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Autobahn

© dpa

Ferienbeginn: Gib Gummi!

Endlich Ferien, nichts wie weg – für viele beginnt der Urlaub auf der Autobahn. Acht Geschichten über das graue Band aus Asphalt, auf dem so mancher Reisende sein Ziel aus den Augen verliert.

Der berühmteste Autobahnsong stammt von der Elektropop-Band Kraftwerk; 1973 eroberte er als erster deutscher Hit die amerikanischen Charts. Kraftwerk besingt die A 555 von Köln nach Bonn, die 1932 als erste deutsche Autobahn von Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer eröffnet wurde: 20 Kilometer, vier Spuren, keine Mittelplanken, keine Kreuzungen. Der Golf- und Land-Club Köln verlor deshalb einen Teil seines 18-Loch-Platzes.

Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

Vor uns liegt ein weites Tal

die Sonne scheint – ein Glitzerstrahl!

Wir fahr’n fahr’n fahr’n auf der Autobahn

fahr’n fahr’n fahr’n ...

Fahrbahn ist ein graues Band

weiße Streifen

grüner Rand

Wir fahr’n ...

LOST HIGHWAY

Der Mittelstreifen rast unter den Reifen dahin, so schnell kann keiner gucken. Nacht ist es, rabenschwarze Nacht, der Mond fährt mit, die Schweinwerfer fräsen gleißende Kegel aus der Finsternis. Kaum dass etwas auftaucht, ein Baum, eine Planke, ein Schild, wird es von der Dunkelheit wieder verschluckt. Laterna magica, Möbiusband aus Asphalt, grau und grell, du denkst, so sieht Ewigkeit aus. Die roten Rücklichter der anderen sind plötzlich ganz nah, nur Sekundenbruchteile fehlen zum Crash. Es gibt Leute, die sind süchtig danach, aber vorbei, vergessen, vergangen. Du blinzelst hinterm Steuer, der Rückspiegel blendet, du siehst alles und nichts, wirst taub, die Straße dröhnt, die Anlage auch, Schreien wäre jetzt schön. Die Welt ein Schlund, das Leben ein Rausch, ein in rasender Geschwindigkeit sich abspulender Film. David Lynch hat es gezeigt, in „Lost Highway“, die flüchtige Erinnerung, den psychedelischen Traum, die Schlaglöcher des Bewusstseins, die implodierende Zeit.

Eines Nachts, auf der endlosen Fahrt aus dem Süden nach Hause, raste eine Sternschnuppe aus dem Nichts auf dich zu, fiel dir mitten ins Gesicht. Kollision mit einem Engel. Eine bessere Droge kriegst du nicht.Christiane Peitz

STAU

Warnblinker. Bremsen. Radio an. Fenster auf. Déjà-vu. In Goethes „Werther“ stehen sie zusammen, Werther und Lotte, warten auf den Regenbogen, sagen „Klopstock“ und haben sich verstanden, zwei Menschen, ein Autor, und ein Gedanke. Für uns Studenten, unterwegs auf der Autobahn, war es der Name „Cortázar“, der uns verband, kaum dass sich ein Stau abzeichnete, am Horizont, und der Blitz des Verstehens war der Beginn einer Liebe.

„Südliche Autobahn“, im schmalen, orangeroten Suhrkamp-Band, war der Erkennungstext, während man so nebeneinandersaß, im Stillstand, im Wartestand. Heute, noch einmal wiedergelesen, ist Julio Cortázars Erzählung von 1966 vor allem die Parabel auf die Entstehung der Gesellschaft, auf Gemeinschaft, Egoismus und Verantwortungsbewusstsein, das ganze Leben, mit Kindszeugung und Tod, festgehalten im Paradox des rasenden Stillstands, kein Fortkommen auf und von der Betonpiste, die Menschheit gefangen in Einzelkäfigen aus Blech, und jede Utopie von Nähe, gar Liebe, wird jäh auseinandergerissen, kaum dass der Tritt aufs Gaspedal wieder zieht. Die Liebe von damals, sie ist längst passé, unterwegs auf einer anderen Spur im Leben. Die Nähe, die aus der Erinnerung entsteht, die bleibt. Glücklich, wer im Stau ein Buch dabeihat. Christina Tilmann

PARKPLATZ

Früher war alles langsamer. Als die zweispurige Autobahn noch das Höchste der Geschwindigkeitsgefühle war, konnte man beim Blick durch die Seitenscheibe anwohnenden Kühen beim Muhen zuhören sowie beiwachsenden Wiesen beim Blühen zusehen. Und alle paar Fahrminuten zeigten putzige blaue P-Schilder den nächsten Parkplatz an. Wenn der gemächliche Kilometerverdauungsvorgang dann eine Pause verlangte, ging’s nach sachtem Abbremsen rechts raus in die kopfsteingepflasterte Warteschleife – mit angrenzendem Wäldchen.

