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Mark Waschke spielt einen gestressten Vater, der sich zunehmend überfordert fühlt.

© W Film

Familiendrama als Film Noir: Die Schatten werden lang und länger

Zwischen Unsicherheit und besten Absichten: In "Der Geburtstag" droht der Familienalltag zu eskalieren.

Ein Familiendrama als Film Noir? Sonst kennt man das Schwarz-Weiß vor allem aus Thrillern und Großstadtromanzen, vorzugsweise mit coolem, jazzigem Soundtrack. Aber der Alltag getrennter Eltern mit siebenjährigem Sohn, das Genervtsein der Erwachsenen rund um einen verhagelten Kindergeburtstag und die stille Not von Sohn Lukas (Kasimir Brause) im Noir-Stil? Mit verschatteten Interieurs, Nebelschwaden, regenglänzendem Kopfsteinpflaster – und eine gestopfte Trompete bläst den Blues?

Warum nicht? Wo, wenn nicht im Alltag erlebt man den Einbruch des Unheimlichen, des Surrealen? Der in Berlin lebende uruguayische Filmemacher Carlos A. Morelli erzählt zur Entstehungsgeschichte von „Der Geburtstag“, er habe selber mal Ähnliches erlebt: Ein Kindergeburtstag kippte ins Chaos und ins Befremdliche, als einer der kleinen Partygäste nicht abgeholt wurde. Zwei Stunden später hatte die Sache sich erledigt, im Film dauert es bis zum nächsten Tag.

Die Nacht dazwischen wird zur Odyssee für Mark Waschke als Matthias, der mit dem Stress in seinem Job, den Vaterpflichten und den Begehrlichkeiten seiner neuen Liebe (Anna Brüggemann als resolute Theaterregisseurin) heillos überfordert ist und sich zunehmend in den eigenen Ausreden und Unzulänglichkeiten verheddert. Ein Mann unter Strom: So panisch, wie der Auto fährt, möchte man nicht mit im Wagen sitzen.

Traumgesichter und Geisterstimmen

Die Irrfahrt mit dem nicht abgeholten Julius (Finnlay Jan Berger) durch eine nächtliche Provinzstadt hat kathartische Wirkung. Nach Begegnungen der dritten, auch gefährlichen Art, nach der Heimsuchung durch Traumgesichter und Geisterstimmen, nach Horrormomenten in unwetter-zerzausten Gärten und vor immer expressionistischeren Schatten, zeigt sich der Vater geläutert. Den heftigsten Wunsch seines Sohns wird er nun wohl endlich erfüllen.

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Auch wenn die Dramaturgie vorhersehbar bleibt und die fabelhaften Schauspieler manchmal auf sich gestellt wirken, hat „Der Geburtstag“ starke Momente. Die komplizierte Chemie zwischen getrennten, willigen, immer wieder scheiternden Eltern wissen Waschke und Anne RattePolle als seine Ex mit feiner Gestik und Mimik anzudeuten. Ein Blickwechsel, und die Gemengelage der Gefühle zwischen Unsicherheit, Wut, Enttäuschung und besten Absichten wird offenkundig.

Das Böse und das Banale halten sich die Waage

Oder Matthias’ Begegnung mit dem neuen Freund seiner Ex: Man bleibt superhöflich und möchte sich die Augen auskratzen. Die eigentümliche Annäherung zwischen dem Vater und dem fremden Jungen, der genauso heftig auf Katzen steht wie Sohn Lukas auf Elefanten, verdichtet Regisseur Morelli in ein Miniaturdrama mit Polizistin. Der Missbrauchsverdacht als Missverständnis: Das Thema klingt an, auch wenn es hier keine Rolle spielt.

„Der Geburtstag“ ist Morellis zweiter Spielfilm, er feierte 2019 Premiere auf dem Ophüls Festival. Kameramann Friede Clausz sorgt dafür, dass das Böse und das Banale sich die Waage halten, das Skurrile nie überhand nimmt. Da können die an Fritz Lang und Carol Reed gemahnenden Schatten an den Hauswänden noch so lang werden.
Im Kino Lichtblick; als Video-on-Demand auf vod.wfilm.de

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