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Rhinozeros und Reiter. „Die Schwarze Botin“ wirbt für ihren Stand auf der Frankfurter Buchmesse.

© Abbildung: Wallstein

Feminismusgeschichte: Phallokratie im freien Fall

Nachrichten aus der feministischen Ursuppe: Eine Dokumentation zum Berliner Magazin „Die Schwarze Botin“.

Schon einmal, 16 Jahre nach ihrem Ableben, wurde „Die Schwarze Botin“ zu neuem Leben erweckt. „Remastered und Remistressed“ fand die anarchistisch-feministische Kampfzeitschrift 2013 in einer von Barbara Ehnes nachinszenierten Redaktionskonferenz auf die Bühne des Wiener Schauspielhauses. Der Wallstein Verlag und der Historiker Vojin Saša Vukadinović haben die Botinnen nun von Neuem aus der feministischen Unterwelt geholt.

[Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976 – 1980. Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 508 Seiten, 36 €.]

Wie kaum ein anderes Medium spiegeln sich in der zwischen 1976 und 1987 erschienenen Zeitschrift die Debatten, Widersprüche und Zerreißproben der Neuen Frauenbewegung, die früh in Aufstiegswillige zerfiel, die in zuvor männliche Domänen strebten, in Apostelinnen einer neuen Weiblichkeit und kompromisslose Kämpferinnen gegen die „Phallokratie“ zerfiel: „Hüten Sie sich, wenn Sie Phogerln noch so phressen sehn, in diesen phalen Sphären… misstrauen Sie ihm, wo Sie ihn antrephen“, schrieb Elfriede Jelinek 1985.

Zu den Kompromisslosen gehörte das von Gabriele Goettle und Brigitte Classen ohne jeglichen institutionellen Hintergrund gegründete Blatt, das, wie Vukadinović im Vorwort erhellt, eigentlich als therapeutisches Vehikel gedacht war: Es sollte Classen von ihrer alkoholschwangeren akademischen Schreibhemmung erlösen. Das Programm gab also keine Gruppe oder Strömung vor, sondern das in der damaligen Berliner Subkultur berühmt-berüchtigte lesbische Paar, das selbstbewusst verkündete, mit ihren Beiträgerinnen nur für „die Wenigsten“ konsumierbar zu sein.

Gepflegte Feindschaften innerhalb der Frauenszene

Die dezidierte Abgrenzung gegen die schon bestehende „Courage“ und Alice Schwarzers bald darauf aus der Taufe gehobene „Emma“, die beide erheblich größere Reichweiten erreichten als die 3000 Exemplare der „Schwarzen Botin“, war ebenso intendiert wie die „gepflegte Feindschaft“ gegenüber dem Selbsterfahrungs- und Authentizitätskult der damaligen Frauenszene. So polemisierte Goettle gegen den „klebrigen Schleim weiblicher Zusammengehörigkeit“ und das „neu zu schaffende Frauenfühlen“.

„Die Schwarze Botin“ verstehe sich als Satirikerin und sei damit „unversöhnlich mit dem jeweiligen Objekt ihrer Satire“. Humor gehe ihr vollkommen ab. Stein des Anstoßes war Verena Stefans im Jahr zuvor erschienenes Kultbuch „Häutungen“, dessen verquaste Pflanzenmetaphorik Gegenstand bissigen Spotts war.

Die böse Satire „als Technik zur Entlarvung des falschen Denkens“ bekamen aber nicht nur die Konkurrenzblätter zu spüren, die ihren Leserinnen durch die „rechnungsfähige Frau S.“ ausbeute und ihnen „Schonkost“ wie die „Courage“ verordne.

Früh wenden sich die Botinnen auch gegen all jene Bestrebungen, die eine in dieser Zeit viel diskutierte „weibliche Ästhetik“ aus der „,Kernenergie’ der Eierstöcke“ hervortreiben oder aus den Inhalten weiblicher Unterdrückung ableiteten und dabei lediglich das Vokabular auswechselten.

