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Akademistin Haeree Yoo kommt aus Seoul.

© Promo

Fernunterricht der Karajan-Akademie: Wilmersdorf ruft Seoul

Sirius macht’s möglich: Wie die Berliner Philharmoniker junge Nachwuchsmusikerinnen digital unterrichten.

Stefan de Leval Jezierski ist seit 1978 Hornist bei den Berliner Philharmonikern und lehrt seit mehr als 20 Jahren an der hauseigenen Karajan-Akademie. Noch vor vier Monaten hätte er sich kaum vorstellen können, hauptsächlich Musikunterricht über das Internet zu geben.

Jetzt sitzt er allein in seinem schallisolierten Home-Studio in Berlin-Wilmersdorf und wartet darauf, dass sich seine Schülerin Haeree Yoo aus dem über 8000 Kilometer entfernten Seoul zuschaltet. Neben dem Computer liegen Kopfhörer und ein externes Mikrofon – Jezierskis Set-up für den Online-Unterricht.

Die Hornistin stammt aus Seoul

Haeree Yoo ist eine von 36 Musikerinnen und Musikern aus 18 Nationen, die derzeit von der Akademie ausgebildet werden. Wie viele andere ist sie in der Coronakrise aufgrund der ungewissen Situation in ihre Heimat zurückgekehrt. Um die Arbeit fortsetzen zu können, sah sich die Akademie gezwungen, ihren Musikunterricht in den digitalen Raum zu verlegen.

Seitdem läuft dieser Teil der Lehre über die Videoplattform „Sirius“, die auf Anregung der Akademie entwickelt wurde. Im Unterschied zu den gängigen Kommunikationsplattformen ist das neue Portal nicht für Sprache, sondern für die Tonübertragung von Musikinstrumenten optimiert.

Doch nicht nur der Unterricht der Stipendiatinnen und Stipendiaten konnte durch die digitale Lösung vor einer Zwangspause bewahrt werden. Auch der Wunsch, gemeinsam das eigene Können weiterhin vor Publikum zu präsentieren, konnte online realisiert werden. Zuletzt mit dem „Carte Blanche Marathon“, einem dreistündigen Konzert, das live aus dem Kammermusiksaal der Philharmonie über den Youtube-Kanal der Karajan-Akademie gestreamt wurde.

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Mit den Lockerungen kehrt nun auch Stück für Stück ein Leben zurück, wie man es vor Corona kannte. Mit den Stipendiatinnen, die sich in Berlin befinden, wurde bereits der Präsenzunterricht wieder aufgenommen. Auch ein erstes Konzert mit Publikum ist angesetzt.

Die Räumlichkeiten der Berliner Philharmoniker bleiben zwar weiterhin für die Öffentlichkeit geschlossen, die Musikerinnen der Karajan-Akademie spielen aber am 27. und 28. Juni zwei Benefizkonzerte in der benachbarten St. Matthäuskirche. Maximal 80 Zuschauer, keine Blasinstrumente – der Eintritt ist frei.

Mit der schrittweisen Rückkehr zur Normalität werden auch die Gedanken darüber lauter, welche Erkenntnisse die Pandemie mit sich gebracht hat. Dabei ist vor allem der digitale Musikunterricht ein Ansatz, der auch künftig die Arbeit der Akademie unterstützen könnte. „Die Streams sind ein innovatives Format, auf das wir in Zeiten von Corona verstärkt zurückgreifen konnten, um nicht gänzlich auf Konzerte verzichten zu müssen.

Der Musikunterricht hat sich verändert

Sobald das physische Konzerterlebnis für das Publikum aber wieder möglich ist, werden Konzerte im digitalen Raum als ergänzendes Angebot wieder mehr in den Hintergrund rücken, anstatt derart im Fokus zu stehen wie in den vergangenen Monaten. Das kann vom Musikunterricht so allerdings nicht gesagt werden“, erklärt Peter Riegelbauer, Kollege von Stefan Jezierski bei den Philharmonikern und außerdem Geschäftsführer der Karajan-Akademie.

Durch die positiven Erfahrungen mit dem digitalen Musikunterricht sei eine neue Form des Austausches unter den Musikern ermöglicht worden, der vor der Coronakrise auf diesem Niveau nicht in Betracht gekommen wäre, sind sich auch Stefan und Haeree einig. Es könne nun zum Beispiel ernsthaft in Erwägung gezogen werden, sogenannte Master Classes online abzuhalten.

Um die halbe Welt fliegen kostet Zeit und schädigt das Klima

Da für diese Kurse teilweise um die halbe Welt geflogen wird, könnte damit viel Zeit gespart werden – ganz zu schweigen vom ökologischen Fußabdruck. Ferner würde digitales „Long-distance-teaching“ die Reichweite der Meisterklassen ungemein vergrößern. So könnten die Kurse der gefragtesten Dozenten und Dozentinnen einer viel breiteren Gruppe talentierter Musikerinnen zugänglich gemacht werden. Auch für Lehrende, die sich auf Tournee befinden und währenddessen bisher keinen Unterricht geben konnten, hätte das Konzept des digitalen Lernens großes Potenzial.

Dass das Lernen im digitalen Raum den Präsenzunterricht nie vollkommen ersetzen kann, steht außer Frage. Dennoch konnte die Akademie dank der neuen Form der Kommunikation über das Internet Teile ihrer Arbeit auch in der Zeit der Quarantäne auf höchstem Niveau fortsetzen. Und Haeree musste ihre Ausbildung trotz Corona nicht gänzlich unterbrechen.

Bruno Gaigl

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