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Der Kinoschreck Rainer Werner Fassbinder (Oliver Masucci) mit seiner Teilzeit-Lebenspartnerin Gudrun (Katja Riemann).

© Bavaria

Fassbinder-Biopic im Kino: „Enfant Terrible“ interessiert sich nur für den Exzess

Warum fällt es dem deutschen Film so schwer, Rainer Werner Fassbinder zu würdigen? Oskar Roehlers überdrehte Farce ist laut und vulgär.

Von Andreas Busche

Fehlt Rainer Werner Fassbinder dem deutschen Kino? Die Frage kommt alle paar Jahre wieder auf, meist anlässlich runder Jubiläen. In zwei Jahren ist Fassbinder 40 Jahre tot, sie wird dann wieder gestellt. Das ist umso bemerkenswerter, weil auch der deutsche Film bislang keine befriedigende Antwort gefunden hat.

Der bedeutendsten „Bewegung“ im deutschen Kino nach Fassbinder, der sogenannten Berliner Schule, gilt Fassbinder nicht als Säulenheiliger; bezeichnenderweise. Wenigstens das haben sie mit ihm gemein: auch ihr Ansehen ist international höher als im eigenen Land.

Die Frage, ob Fassbinder dem deutschen Kino fehlt, lässt sich auch deshalb so schwierig beantworten, weil man sich zunächst darauf einigen müsste, welcher Fassbinder eigentlich gemeint ist. Welche Facetten des Filmemachers sind so zeitlos, dass dieser Gigant des deutschen Films immer noch als Bezugsgröße gesucht wird? Viele seiner Zeitgenossen drehen schließlich noch Filme.

Genial und manipulativ

Die Texte zu Fassbinders 75. Geburtstag und die Nachrufe auf seine „Muse“ Irm Hermann erinnerten Ende Mai, innerhalb einer Woche, noch einmal daran, was dieses Vermächtnis eben auch ausmacht. Fassbinder war ein Manipulator, der weder sich noch seine Liebhaber und schon gar nicht seine Darstellerinnen schonte.

Als „launisch“ und „boshaft“ beschreibt ihn im Tagesspiegel seine Weggefährtin Heide Simon, Irm Hermann aber brauchte Jahre, um sich von Fassbinders „Bosheiten“ zu erholen. In den vergangenen drei Jahren sind einige Größen des Kulturbetriebs wegen ihrer missbräuchlichen Umgangsformen in Ungnade gefallen. Fassbinder wird immer noch zugute gehalten, dass seine „Familie“ ihn bis heute verteidigt. Die Psychologie spricht auch vom „Stockholm-Syndrom“.

Es ist kein Ikonoklasmus, daran zu erinnern, wenn ein Mythos derart verklärt wird. Besonders vor dem Hintergrund, welche Erinnerungsarbeit der deutsche Film fast 40 Jahre nach Fassbinders Tod leistet. Oskar Roehler versucht gar nicht zu verhehlen, was ihn an Fassbinder am meisten interessiert, der Titel „Enfant Terrible“ verrät es bereits.

Der Begriff ist in den seltensten Fällen eine Selbstbeschreibung, er bezieht eine Außenperspektive; noch dazu eine, die sich mehr für die Form als für die Inhalte interessiert. Das gilt auch für Roehlers Film, müsste aber auch nicht per se schlecht sein. Wofür sich "Enfant Terrible" hingegen schon interessieren sollte, sind die Verführungskünste Fassbinders, der bei Roehler weder besonders sexy noch sehr charismatisch wirkt.

Der Mythos RWF wird bedient

Nur dass man bei diesem Begriff automatisch ein Bild vor Augen hat, dass die Feinde Fassbinders nach seinem Tod von ihm verbreitet haben. Die koksende Rampensau, der der Rotz aus der Nase hängt, den Macker in Lederjacke und Sonnenbrille, der sich auf dem Stuhl fläzt, den Regie-Diktator, der seine Untergebenen vor der gesamten Crew zusammenscheißt, den Egomanen, der seinen ehemaligen Geliebten in den Suizid treibt. Auch „Enfant Terrible“ sucht den Exzess.

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla bei den Dreharbeiten zu "Die Ehe der Maria Braun".
Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla bei den Dreharbeiten zu "Die Ehe der Maria Braun".

©  Istvan Bajzat/dpa/Picture Alliance

Der Ton des Film ist schnell gesetzt, „Enfant Terrible“ zurrt fünfzehn Jahre auf 135 Minuten zusammen, 1967-82. Oliver Masucci spielt Fassbinder schon in jungen Jahren als die Ikone RWF: mit Schnauzer, speckiger Lederjacke und Plauze, die später immer offensiver unter dem aus der Hose hängenden Hemd hervorquillt.

