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© Foto/Videostill: Kate Gilmore

Feministische Kunst: Der große Unterschied

Die Berliner Akademie der Künste zeigt Aktionskunst von Feministinnen. In der Ausstellung „re.act.feminism" sucht man allerdings vergebens nach der Kraft des Aufbegehrens.

„Keine Angst, die Wahrscheinlichkeit, dass ich danebenschieße, ist gering“, beruhigt Cornelia Sollfrank das Publikum. Mit Hochfrisur und Gewehr in der Hand tritt die Künstlerin am Eröffnungsabend vor die Staffelei. Sie will die Schießbilder von Niki de St. Phalle neu in Szene setzen. Auf der Leinwand sind Farbbeutel unter einer Gipsschicht befestigt. Die Wand im Hintergrund ist dick mit Styropor verkleidet, damit der emanzipatorische Akt den Bestimmungen der Baupolizei Genüge tut. Kugel für Kugel schießt Cornelia Sollfrank auf die gipsernen Erhebungen. In kleinen Tropfen tritt die Farbe aus den Beuteln. Schießbilder sind ein mühseliges Geschäft, das dabei entstehende Werk wirkt eher brav. Von der Wut, die Niki de St. Phalle einst bewegte, diesmal keine Spur.

Die Kraft des Aufbegehrens sucht man in der Ausstellung „re.act.feminism – Performancekunst der 1960er und 70er Jahre“ in der Berliner Akademie der Künste vergebens. Die Arbeiten verlegen sich aufs Reagieren statt aufs Agieren. Sie spiegeln das Gefühl der Unterdrückung wider, überwinden es aber nicht. Allerdings steckte das Genre zu dieser Zeit auch noch in den Anfängen, und die Medien zur Aufzeichnung der Performances erreichten allenfalls Amateurqualität. Flaue Videobilder und maue Fotografien belegen, dass die Aktionen für den Moment gedacht waren, nicht für die Nachwelt.

Heute aber, meinen die Kuratorinnen Bettina Knaup und Beatrice E. Stammer, besteht verstärktes Interesse an den Avantgarden der Sechziger und Siebziger. Der Besucherandrang am Eröffnungsabend gibt ihnen recht. Gekommen sind junge Eltern mit Kinderwagen, Frauen in High Heels, Männer mit Trinkfläschchen für den Säugling. Krabbelkinder proben den Aufstand gegen Autoritäten, indem sie Absperrungen unterlaufen. Vor allem beim Auftritt von Carolee Schneemann, einer der Pionierinnen feministischer Performance, blitzt für Momente die Subversivität und Radikalität dieser Kunstform auf. „Ich war schamlos“, kommentiert die 69-jährige Amerikanerin ironisch ihre Versuche, mit dem nackten Körper Tabus zu brechen. „Meat Joy“ (1964), eine Orgie mit toten Fischen und Hühnern, besitzt als Tanz zwischen Sodom und Gomorrha noch heute Kraft.

Weil sie um die Schwierigkeiten bei der Archivierung von Performancekunst wissen, haben die Kuratorinnen ein Videoarchiv angelegt. Außerdem werden vom 22. bis 25. Januar nochmals Performerinnen auftreten, denn Film und Ausstellung fehlen die Interaktion mit dem Publikum. Zu Valie Exports Arbeit „Hyperbulie“ (1973) etwa, bei der die Künstlerin nackt durch einen Verhau mit Elektrodrähten schlüpfte, bis sie von den Stromschlägen erschöpft zusammenbrach, gehört unbedingt die Zuschauerreaktion. Am Hanseatenweg ist nur die Installation rekonstruiert. Immer noch beängstigend die weibliche Variante der Aggression: die Selbstzerstörung.

Neu ist der Blick nach Osten. Mit Körpereinsatz und Rollenspielen erkämpften sich die Künstlerinnen innerhalb der autoritären Staates winzige Nischen spielerischer Freiheit. Die polnische Konzeptkünstlerin Ewa Partum wehrte sich gegen die sozialistischen Klischees von Weiblichkeit, indem sie nackt durch die Straßen von Warschau lief. In Erfurt gründete Gabriele Stötzer 1984 die Frauengruppe Exterra XX, die sich mit einer Mischung aus Modenschau und Selbsterfahrungsgruppe Freiraum eroberte.

Bei der jüngeren Generation wurden Arbeiten ausgewählt, in denen sich die Mühsal des Frauenlebens spiegelt. Kate Gilmore versucht mit Rollschuhen eine Kletterwand zu erklimmen; am Ende ist man mit ihr müde und sehnt sich nach der kraftvollen Absolutheit von Marina Abramovic oder der verspielten Sinnlichkeit von Pipilotti Rist.

Woher rührt das aktuelle Interesse an den Revolten der sechziger und siebziger Jahre, nachdem bereits auf der jüngsten Documenta die Emanzipationsbestrebungen Thema waren und der Hamburger Bahnhof den politischen Beuys zeigt? Mit der Finanzkrise ist das Modell des männlichen Helden erneut gescheitert. Die ehemals sozialistischen Länder fangen erst an, antiautoritäre Strömungen im eigenen Land zu akzeptieren. Die Vereinigten Staaten zelebrieren den Wechsel. Vielleicht liegt Aufbruchstimmung in der Luft. Die Kunst kann sie aufgreifen.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 8. 2.; Di-So 11-20 Uhr

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