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Ehe man sich versieht, ist es schon wieder vorüber. Die Hochzeitstorte zum Scheidungstermin.

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Eva Illouz über Beziehungen und Konsum: Die Wa(h)re Liebe

Soziologin Eva Illouz zeigt in ihrem neuen Buch „Warum Liebe endet“, wie Marktlogik sich in Partnerschaften frisst und welche Zwänge die sexuelle Befreiung schuf.

Ein Jahr ist es her, dass die Debatte ins Rollen kam, die mit dem Skandal um die Missbrauchsvorwürfe gegen den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein begann und sich durch #MeToo weltweit und in unterschiedlichsten Zusammenhängen verbreitete. Es geht mittlerweile nicht mehr allein um Gewalt und um sexuellen Missbrauch. Aus der Bewegung wurde eine Art Umwälzpumpe für das Denken über Frauen und Männer, die dazu zwingt, etwas genauer hinzusehen.

Die israelische Soziologin Eva Illouz macht das seit vielen Jahren. „Warum Liebe endet“ ist der vorläufige Abschluss mehrerer Studien über den Zusammenhang von Liebe und Kapitalismus, darunter „Der Konsum der Romantik“, „Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus“ und „Warum Liebe weh tut“. In ihrem neuen Buch spricht sie von „skopischem Kapitalismus“, um deutlich zu machen, welche Rolle das Bild des sexualisierten Körpers in dieser Wirtschaftsform spielt.

Sexuelle Befreiung bevorteilte vor allem Männer

Das letzte Jahr hat die Wahrnehmung dafür geschärft, dass der sexuelle Missbrauch in seiner justitiablen Form nur der Gipfel des Eisbergs ist. Dabei geht es weder um die berühmte Verführung, für die sich eine Reihe vorwiegend französischer Schauspielerinnen eingesetzt hat, noch um die Frage nach verunglückten Komplimenten oder übergriffigen Berührungen. Eva Illouz, die den Weinstein-Skandal als „Wendepunkt“ sieht, ist schon länger dem Verdacht auf der Spur, dass die sexuelle Befreiung vor allem den Männern Vorteile gebracht hat. Im Zusammenspiel mit Konsumkultur und neuen Technologien führt sie zu einer Liberalisierung sexueller und romantischer Märkte, auf denen Frauen und Männer nicht zu gleichen Bedingungen agieren.

Während Frauen Schwierigkeiten haben, ihren Wert auf diesen Märkten stabil zu halten, steigt er für Männer oft sogar über die Jahre an. Das hat nicht allein mit dem Alter zu tun, sondern damit, dass diese Märkte, auf denen Überfluss, Distanzierungen, Machtspiele und schnelle Umschlaggeschwindigkeiten regieren, der sozialen Rolle von Männern stärker entgegenkommen als der Rolle, die Frauen immer noch zugewiesen bekommen und oft auch freiwillig einnehmen.

Doch auch Frauen, die sich nicht auf diesen Märkten bewegen, also nicht auf der Suche nach Sex und Liebe sind, werden beurteilt, als wären sie es. Der sexualisierte Körper der Frau ist als Bild allgegenwärtig, und dieses Bild erzeugt laut Illouz eine Norm, die Frauen in allen Bereichen ihres Lebens zwingt, sich nach ihr auszurichten, zumindest dann, wenn sie Erfolg haben wollen. Die unendlich vielen Ausprägungen diffuser Formen von Abwertung, denen Frauen täglich ausgesetzt sind, hat die MeToo-Debatte nach oben gespült.

