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Schon zweimal Finalistin beim Berliner Open Mike. Die Schweizer Dichterin Eva Maria Leuenberger.

© Anja Fonseka

Eva Maria Leuenbergers Lyrikdebüt: Bis zur Grenze der Luft

Nach dem Berliner Open Mike: Eva Maria Leuenbergers Lyrikdebüt "dekarnation".

Von Gregor Dotzauer

Eine Welt aus Wenigem. Die Haut. Das Wasser. Die Knochen. Der Vogel. Die Birken. Der Wind. Das Blut. Einfache Wörter, die zueinander fast permutationshaft in Beziehung treten. Elemente, die auch eine Zeit evozieren, in der der Mensch noch nicht Teil des Naturgeschehens war - und eine Zeit, in der er nicht mehr Teil davon sein wird.

Zugleich erlaubt es nur die Ankunft des Menschen, diese Dimension in den Blick zu nehmen. Eva Maria Leuenberger, 1991 in Bern geboren und in Biel zu Hause, schreibt mit ihrem Lyrikdebüt „dekarnation“ eine ganz unbiblische Schöpfungsgeschichte aus dem Geist der Sprache – von der Genesis bis zur Apokalypse: „der mund spricht ein wort / und ordnet es in die hügel ein“.

So erwacht die ungestalte Natur zum gestalteten Leben, und der menschliche Körper entwirft sich als Teil eines umfassenden Erdkörpers: „die organe der pflanzen / ankern den wassergrund: / ein darm vom boden / bis zur grenze der luft“.

Dänische Moorleichen

Unterteilt in vier große Kapitel, die „tal“, „moor“, „schlucht“ und wiederum „tal“ überschrieben sind, inszeniert Leuenberger Rohstoffkreisläufe, die zugleich reine Signifikantenverkettungen sind. Die dänischen Moorleichen Tollund-Mann und Frau von Elling geben sich ein Stelldichein und sind doch das unmittelbar Realste, das diese Poesie hergibt.

Vor allem wird das vermeintlich Archaisierende von Eva Maria Leuenbergers Naturwahrnehmung gebrochen durch eine Intertextualität, die sich bei großen amerikanischen Dichterinnen wie Emily Dickinson, Louise Glück, Jorie Graham oder Anne Carson bedient.

Da spielt Leuenberger, die 2017 mit einer Frühfassung der „schlucht“ ins Finale des Berliner Open Mike kam, ohne erkennbare poetische Not mit dem Nimbus der Vorbilder. Mit ihrer sinnlich-intellektuellen Klarheit und handwerklichen Sicherheit ist sie auch so eine bemerkenswerte Stimme.

Eva Maria Leuenberger: dekarnation. Gedichte. Droschl Verlag, Graz 2019. 88 Seiten, 19 €.

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