Elfriede Jelinek reklamierte dagegen ganz andere Methoden, um Ausbeutung erfahrbar zu machen. Silvia Bovenschen lobte Christa Reinigs umstrittenen Roman „Entmannung“, weil er gerade nicht zur Identifikation einlade. Ohnehin, so Rita Bischof, sei „der Begriff der Identität, der die Logik des Einen und Gleichen“ beinhalte, in Frage zu stellen. So legte „Die Schwarze Botin“ eine auch personell verbürgte Spur – einige Beiträgerinnen hatten in Paris studiert oder dort gearbeitet – zur neueren französischen Theorie und forderte die auf Kollektividentität beharrende deutsche Frauenbewegung mit dekonstruktivistischen Denkentwürfen heraus.

Blick nach Frankreich

Vorgestellt wird etwa die Psychoanalytikerin Luce Irigaray, die Herausgeberinnen interviewen Helène Cixous, und Eva Meyer entwirft im Rückgriff auf ihre Gewährsfrau Julia Kristeva eine Theorie der Weiblichkeit, die sich der Anpassung an die männliche Norm ebenso entzieht wie dem feministischen Begehren nach Identität. Es ist wohl der einzige Text, der sich auf Marx bezieht, um die zentralen Begriffe der Negativität und Heterogenität in den feministischen Diskurs einzuspeisen.

Mit der linken Theorie und ihren Vertreterinnen nämlich standen die Botinnen auf Kriegsfuß, wie sie sich überhaupt selten auf die Niederungen der Arbeit und des Sozialen einließen. Die um Distinktion bemühte Zeitschrift führte vor, dass sie das Beil, so Christiane Ketteler und Magnus Klaue in ihrem sprachkritischen Nachwort, am liebsten dort ansetzte, wo die Botinnen Mittelmaß vermuteten. Der Begriff der Trennung – statt „Häutung“, die nur das immer Gleiche hervorbringt – war der Psychoanalyse entliehen und schleppte den Tochter-Vater-Konflikt und den Mutterhass in den politischen Streit.

Es war deshalb kein Zufall, dass neben der Lyrik die Bildende Kunst, die das weiblich Unbewusste nachdrücklicher aufrief als etwa die Literatur, in den Fokus ästhetischer Auseinandersetzung rückte und mit der Malerin Sarah Schumann und ihren Arbeiten prominent vertreten war.

Österreichische Gewächse an der Spree

Ab der 13. Ausgabe der Schwarzen Botin war die Karikaturistin Elisabeth Kmölniger mit an Bord, wie Jelinek, Elfriede Gerstl oder Heidi Pataki ein österreichisches Gewächs. Nach der Trennung von Brigitte Classen wurde die 2018 von eigener Hand gestorbene Kmölniger Wegbegleiterin Goettles. Sie brachte eine neue unverwechselbare visuelle Note ins Blatt, allerdings schon in einer Zeit, als auch den Botinnen mit dem inneren Zusammenhalt auch der Wille nach Schärfe abhanden zu kommen drohte.

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Goettles „Sprengsätze“ fanden keine lohnenden Objekte mehr, und sie verlor das Interesse an ihrem Projekt, das nach ihrem Ausstieg 1980 zwar weiter existierte, aber keine szeneinternen Tumulte mehr entfachen konnte. Die feministischen Avantgarde zerstreute sich in künstlerische und akademische Karrieren oder blieb wie Goettle und Kmölniger kritische Tiefenschürferinnen gesellschaftlicher Befindlichkeit. Bemerkenswert, aber durchaus im Sinn der zum Teil schon verstorbenen Botinnen ist, dass ausgerechnet ein Mann sie wieder aus dem Dunkel holt.

„Wir verwenden auch das von Männern Gedachte“, erklärte Gabriele Goettle 1976 gegen das blinde Männerverbot der Bewegung. Vukadinović erklärt übrigens auch den rätselhaften Titel: Der Anekdote nach soll Goettle bei der Entscheidung über den Namen des Blattes an den ihr aus Kindheitstagen vertrauten „Schwarzwälder Boten“ gedacht haben, der im 19. Jahrhundert die ersten Fortsetzungsromane für die „Schwarzwaldmädle“ druckte. Auf der gleichbleibenden Titelcollage der Hefte blickt die Frau aus ihrem schwarzen Rand hinaus ins Weite, nach Wien vielleicht oder Berlin, als erwarte sie von dort ein Zeichen.

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