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Geht da was? Mara (Henriette Confurius), flankiert von Jan (Flurin Giger) und Kerstin (Dagna Litzenberger Vinet).

© Salzgeber

Feinnerviges Filmdrama über Twens in Gefühlsnöten: Frauen, die in Fluren stehen

Zwischen den Umzugskartons: "Das Mädchen und die Spinne" zeigt ein knisterndes Bindungsgeflecht. Und bekam den Encounters-Regiepreis der Berlinale.

Blicke sind alles in diesem fein gesponnen Beziehungsnetz. Und alles muss raus. Zumindest alles, was Lisa in der Wohnung gehört. Lisa zieht aus.

Mara und Markus, ihre Mitbewohner bleiben zurück. Und wenn Maras knisternde Blicke nicht trügen, ist Lisa (Liliane Amuat) mehr als eine WG-Genossin oder Freundin für sie. In den blauen Augen von Henriette Confurius, die eine hintergründige Mara spielt, nisten Liebe, Eifersucht und die Art von Mutwillen und Grausamkeit, die aus Kränkung entsteht.

Total normal mit Ende 20

Wobei es gut sein kann, dass Lisas einziges Vergehen darin besteht, Mara allein im alten Leben zurückzulassen, weil es für sie Zeit ist, ein neues in der eigenen Wohnung zu beginnen. Total normal, wenn man Ende 20 ist. An der somnambulen Art jedenfalls, mit der Mara als Beobachterin in Lisas Ein- und Auszugschaos herumsteht, lässt sich ablesen, dass sie sich wie jener Wurm fühlt, der eine Hälfte seines Körpers eingebüßt hat.

„Das Mädchen und die Spinne“, der zweite Film der an der Berliner Dffb ausgebildeten Schweizer Brüder Ramon und Silvan Zürcher, ist genauso eigenwillig geraten wie ihr Erstling „Das merkwürdige Kätzchen“.

Dessen geräuschintensive Impressionen aus dem Alltag einer erstarrten Familie mauserten sich nach der Premiere im Berlinale-Forum 2013 zu einem internationalen Festivalhit. In „Das Mädchen und die Spinne“, der auf der diesjährigen Berlinale mit dem Encounters-Regiepreis prämiert wurde, zeigen die Zwillinge nun erneut Mut zum erzählerischen Experiment in formaler Strenge.

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Das Ergebnis ist ein tragikomisches und surreales Boulevardtheater für Intellektuelle. Ein stetes Rein- und Rausgehen der Personen, ein Hin- und Hergetrage von Kartons und Möbeln, ein Herumstehen in Fluren, Küchen, Bädern, bei dem poetische, wie aufgesagt klingende Dialoge die Banalität der Alltagsgeschäfte kontrastieren. Ein irritierender Verfremdungseffekt, der von der Bedeutsamkeitshuberei nahtlos in die Doppelbödigkeit kippt.

Den Eindruck, einem Kammerspiel in Theaterkulissen beizuwohnen, verstärkt auch die sorgfältige Farbdramaturgie. Den kühlen Blau-, Grau- und Weißtönen, in die sich Mara, Astrid und die Handwerker kleiden, stehen warme Rot-, Gelb- und Sandtöne bei Markus, Lisa und Nachbarin Kerstin gegenüber. Auch sie ist Teil des erotischen Geflechts, das von Maras Zentralperspektive aus in alle Richtungen wuchert.

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Vor der statischen Kamera von Alexander Hasskerl, die immer nur Gesichter und Oberkörper fixiert, niemals schwenkt und keinerlei Orientierung oder Raumgefühl zulässt, spielt sich eine Choreografie der Anziehung und Abstoßung ab. Die Bewegungen und Blicke der Möbelpacker Jurek (André Hennicke) und Jan (Flurin Giger) sind davon genauso Teil wie die von Mara, Lisa, deren Mutter Astrid (Ursina Lardi) und Mitbewohner Markus (Ivan Georgiev).

Als belebende Chaosfaktoren wirken Kinder, Nachbarinnen und Tiere. Genauer zwei Hunde, ein Katze und die symbolische Spinne, die sich als Umzugsmeisterin jederzeit von einem Ort trennen und woanders ihr Netz weben kann. Genau das, was Mara, anders als Lisa, nicht gelingen will.

Auf die Abschiedsparty folgt eine wilde Gewitternacht

Zwei Tage und eine wilde Nacht, in der Lisas Abschiedsparty in der alten Wohnung sich als krachendes, sexuell aufgeladenes Gewitterunwetter entlädt – mehr Erzählzeit brauchen die Zürcher Brüder nicht, um den schwankenden Grund unter den Lebensentwürfen urbaner Twentysomethings zu enthüllen.

Damen mit Spinne. Lisa (Liliane Amuat) zieht aus, Mara (Henriette Confurius) bleibt zurück.
Damen mit Spinne. Lisa (Liliane Amuat) zieht aus, Mara (Henriette Confurius) bleibt zurück.

© Salzgeber

Als Würze in diesem Panoptikum der stinknormalen Einzigartigkeit dienen Gespensterfiguren wie Nachbarin Nora, die „Frau ohne Haut“. Sie könne sich nicht schützen, erzählt Mara den sich gruselnden Kindern und sei deswegen zu Trauer und Distanz verdammt. „Sie sehnt sich nach Menschen, aber sie verschmilzt so schnell mit ihnen wie flüssige Lava.“

[In den Kinos Brotfabrik, Delphi Lux, Fsk, Zukunft]

Ähnlich mysteriös verhält es sich mit der einsamen Frau Arnold, die Katzen kidnappt und nachts als Hexe auf dem Dach steht. Und mit der Figur des Zimmermädchens, dem einst das Klavier in Maras Wohnung gehörte, und die jetzt auf einem Dampfer über den Ozean schippert. In Szenen, die „Das Mädchen und die Spinne“ um einen melancholisch-nostalgischen Touch Wes Anderson weiten.

Ansonsten fühlt man sich im Zürcher Universum mal an die Komik endloser französischer Beziehungsplaudereien von Altmeister Eric Rohmer erinnert, mal an die Strenge und Feinfühligkeit der Menschenortungen von Angela Schanelec. Beides erklärte Vorbilder von Ramon und Silvan Zürcher. Im dritten Teil ihrer Tetratologie menschlicher Beziehungen soll es wieder um die Plattentektonik in einer Familie gehen. Der possierliche Titel „Der Spatz im Kamin“ steht schon fest. Wer wohl der Vogel in diesem Szenario ist?

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