtsort, den „Club Matryoshka“.

Der 31-Jährige betreibt ihn bald mit einem Kollektiv aus Gamern, Hackern, Künstler*innen und Musiker*innen aus seiner Heimatstadt Manila. Noch vor Beginn der Pandemie laden sie andere Spieler zu virtuellen Raves ein. Was als Witz beginnt, wird bald zum Tummelplatz für Musiker aus ganz Südostasien.

Experimentieren mit digitalen Formaten

Dieses Jahr öffnet „Club Matryoshka“ am 23. Januar seine Pforten auf der Club Transmediale, die wie im vergangenen August wegen des Lockdowns nur virtuell stattfindet. Unter dem Titel „Transformations“ experimentieren die Festivalmacher*innen wie viele Kulturorte notgedrungen mit digitalen Formaten. Ab dem 19. Januar gibt es Online-Talks und -Ausstellungen über postkoloniale und queere Themen, virtuelle Konzerte, Videochat-Partys. Wie es unter diesen Bedingungen weitergehen kann, lautet die zentrale Frage des Programms.

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Bereits im vergangenen Jahr veranstaltete das CTM einen virtuellen Rave im „Club Matryoshka“. „Ich kenne Wieneke schon länger und habe mir eine der Partys angeschaut“, erzählt Kuratorin James Grabsch bei einer Pressekonferenz auf der Spieleplattform Twitch. „Es war irre. Ästhetisch, musikalisch, politisch – es passte einfach.” Die Macher von „Club Matryoshka“ suchen wie das CTM ihr Vergnügen vornehmlich in abseitigen Genres, experimenteller Hip-Hop wechselt sich mit zarter Drone-Musik und hartem Industrial Techno ab.

Die Performer treten wie „Minecraft“-typisch in Klötzchenform auf. Nach ihren Sets mischen sie sich ins chaotische Gewusel. Es bleibt jedem selbst überlassen, was sie mit ihren Avatar machen. Es gibt zwei Dancefloors, mehrere Chillrooms zum Chatten und überall locken kleine Aufgaben und Minispiele.

Popularitätsschub dank Lockdown

„Wir wollen niemand in eine Box sperren“, erklärt Jorge Wieneke im Skype-Interview. „Manche Leute stehen total auf die Games, die wir bauen. Andere wollen die Welt erkunden, mit Menschen kommunizieren oder sich die Musik anhören und tanzen. Wir schreiben nichts vor.“

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Eine klassische Cluberfahrung könne der virtuelle Rave natürlich nicht ersetzen. „Virtuelle Clubs und das, was wir hier geschaffen haben, sind eine Sache für sich. Es soll nicht besser sein, sondern anders. Aber es kommt dem Gefühl, auf einem gemeinsamen Festival zu sein sicher näher als andere digitale Formate.”

Tatsächlich existierte diese Art des Raves schon vor der Pandemie, hat durch den Lockdown aber einen Popularitätsschub bekommen. Auch in Spielen wie Nintendos „Animal Crossing” oder “IMVU” werden solche Events von Musiker-Communities veranstaltet. Charli-XCX-Produzent Umru stellt seit 2018 mit dem Kollektiv „Open Pit“ in „Minecraft“ größere Festivals wie „Coalchella“ oder „Lavapalooza“ auf die Beine. Sie sollen vergangenes Jahr bis zu 100 000 Gäste angezogen haben.

Virtuelle Clubs finanzieren sich durch Spenden

Gerade für kleinere Acts sind virtuelle Clubs und Festivals eine Möglichkeit, sich eigenständig zu organisieren und unabhängig zu machen. „Club Matryoshka“ hat es Wieneke und seinem Kollektiv erlaubt, sich vom westlich orientierten Mainstream abzusetzen, der die Szene in den Philippinen dominiert. Während Wieneke mit der Organisation von echten Events in Manila oft Schulden machte, trägt sich der virtuelle Club durch Spenden der Community. Er könne den Künstler*innen mittlerweile sogar höhere Gagen zahlen, als es bei echten Partys üblich sei. Und alle bekommen gleich viel.

„Die Leute kommen aus der ganzen Welt hierher und sie akzeptieren und lieben, was wir machen“, sagt Wieneke. „Diese Form von Gemeinschaft zu schaffen, ist ein tolles Gefühl.“ Er glaubt, dass solche virtuellen Raves Menschen zusammenbringen können, die sonst nicht viele Berührungspunkte haben: „Im Club Matryoshka mischen sich introvertierte Hacker und Gamer, die sonst nicht feiern gehen, mit klassischen Partytouristen. Durch die Zusammenarbeit mit dem CTM haben wir sogar unsere ersten Techno-Omas- und -Opas unter den Gästen“, erzählt Wieneke und lacht.

Der Club verwandelt sich für jedes Event ein wenig. Zur diesjährigen Ausgabe des CTM hat das mittlerweile zwanzigköpfige Team Acts aus aller Welt eingeladen, von lokalen Musikern der Philippinen bis zur britischen DJ Mary Anne Hobbs und der Berlinerin rRoxymore. Es wird Portale geben, die in andere Welten führen und erstmals soll auch eine kleine Geschichte erzählt werden. Darin solle es um den Kampf gegen den Faschismus und die Heilung eines verwundeten Planeten gehen, so Wieneke. Der Rest bleibt vorerst eine Überraschung.

Giacomo Maihofer

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