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Die Autorin Didi Drobna, geboren 1988 in Bratislava.

© Ulli Abdel-Salam / Piper Verlag

Familienroman von Didi Drobna: Jede Beziehung endet

Liebe, Krankheit, Tod: Didi Drobnas spielt in ihrem Familienroman „Als die Kirche den Fluss überquerte“ mit unterschiedlichen Stimmungen.

Es ist keine Seltenheit, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die noch am Anfang ihrer literarischen Karriere stehen, eine Art Doppelexistenz führen. Zum einen gibt es jene Beschäftigung, die man zuweilen etwas abwertend auch Brotberuf nennt, daneben das künstlerische Schaffen. Manchmal ergänzen sich diese beiden Felder, bei großem literarischen Erfolg kann der Nine-to-five-Job aufgegeben werden, in anderen Autorenbiografien scheinen die beiden Arbeitsbereiche jahrzehntelang gut zu harmonieren.

Didi Drobna, geboren 1988 in Bratislava und seit 1991 in Wien lebend, arbeitet in der IT-Branche, was ihr offenbar nicht ausgereicht hat. Denn im Jahr 2014 erschien ihr Debütroman „Zwischen Schaumstoff“. Einige Stipendien und Auszeichnungen hat Drobna für ihre literarische Arbeit bislang erhalten, und nun ist ihr zweiter Roman unter dem zunächst rätselhaften Titel „Als die Kirche den Fluss überquerte“ erschienen.

Die Geschichte beginnt mit der kurzen Beschreibung eines schönen Sommers. Eine vierköpfige Familie macht Ferien am Strand, am Ende des Urlaubs ist Vater Dieter aber nicht mehr da. Er trennt sich von seiner Frau Lieselotte und erst einmal auch von seinen beiden Kindern Daniel und Laura. Es ist nicht ganz klar, warum der Mann geht, aber die Motivlage ist für den Roman nicht entscheidend, werden doch die vielen dramatischen, aber auch humorvollen Wendungen ausschließlich aus der Sicht von Daniel geschildert. Und für den Sohn gibt es ohnehin nur einen Schuldigen, und zwar den Vater.

Aus dem Familienroman wird ein Coming-of-Age-Format

Didi Drobna gelingt diese Rollenprosa, weil sie aus der anspruchsvollen, weil eindimensionalen Erzählperspektive eine durchaus vielschichtige Figurenpsychologie entwickelt. Aufgewachsen in einer Familie mit starken Frauen, gibt sich Daniel modern und weltoffen, doch als der Vater die Familie verlässt, gerät alles, was mal zur Identität gehörte, in einen Krisenwirbel. Er sucht sich emotionale Ersatzbefriedigung und verliebt sich ausgerechnet in seine Schwester Laura, die ihn brüsk zurückweist. Als Leser durchlebt man die Seelenpein des Helden in oft grotesken inneren Monologen, die demütige Sehnsucht und Größenwahn gleichermaßen enthalten: „Warum saß sie da vorne? Warum saß sie nicht bei mir? Warum hatte ich eine dunkelgrüne Krawatte und keine blaue? Oder zumindest ein Stecktuch, verdammt. An meinem Arm würde sie viel schöner aussehen, sie passte zu mir, ich erkannte es deutlich.“

Daniel wird nicht nur akzeptieren müssen, dass seine Familie zerbrochen ist, sondern auch die Hoffnung aufgeben, ausgerechnet das Mädchen lieben zu können, mit dem er aufgewachsen ist. Spätestens hier wird aus dem Familienroman ein Coming-of-Age-Format, das abwechslungsreich gestaltet ist, auch weil es eine Reihe von schillernden Nebenfiguren gibt. Da ist zum Beispiel die Großcousine Miriam, eine erfolgreiche Künstlerin, die so herzlich wie schroff auftritt. Außerdem ist da noch Onkel Billy, ein Lebemann, der schon mal in Sadomaso-Montur durchs Haus geistert.

Diese mit viel Situationskomik ausgestatteten Erzählstränge bilden eine Art literarische Rampe für ein weiteres Trennungsdrama, das Daniel zu durchleiden hat und das schließlich alles andere überwölbt: Denn die Mutter erkrankt an einer Parkinson-Demenz. Es handelt sich um eine schreckliche Krankheit, die auch verhältnismäßig junge Menschen in den Tod schickt und nicht zuletzt – wie der Roman sehr anschaulich beschreibt – dem Umfeld der Patienten große Anstrengungen abverlangt. Die Mutter versucht ihren Niedergang zu verbergen, aber das gelingt ihr nicht. Denn schon bald ist von dem, was sie mal war, nichts mehr übrig: „Vor unseren Augen verschwand sie. Am Ende blieb irgendwer.“

Aberwitz und Übermut, Melancholie und Trauer

Didi Drobnas Roman variiert einen Gedanken, der in seiner logischen Konsequenz so bitter wie banal ist: „Jede Beziehung endet“, heißt es an einer Stelle. „Auch die Beziehungen, die nicht enden, enden.“ Mal lösen Krankheiten, mal fehlende Liebe eine Beziehung auf. Für Daniel bedeutet diese Einsicht, dass er sich aus der „Mutterwelt“ lösen kann und den Vater nicht länger als Bösewicht wahrnehmen muss. „Scheidungszufrieden“, wie es im Therapeutendeutsch heißt, wird sich Daniel in seinem Leben zwar nicht mehr fühlen. Aber nach den vielen Trennungen begreift er schon in jungen Jahren, dass er sich auch um sich selbst und um neue Beziehungen kümmern darf – auch wenn die eines Tages wieder enden. Selbst der Tod verliert ein wenig seinen Schrecken, als er im Fernsehen eine Kirche sieht, die über einen Fluss transportiert wird. In denFernsehbildern findet Daniel die Metapher für seine Lebenssituation, in dem die Mutter die Kirche und er das Weiterfließende ist.

Didi Drobna geht mit solchen Analogien sparsam um, und das ist nicht zuletzt wegen der Erzählperspektive durchaus angemessen. Die Qualität ihres Romans besteht nicht zuletzt in der punktgenauen Wahl der literarischen Mittel für ganz unterschiedliche Stimmungen. So wie die Szenen es jeweils verlangen, weiß Didi Drobna nicht nur Aberwitz und Übermut, sondern auch Melancholie, Wut und Trauer mal im schnellen Dialog-Klippklapp, dann wieder im nachdenklichen Reflexionsmodus einzufangen. So ist „Als die Kirche den Fluss überquerte“ auch ein Versprechen auf weitere Arbeiten dieser jungen Autorin.

Didi Drobna: Als die Kirche den Fluss überquerte. Roman. Piper Verlag, München 2018. 312 Seiten, 20 €.

Carsten Otte

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