Heute, da ein schnelles Auto nicht 90, sondern eher 290 PS unter der Haube führt, ist der Autobahnparkplatz reichlich démodé. Pausiert wird in den mit großem Abstand residierenden Raststätten, ausgebaut zu Kathedralen des Trivialkonsums. Rund um Berlin wurden nach der Wende die antikapitalistischen Ruhezonen der in DDR-Zeiten denkmalpflegerisch vorbildlich konservierten Reichsrennbahn mal eben mitplaniert. Überlebt hat an den meist dreispurigen Eilmeilen heute nur mehr das Jausenpausen-Areal mit WCSchlösschen sowie platzausgangs turbotauglicher Beschleunigungsspur.

Romantisch aber, verwunschen gar ist an diesen unbewirtschafteten Rändern der Raserei nichts mehr. Vielmehr scheinen sie ausdrücklich dazu angelegt, die Vorbeijagenden für ihre ökonomische Abschöpfungsbereitschaft auf der nächstschlechtesten Raststätte gefügig zu machen. Den Parkplätzen geblieben ist nur die anrüchige Funktion nächtlicher Treffs erotisch Gleichgesinnter – allerdings, wie’s im Internet raunt, ohne finanzielle Interessen. Oha! Antikapitalismus bleibt Ehrensache. Auf Autobahnparkplätzen zumindest. Jan Schulz-Ojala

TRAMPEN

Neulich stand eine junge Frau am Straßenrand in Pankow, mit einem Schild in der Hand, auf dem „Hamburg“ stand. Eine Tramperin! Wo das Trampen doch zu einer ausgestorbenen Fortbewegungsart gehört! Mitte der 90er Jahre verschwanden die Tramper fast spurlos, zumindest von den Autobahnen, ihren Raststätten (wo gerade junge Familien sie fürchteten), ihren Auffahrten (wo sich mancher Autofahrer mit coolem Zeigefinger-nach-unten- Halten für „Ich bleibe in der Gegend“ aus der Affäre zog). Die einen sagen, das Internet hätte das Trampen gekillt, die vielen Mitfahrportale. Die anderen meinen, Trampen habe sich überholt. Schließlich gab es schon vorher in jeder Uni-Stadt Mitfahrzentralen und unzählige „Biete-MFG“Zettelchen an schwarzen Brettern.

Von überzeugten Trampern wurden diese Angebote nie genutzt: Wer sein Auto volllud und Benzingeld wollte, gehörte einer verdächtigen Gattung Mensch an, kleinkarierte Spießer eben. Dann lieber Geschäftsleute (oder Freaks), die quatschen wollten, gern mal 200 fuhren, mit einer Hand lenkten und mit der anderen gestikulierten. Trampen hatte mehr mit einem unbestimmten Freiheitsgefühl zu tun als mit einem kleinen Geldbeutel.

Dann kamen die Wiedervereinigung und Techno, und es war vorbei. „Der Transit war der letzte Ort, an dem man sich Geschichten erzählen konnte“, hieß ein Diktum des Schriftstellers Thorsten Becker. Geschichten konnte man sich beim Trampen immer erzählen. Lebens- und Liebesgeschichten, Rock-’n’-Roll-Erzählungen. Inzwischen ist der Tramper selbst Literatur: Thomas Klupp hat mit „Paradiso“ gerade einen wunderbaren Roman über einen jungen Mann geschrieben, der beim Trampen von einer Unvorhersehbarkeit in die nächste gerät, irgendwann in seiner Heimatstadt landet und dabei sein Leben getreulich nacherzählt. Beginn einer Tramper-Renaissance? Gerrit Bartels

SEKUNDENSCHLAF

War da was? Fünf Uhr früh, zwischen Hamburg und Würzburg. Vollbesetzter Pkw. Alle schlafen, bis auf den Fahrer. Autobahn ist Monotonie. Leitplanke. Mittelstreifen. Scheuklappe. Zwielicht. Percussion. Schlafen heißt fallen. Steuern heißt totale Konzentration. Totale Konzentration. Schlafen und Steuern vertragen sich schlecht. Schlafen ist Träumen. Steuern: Totale Konzentration. Wie ein Roboter, ein träumender Roboter … War da was? Ein wallendes Wolkenbett. Plötzlich fährt das Auto auf der anderen Spur. Wer weiß, wie es da hingekommen ist. Eine Gabelung: Wieso fahren wir jetzt Richtung Westen? Der Fahrer reißt die Augen auf: Nie! Nie mehr! Nie mehr solch ein Risiko! Manche Leute schlafen nur im Bett. Andere haben Urvertrauen; wer sich fallen lässt, schläft überall. Schlafen ist ein bisschen wie: sterben. Gute Vorsätze haben Halbwertszeiten. Steuern heißt: totale Konzentration. Zehn Jahre später. Früh um drei, Autobahn Berlin – Bochum: Ein Morgentermin wartet, es geht nicht anders. Baustellen! Baustellen! An der Raststätte: Schoka-Kola. Kaffee. Dann: Fenster auf. Musik. Baustellen! Der Sekundentraum, Sekundentod bläst die Karre in den Graben. Der Schläfer erwacht. Reißt das Steuer rum. Den rasenden Wagen hoch. Zurück in die Spur. War da was? Thomas Lackmann

