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Unbändig. Das Energiebündel Rayan Sarlak in der iranischen Familienkomödie „Hit the Road“.

© Celluloid Dreams

Festival "Around the World in 14 Films": Eine Faust geht nach Süden

Von Bolivien bis Indonesien: Das Berliner Festival "Around the World in 14 Films" versammelt wieder die Besten des Kinojahrgangs.

Von Andreas Busche

Wir erinnern uns noch schwach. Es gab, so lange ist das gar nicht her, mal eine Zeit (vor Netflix), als man an der Peripherie der Bundesrepublik mitunter sehr lange warten musste, bis ein kleiner Film die Provinzkinos erreichte. In Zhang Yimous Kulturrevolutions-Tragikomödie „One Second“ ist es der Filmvorführer selbst, der die Filmdosen mit einem Motorrad in das entlegenste Kaff kutschiert, damit die Landbevölkerung in den Genuss der neuesten Staatspropaganda (und natürlich der Stars des chinesischen Kinos) kommt. Das Kino ist in Zhangs Liebeserklärung aber mehr als nur ein Zeitvertreib, es kann auch zur Erinnerung an die vielen Millionen Menschen werden, die in der Kulturrevolution verschwanden.

Heute versucht das chinesische Regime, dieses dunkle Kapitel in seiner Staatsdoktrin auszublenden. 2019 wurde die Weltpremiere von „One Second“ auf der Berlinale kurzfristig abgesagt, offiziell wegen „technischer Probleme“. Dieter Kosslick erzählt in seiner Autobiografie von einem früheren, sehr kuriosen Besuch beim chinesischen Kulturminister, der ihm zu erklären versuchte, welche Art von Produktionen für ein internationales Filmfestival angemessen seien.

Mit drei Jahren Verspätung kann man sich im Rahmen des Festivals „Around the World in 14 Films“ nun ein Bild davon machen, warum der eher melancholische denn wütende „One Second“ dem Regime so ein Dorn im Auge war. Zhang Yimou galt einmal selbst als Staatskünstler, er inszenierte die olympische Eröffnungszeremonie 2008; inzwischen geht er wieder auf Distanz zur Politik. Der bescheidene „One Second“ ist eine Rückkehr zu alter Form, als Zhang mit Filmen wie „Das rote Kornfeld“ und „Heimweg“ ein Dauergast auf der Berlinale war.

Die Figur des „Filmfans“ (so der Name von Zhangs Vorführer) ist auch ein treffendes Bild für das Festival „Around the World“, das in seinem inzwischen sechzehnten Jahr (nach einer pandemiebedingten Pause) Filme aus den entlegendsten Kinoregionen nach Berlin holt. Das Programm ist mittlerweile um diverse Deutschland-Premieren wie den Eröffnungsfilm „The Worst Person in the World“ des Norwegers Joachim Trier, „Parallele Mütter“ des im Alter immer besseren Pedro Almodóvar und das Biopic „Spencer“ mit Kristen Stewart als Lady Diana angewachsen. Im Zentrum stehen aber weiterhin die titelgebenden 14 Filme, die noch einmal unterstreichen, wie reich und vielschichtig das verflixte Pandemie-Kinojahr tatsächlich war.

David Lynch trifft auf Hongkong-Klopper

Hervorzuheben sind auf den ersten Blick unscheinbare Perlen wie „El Gran Movimiento“ des bolivianischen Regisseurs Kiro Russo, der eine Gruppe sozialer Außenseiter bei einem schon aufgrund der dünnen Luft in der Anden-Stadt La Paz hyperventilierend-halluzinösen Trip ins Reich eines urbanen Schamanismus begleitet. Oder eine Gangsterromanze mit dem sagenhaften Titel „Vengeance Is Mine, All Others Pay Cash“ des indonesischen Regisseurs Edwin.

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Eine Mischung aus „Wild at Heart“ und den Hongkong-Kloppern der späten Achtziger, als Cynthia Rothrock und Michelle Yeoh Hollywood zeigten, wohin die Faust geht – nämlich südlich der Körpermitte. Schöner hat noch kein Martial-Arts-Film männliche Impotenz als politische Metapher benutzt.

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„Vengeance Is Mine“ gewann in Locarno den Hauptpreis, dürfte es aber schwer haben, einen deutschen Verleih zu finden. Auch darum ist „Around the World in 14 Films“ ein so wichtiges Schaufenster für das Weltkino in Deutschland, wo der cinephile Horizont oft nicht über französische Komödien hinausreicht. Joanna Hoggs autobiografischer „The Souvenir Part 2“ mit Tilda Swinton und Tochter Honor, einer der schönsten Filme des Jahres, wird dieses Schicksal vermutlich genauso ereilen wie das dokufiktionale Drama „Faya Dayi“ der äthiopischen Regisseurin Jessica Beshir.

Das Roadmovie „Hit the Road“ hat da zumindest den Namen seines Regisseurs auf der Habenseite. Panah Panahi ist der Sohn des großen Jafar Panahi, der im Iran noch immer auf sein Gerichtsurteil wartet. „Hit the Road“ deutet an, dass Panah über das erzählerische Talent seines Vaters verfügt, so glänzend wie er auf einer komischen Autofahrt durch majestätische Berglandschaften die Dynamik zwischen den Eltern und ihrem kleinen Sohn (umwerfend: Rayan Sarlak) immer wieder subtil verschiebt. Der Iran ist definitiv der lustigste Zwischenstopp auf dieser filmischen Weltreise. (Vom 2. -11. Dezember in den Berliner Kinos Kulturbrauerei, Neues Off und Delphi Lux)

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