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Mann steht im dunklen Wald mit einem Raben

© imago/Westend61

Fantasy-Thriller von Malene Sølvsten: Hört Ihr die Raben?

Blutig und bezaubernd: Malene Sølvsten lässt in ihrem Fantasy-Roman „Ansuz“ einen Teenager mit nordischen Göttern kämpfen.

Dunkelheit legt sich über die Wipfel des Waldes. Ein Mädchen sackt auf dem Schnee zusammen. Ein Mann mit Kapuze hat ein Lederband um ihren blassen Hals gewickelt und zerrt daran. Das Mädchen schnappt nach Luft, ringt und bleibt dann leblos unter den Bäumen liegen. Er beugt sich über sie und ritzt einen seltsamen Buchstaben in ihren Rücken. Diesen Traum hat Anne schon, bevor die Mädchen anfangen zu sterben. Aber kann sie ihn verändern?

Der erste Band von Malene Sølvstens Reihe „Das Flüstern der Raben“ macht dem skandinavischen Krimi alle Ehre. Der Fantasy-Roman der dänischen Schriftstellerin ist genauso furchteinflößend wie der blutigste Thriller. Ein düsterer Charme liegt über seinen Seiten. Percy Jackson wird auf die nordische Mythologie übertragen, mit all ihren blutigen Traditionen – von gehängten Göttern bis zu verbrannten Hexen, von Berserkern bis zu Menschenopfern.

Hilfe in der Not

Anne lebt in Ravnssted, einer dänischen Kleinstadt, in der Nähe der über der dröhnenden Nordsee thronenden Steilküste. Anne ist eine Rotznase: Sie bricht dem Stadtschläger die Nase, grüßt nicht und hat auf jede Bemerkung eine schnippische Antwort. Das Buch lebt von der beißenden Ironie der 17-Jährigen – immer schwankend zwischen Trotz und Furchtlosigkeit.

Das düster geschminkte Waisenkind, das ihr Leben damit zubrachte, von Pflegefamilie zu Pflegefamilie durch den Sozialstaat zu rasseln, ist zu Beginn des Schuljahres plötzlich von Leuten umgeben, die sich für sie interessieren. Einige vielleicht mehr, als es gut ist.

Gemeinsam mit ihren neu gewonnenen Freunden, Luna und Mathias, versucht Anne zu ergründen, was um sie herum gespielt wird. Dabei findet sie schnell heraus, dass sie nicht die Einzige ist, die eine „Makke“ hat. So nennt Anne ihre spezielle Fähigkeit, die sie, wie bei Teenagern üblich, allerdings als Defizit sieht. Nun muss man zugeben, dass wohl keiner gerne ihre Gabe besäße: Anne kann in die Vergangenheit schauen.

Hinter jedem freundlichen Gesicht sieht die Visionärin gehetzte Blicke und verkratzte Arme aus vergangenen Tagen. Solche Andeutungen von Angst und Gewalt machen die Charaktere geheimnisumwittert. Ihnen haftet ein verwegenes Heldentum an, zusammengesetzt aus bruchstückhaften Erzählungen weit zurückliegender Kämpfe.

Malene Sølvstens Debütroman entwickelt von Anfang an einen unwiderstehlichen Sog. Immer tiefer tauchen die Freunde in eine unheimliche Welt ein, von der sie nichts verstehen. Immer mehr häufen sich die Anschläge der düsteren Gestalten dieser Welt und immer öfter kommen die drei Jugendlichen dabei nur knapp mit dem Leben davon. Währenddessen verrinnt die Zeit: Ein Mord steht bevor, und zwar ein grausamer.

Furcht verwandelt sich in Kraft

Fantasy lebt von Metamorphosen und der Umwertung aller Werte. Furcht kann sich in Kraft verwandeln. So schaffen es die jugendlichen Helden, ihre „Makken“ als Besonderheiten zu akzeptieren, die sie an einer geheimen Welt teilhaben lassen. Außenseiter verbünden sich. Der Roman ist auch sonst angenehm plural, es gibt Paare und Herkünfte aller Art. Der superattraktive Matthias fungiert nicht nur als mächtiger Mitstreiter und Liebhaber, sondern auch als Schminkbursche für Anne und Luna. Anne selbst besitzt für eine 17-Jährige einen erstaunlich ausgeprägten Feminismus.

Auch biografisch befindet sich die Heldin an der Schwelle zwischen zwei Welten: Sie ist alt genug, um in die Erwachsenenwelt einzutreten und gleichzeitig jung genug, um sie unter Mühen und Flüchen gerade erst kennenzulernen. Autorin Sølvsten ist zwar bereits 41, wirkt aber manchmal selbst noch teenagerhaft, wenn sie allzu platt und klischeehaft über Sex schreibt.

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Außerdem kommen vielleicht ein paar zu viele „muskulöse Oberkörper“ vor. Als ob Männer nicht auch ohne solche schön sein könnten. Aber Anne steht eben auf einen Typ. Zu diesem Typ gehört, wie leider in den meisten Fantasy-Romanen, dass diese Oberkörper alle älter sind als sie. Nun, vielleicht ist auch das eine Fantasie, die befriedigt werden will.

Göttliche Magie

Innerhalb des Genres ist das Buch keine sagenhafte Neuheit – abgesehen vom nordischen Thriller-Flair. Die Magie ist eine göttliche und dementsprechend langweilig, im Vergleich zu komplexeren Konzepten wie in den „Wächter“–Bestsellern des russischen Schriftstellers Sergei Lukjanenko. Dafür ist der Zauber hier aber, durch einige lustige nordische Bräuche, mit einem ironischen Touch versehen.

Wie in so vielen Büchern mit Parallelwelt geht es auch in „Ansuz“ um die Frage nach der richtigen Gesellschaftsform. Eine böse Herrscherin hat sich als Sklavenbefreierin ausgegeben und die Götter abgeschafft. Nun ist sie selbst zur Tyrannin geworden. Jedenfalls behaupten das alle. Gut und Böse wirken von Anfang an wie Spielsteine, die während der Geschichte mehr oder weniger regelmäßig neu sortiert werden.

Die Götter sind, wie wir auch, weder das eine noch das andere. Und in Wirklichkeit sind sie auf uns angewiesen – nicht umgekehrt. Götter existieren nur, solange Menschen an sie glauben. Verschwindet der Glaube, verschwindet auch ihre Macht und zum Schluss sie selbst. Eine wohltuende Parabel, die augenzwinkernd mit dem Genre spielt.

Weiter, es geht immer weiter, so lautet das Gesetz der Fantasy-Literatur. Während im dänischen Original bereits vier Teile der Raben-Serie vorliegen, wurde in deutscher Übersetzung gerade Band zwei veröffentlicht. Er heißt „Fehu“ und begleitet Anne auf einer Reise in die Welt der Gläubigen. Dort will sie ihre Mutter und Schwester finden.

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