STOP AND SHOW

„Traumstraße der Welt“ hieß in meinen Kindertagen ein toller Kinofilm von Hans Domnick. Mit dem Auto über die Panamericana, durch Dschungel und Anden. Inzwischen führt die Panamericana tatsächlich fast lückenlos von Alaska nach Feuerland. Ein Traum. Ein Albtraum. So viel fahr’n, fahr’n, fahr’n. Früher war ich ein Raser, heute bin ich lieber ein Easy Rider, aber die 70 Meilen Highway-Höchstspeed auf den US-Autobahnen sind mir doch viel zu langsam. Zu einschläfernd, wenn es nicht gerade atemberaubende Ausblicke gibt. Meine Traumautobahnen sind fast immer die an Bergen über dem Meer. Eine Mischung aus dem Highway entlang der kalifornischen Pazifikküste zwischen Frisco und L. A. – und der Amalfi-Küstenstraße zwischen Sorrent und Ravello, südlich von Neapel.

Ganz wunderbar ist auch die Autobahn von der französisch-spanischen Grenze durchs Baskenland von San Sebastian nach Santander: grünster Süden, an den Pyrenäenhängen Allgäuer Almen, aber in Spanien, und tief unter der Straße schäumt der Atlantik. Bei solcher Aussicht würde mich auch ein Stau nicht so stören, den ich immer fürchte, doch diesmal insgeheim ein wenig herbeisehne. Denn das wäre der Triumph meiner neuwagigen ersten Start-&-Stop-Automatik. Die wirkt so blue-hightechmäßig und ökologisch wie ökonomisch beeindruckend, dass ich schon ganz geil bin an jeder Ampel, auf dass sich der Motor gleich ausschalte. Also wird der Fahrer zum Halte-Fan, der ausgerechnet den Moment des Nichtfahrens liebt. Eine Absurdität, der reine Widerspruch. Freie Fahrt für freie Abwürger! Peter von Becker

FREIE FAHRT

Unser Nachbar hatte in seiner Garage einen alten Jaguar E-Type stehen, wie Jerry Cotton ihn fuhr. Sonntags schob er das Garagentor auf, zog die hellbraunen Lederhandschuhe an, die er eigens für diesen Zweck aufbewahrte, und fuhr los. Kamener Kreuz hin und zurück. Wir kriegten davon nie etwas mit. Wenn einer von uns mit dem Fahrrad zum Bäcker fuhr, waren Wagen und Fahrer wieder zurück und glühten langsam aus. 350 Kilometer im Morgengrauen. Der Motor brauche das, hieß es. Zwölf Zylinder, 275 PS.

So schnell, wie man will, das ist der Autobahntraum. Das heilige Versprechen der Mobilität. Fragt sich nur: Wo? Ist doch immer alles dicht. Die A 2 zum Kamener Kreuz steht von jeher ganz oben im Verkehrsmeldungs-Ranking und für den latenten Kollaps einer Infrastruktur, die sich von der Rennstrecke längst zum schienenlosen Güterzug entwickelt hat. Aber es gibt sie trotzdem noch, die freie Fahrt. Auf der Ostseeautobahn zum Beispiel, der A 20. Plötzlich, hinter dem Dreieck Uckermark, gähnende Leere. Zuerst ein Unbehagen: Warum ist denn hier keiner? Haben die nach uns die Autobahn abgesperrt? Ist dieses Teilstück vielleicht noch gar nicht freigegeben? Kommt da vorne eine Baugrube?

Ach, was. Gib Gummi!

Der alte Motor braucht das nicht. Sechs Zylinder, 110 PS, geben nicht viel her, außer blechernen Lärm. Trotzdem ist das innere Juchzen lauter. Immer muss man irgendwo anstehen, sich einreihen, seinen Unmut bremsen über Leute, die das alles nicht tun und drängeln. Bahn frei, pflegt man auf der Rodelpiste zu rufen, aber einer kommt einem immer in die Quere. Hier ist sie es mal: eine Bahn, nur für uns da, nur für uns ausgegeben all die Steuermillionen. Die Autobahn ohne Autos, das ist die wahre Autopie. Kai Müller

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