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Farbbilder aus dem Ersten Weltkrieg: Postkarten aus der Hölle

Wir haben den Ersten Weltkrieg schwarzweiß in Erinnerung. Dass jetzt Farbfotos von seinen Grauen auftauchen, ist beinahe ein Schock. Das Berliner Willy-Brandt-Haus zeigt die Ausstellung „Der Erste Weltkrieg in Farbe“.

Die Bilder vom Ersten Weltkrieg, die sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben, sind schwarzweiß. Darin liegt ein gewisser Trost. Sie rücken die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) in eine historische Ferne, halten den Schrecken auf Abstand. Umso größer ist der Schock, der nun von den Fotos ausgeht, die das vier Jahre wütende Völkermorden, die Toten, Verheerungen und Trümmer in Farbe zeigen. Einem getöteten Pferd quellen weißliche Gedärme aus dem Bauch. Französische Soldaten stehen in einem Schützengraben, an dessen Rändern Klatschmohn blüht – rot wie Blut. Und ein österreichischer Stoßtrupp ruht sich ungerührt in einer in der Zweiten Piaveschlacht eroberten Stellung aus, während ein paar Meter weiter einige schon halb in der Erde versunkene Leichen der italienischen Feinde liegen.

Für Empathie oder Trauer war auf dem Schlachtfeld keine Zeit, da ging es nur um das eigene Überleben. Die Bilder erzählen mit großer Unmittelbarkeit von der Wirklichkeit des Krieges. Zu sehen sind sie in der Ausstellung „Der Erste Weltkrieg in Farbe“, die das Berliner Willy- Brandt-Haus zeigt. Zusammengestellt wurde sie von dem Galeristen Reinhard Schultz, der seit zehn Jahren frühe Farbfotografien sammelt und entscheidend an der Wiederentdeckung dieses vergessenen Mediums beteiligt war. Die meisten der 93 präsentierten Abzüge gehen auf Autochrome zurück, einem Verfahren, das 1904 von den Brüdern Auguste und Louis Lumière entwickelt worden war.

Es ermöglichte erstmals, Farbfotografien mit einer einzigen Aufnahme herzustellen. Das Ergebnis war ein gläsernes Diapositiv. Bis 1935 ließen die Brüder Lumière in Lyon rund 1,6 Millionen Fotoplatten für Buntaufnahmen produzieren, der deutsche Konkurrent Agfa brachte bald ein Imitat des populären Verfahrens auf den Markt. Mit dem Material, so Schultz, konnten bereits „gehobene Amateure“ erfolgreich umgehen. Allerdings hatte es auch Nachteile. Die Anschaffungskosten waren ziemlich immens. Und die Belichtungszeit lag sechzig- bis achtzigfach so hoch wie bei dem damals gebräuchlichen Schwarzweiß-Trockenplattenmaterial. Eines war somit beinahe unmöglich: Menschen oder Gegenstände in Bewegung farbig abzubilden.

So sind unter den von französischen, deutschen, britischen und russischen Fotografen gemachten Bildern in der Ausstellung nur ganz wenige, die Kampfgeschehen zeigen. Es dominieren Fotos von zerstörten Schlachtfeldern oder Dörfern, von vor ihren Unterständen posierenden Soldaten, vom Alltag in der Etappe oder von der Rüstung oder Aufmärschen an der „Heimatfront“. Doch das Bild vom Krieg, das hier präsentiert wird, ist ungeschönt. Fast alle Aufnahmen blieben bis 1918 unveröffentlicht, sie fielen weder der Zensur zum Opfer noch mussten sie der Propaganda dienen.

Einige französische Fotografen waren von der Armee beauftragt worden, die Schäden auf Feldern, in Wäldern und Städten zu dokumentieren, auch als Beweismittel für spätere Reparationsforderungen. Manches Stück Erde gleicht einer Mondlandschaft, und in Verdun sind bereits 1914 – zwei Jahre vor der eigentlichen Schlacht – Teile der Altstadt in Schutt und Asche gelegt. Der Stuttgarter Hoffotograf Hans Hildenbrand war hingegen in eigener Mission unterwegs. Sein Status als einer von 19 offiziellen deutschen Kriegsfotografen ermöglichte ihm Zugang zu allen Kriegsschauplätzen. Er suchte Motive für die Postkarten der von ihm gegründeten „farbphotographischen Gesellschaft“ und hielt die Scheinidyllen des Soldatenlebens fest. Rasieren im Schützengraben, Wäsche-Waschen am Fluss, Anstehen an der Gulaschkanone.

Man muss mitunter sehr genau hinschauen, um den Schrecken zu erkennen, der sich auf den Fotos versteckt. Es ist nicht viel, was vom Menschen übrig bleibt. Manchmal ein paar schwarz mumifizierte Körperteile, manchmal ein paar Knochen. Auf den Bildern der Leichen von Soldaten, die irgendwo im Niemandsland zwischen den Fronten liegen geblieben waren, sind es meist ein Gewehr oder Uniformstücke, die überhaupt erst verdeutlichen, dass sie einmal zu einem lebenden Menschen gehört haben müssen.

„Die Toten liegen unbeerdigt“, schreibt Erich Maria Remarque in seinem Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“. „Sie werden von den Granaten beerdigt. Manchen treiben die Bäuche auf wie Ballons. Sie zischen, rülpsen und bewegen sich.“

Auf einer Aufnahme von Fernand Cuville stehen ein paar Männer auf einem weißen Felsen. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Massengrab. In der Nähe des belgischen Städtchens Mesen hatten britische Pioniere 1917 Stollen unter die deutschen Stellungen gegraben und dort 19 Landminen mit einer Sprengkraft von je 21 Tonnen versenkt. Die Explosion riss rund zehntausend deutsche Soldaten in den Tod und soll noch bis Dublin zu hören gewesen sein. Es war die größte nichtnukleare Detonation aller Zeiten.

Willy-Brandt-Haus, bis 1. Juni. Di–So 12–18 Uhr, Eintritt frei. Begleitbuch 9,99 €.

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