Masucci hat äußerlich wenig mit Fassbinder gemein, doch das ist fast egal, weil es Roehler ohnehin nur um den Mummenschanz geht. Leben und Werk inszeniert er als Farce, konsequenterweise spielt „Enfant Terrible“ in Theaterkulissen. Das Szenenbild hat Roehler selbst entworfen.

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Bei den Dreharbeiten zum Brecht-Western „Whity“ beschwert sich Günther Kaufmann (Michael Klammer) einmal, dass die Tür, die er aufreißen soll, nur aufgemalt ist. Ein netter, selbstreferentieller Witz.

Doch in der Zweidimensionalität der Kulissen kommt Masuccis Körpereinsatz umso besser zur Geltung, er rast wie eine Abrissbirne durch die Bühnenbilder; man kann sich dieser Wucht nur schwer entziehen. Aber es ist auch, zumal für Roehler, die offensichtlichste Methode, sich an Fassbinder abzuarbeiten: immer laut, immer vulgär, kotzen, schwitzen, ficken. Tourette-Kino.

Politik ist nur ein Nebengeräusch

Der politische Filmemacher Fassbinder gerät dabei leicht in Vergessenheit. Die Bundesrepublik ist in „Enfant Terrible“ nur ein Nebengeräusch. Noch einmal sitzt ein hysterischer Fassbinder mit der Mutter am Tisch, die im Deutschen Herbst von einem „lieben Diktator“ träumt.

Doch es wird gerade nur sein Beitrag zu „Deutschland im Herbst“ gedreht; auch die Politik wird bei Roehler zum Re-Enactment. Dass sein Kumpel Masucci jetzt neben Adolf Hitler auch Fassbinder gespielt hat, ist – ganz nebenbei – ein Besetzungscoup, dessen Ironie er sich wohl bewusst ist.

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Es lässt einen ratlos zurück, dass sich der deutsche Film so schwer damit tut, Fassbinders Werk angemessen zu würdigen, ohne es gleich zu musealisieren. Dabei gehörte gerade Roehler mal zu den Filmemachern, denen man zutraute, dieses idiosynkratische Erbe zwischen Melodram („Die Unberührbare“, „Der alte Affe Angst“), Camp („Suck my Dick“) und Gesellschaftssatire („Agnes und seine Brüder“) anzunehmen.

Nicht zu vergessen die durchgeknallte Hommage, „Die 120 Tage von Bottrop“, für die er zusammen mit Christoph Schlingensief das Drehbuch schrieb. Auch „Bottrop“ war eine Farce, aber wenigstens haben Schlingensief und Roehler versucht, Fassbinder aus der Gegenwart zu befragen: mit Weggefährten, Laiendarstellern und Pasolini auf der Großbaustelle Potsdamer Platz.

Fassbinder-Folklore vom „Bürgerschreck"

Anlässlich des 70. Geburtstags kam vor fünf Jahren Annekatrin Hendels von der Fassbinder Stiftung finanzierter Dokumentarfilm „Fassbinder“ in die Kinos, der neben vielem anderen auch darunter litt, dass das juristische Erbe (die Namensrechte) heute starken Reglementierungen unterliegt. Hendels Film kam ebenfalls nicht über das Bild des „Bürgerschrecks“ hinaus, das längst zur Fassbinder-Folklore gehört, die die in seinem Namen geführte Stiftung verbreitet.

Roehler hätte diesem Fassbinder-Mythos ein wirkungsvolles Gegenmittel verabreichen können. Man muss seine Bemühungen, sich außerhalb des Bussibetriebs der deutschen Filmbranche zu positionieren, zumindest anerkennen. Auch mit seinen persönlichen Themen, dem Abarbeiten an den 68ern und seiner jüngsten Faszination für autoritäre Charaktere („HERRliche Zeiten“), hätte aus „Enfant Terrible“, der es in die Auswahl des abgesagten Cannes Festivals geschafft hat, ein interessanterer Film werden können.

Frankreich hat übrigens ein ähnliches Problem mit seinen Kino-Legenden. In Cannes lief 2017 das Godard-Biopic „Redoubtable“, eine vergessenswerte Komödie mit Louis Garrel. Godard, der im Dezember 90 wird, hat den Affront ignoriert. Fassbinder kann sich hingegen nicht mal mehr wehren.
Ab Donnerstag in den Kinos

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