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Kultur: Fassadenkletterer

Ground Zero-Fotos von Joel Meyerowitz: eine Berliner Ausstellung

Joel Meyerowitz ging ein paar Tage nach dem 11. September das erste Mal zum Ground Zero. Er stand in einer Menschenmenge hinter den Absperrungen und hob seine Kamera, „schlicht um zu sehen, ob etwas zu erkennen war“. Doch ein Polizist bat ihn, das zu unterlassen. Er befinde sich in einer crime scene, wo Fotografieren nicht erlaubt sei.

Für den viel gerühmten Fotokünstler Meyerowitz, der sich selbst als „street photographer“ bezeichnet, war der Gedanke unerträglich, dass sich der Ort des Schreckens irgendwann einfach verflüchtigt haben würde: „Für mich heißt keine Fotografien zu haben keine Geschichte.“ Und so begann er, während die Rettungstrupps unter den Trümmern nach Überlebenden und Opfern der Katastrophe suchten mit einer nicht minder mühevollen Sisyphos-Arbeit. Nicht nur, dass er immer wieder hinausgeworfen wurde, auch die Rauchschwaden und Staubwolken setzten ihm arg zu. Schließlich wurde ihm als einzigem Fotografen gestattet, die Aufräum- und Bergungsarbeiten in der bizarren Ruinenlandschaft des einstigen World Trade Centers zu dokumentieren. Und Eile hatte er keine. So entstanden in ihrer Detailschärfe fast monumentale Aufnahmen vom Grund dieses Geländes, die die immensen Dimensionen der Verwüstung eindrucksvoll festhalten. Man sieht den 28 Farbfotos, die jetzt im Auswärtigen Amt zu sehen sind, an, dass sie sich von der Reportage fern halten, dass sie nicht versuchen, eine Geschichte zu erzählen. „7. Dezember, Bringing out the dead“, steht unter einem. Unter einem anderen: „26. Oktober, Five more found.“ Es sind historische Dokumente – 7000 mittlerweile, die Meyerowitz in den vergangenen elf Monaten aufgenommen hat. Sie bilden den Grundstock eines Archivs, mit dessen Einrichtung das Museum der Stadt New York den gebürtigen New Yorker beauftragt hat. So wanderte der 64-Jährige mit einer unhandlichen Großbildkamera durch die zerklüfteten Schuttgebirge, beobachtete Feuerwehrteams, die sich immer tiefer in das Innere der von zerfetzten Fassadenteilen umstellten Abraumhalde vorarbeiten, fotografierte Polizisten, die sich zum Gebet versammeln und andere, die erschöpft auf Plastikeimer gesunken sind.

Trotz des Elends ist Meyerowitz auch fasziniert von der schrecklichen Schönheit, den dieser Ort ausstrahlt. „Jeder, der am Ground Zero gearbeitet hat, ist von dessen Spiritualität ergriffen“, sagt er. Auf einem seiner Bilder ist ein Trompeter zu sehen, der mitten in der Grube einen Zapfenstreich spielt. Pathos ist hierfür das falsche Wort. Mit solchen Momenten passt Amerika das Unfassbare in seine Western-Ikonografie ein, um die Absurdität der Lage nicht mehr ganz so heftig spüren zu müssen. Es ist ein rührender Versuch, die Fassung zu bewahren, angesichts der Tatsache, dass dieselben Baumaschinen, die das Zwillingsgebäude einst aus der Erde stampften, nun dessen Überreste einsammeln. Kai Müller

„After September 11 – Images from Ground Zero“, bis 15.9. im Lichthof des Auswärtigen Amtes, tägl. von 8 bis 22 Uhr.

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