Ethnographie der Heterosexualität

Eva Illouz’ scharfer Blick für Asymmetrien im Geschlechterverhältnis ist weniger die Pointe als die Voraussetzung ihrer ernüchternden Diagnose über den gegenwärtigen Stand der Liebe. Unter den 92 Personen zwischen 19 und 72 Jahren, mit denen sie gesprochen hat, um „die neue Kultur der Lieblosigkeit“ zu illustrieren, finden sich auch homosexuelle Gesprächspartner. Dennoch ist ihre Studie als „Ethnographie der Heterosexualität“ angelegt. Auf einfache Thesen lassen sich ihre verschiedenförmigen Beobachtungen nicht reduzieren. Sie drehen sich um die negativen Aspekte dessen, was man seit dem 18. Jahrhundert als Befreiung im positiven Sinn gesehen hat. Die „Soziologie negativer Beziehungen“, wie die Untersuchung im Untertitel heißt, versteht Negativität nicht im moralischen Sinn und auch nicht im Sinne Adornos, sondern als das Pendant der Freiheit, eine eigene Wahl zu treffen.

Was seit Hegel das Privileg des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft war, den Ehepartner selbst auswählen zu dürfen, hat sich im fortgeschrittenen Konsumkapitalismus zu einer Sache entwickelt, in der die Wahl zunehmend schwieriger wird. Immer öfter kommt es zur „Nicht-Wahl“, eine Beziehung kommt erst gar nicht zustande, oder zur „Abwahl“ des Partners oder der Partnerin. Die Scheidung ohne Schuldprinzip hat nicht allein die Rechtspraxis vereinfacht, sondern auch den Vorgang normalisiert.

Warum trennen sich Menschen?

Dass eine Beziehung, gleichgültig, in welchem Stadium sie sich befindet, und gleichgültig, wie lange sie dauert und in welcher Form sie geschlossen wurde, jederzeit beendet werden kann, ist das historische Novum, dem Eva Illouz nachforscht. Die „ontologische Ungewissheit“, die sich daraus ergibt, ist die Schattenseite der Freiheit. Liebe kann nur dann Gewissheit geben, so ihr Argument, wenn sie in „Rituale der Sozialität“ eingebunden ist. Sie aber verschwinden. Sexualität und Intimität sind zu Schauplätzen geworden, an denen „sich das ökonomische Selbst ausagiert“.

Wie ist es überhaupt möglich, sich aus der „bedingungslosen Zugehörigkeit“ einer „dichten Beziehung“ zu lösen? In den Geschichten ihrer Gesprächspartner erkennt Illouz vor allem drei wiederkehrende Erzählmuster: Am seltensten erscheint der Trennungswunsch wie eine plötzliche Offenbarung, von einem Tag auf den anderen will der eine nicht mehr mit dem anderen zusammen sein. Am häufigsten ist das Muster der Anhäufung oft banaler Kleinigkeiten, die irgendwann das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen. Das dritte Erzählmuster spricht von „traumatischen“ Momenten, einem unerwarteten Vertrauensbruch, der das Selbstwertgefühl so sehr gefährdet, dass eine(r) die Notbremse zieht.

Überhaupt das Selbstwertgefühl. In ihm entdeckt die Soziologin die fatale Allgegenwart des therapeutischen Diskurses, der dem Selbst nahelegt, noch mehr auf sich zu achten und die Beobachtung der Emotionen und Befindlichkeiten weiter auszudifferenzieren. Ihm hat sie vor zehn Jahren ein eigenes Buch gewidmet, „Die Errettung der modernen Seele“.

Mit den gesättigten Märkten der siebziger Jahre wurde der Industriekapitalismus endgültig auf den Konsumkapitalismus umgestellt. Der durch die sexuelle Revolution befreite Körper mit seinen Gefühlen, Genüssen, Geschmäckern und seinem unersättlichen Appetit auf Freizeitvergnügungen konnte zur reinsten Konsummaschine werden.

Mit den Internettechnologien der Gegenwart ist der nächste Sexualpartner – genau wie die Pizza oder die Traumreise – nur einen Klick oder Wisch entfernt. Nicht nur beim Gelegenheitssex oder Pornokonsum wird das Unverbindliche zur Gewohnheit. Die Praktiken ständigen Beurteilens und Vergleichens, das Auf- und Abwerten werden zur zweiten Natur.

Starke Beziehungen auf Dauer scheinen im Kapitalismus unmöglich

In „Warum Liebe weh tut“ gab es noch kleine utopische Einsprengsel. Wer verletzbar ist und riskiert, dass ihm die Liebe „weh tut“, bleibt für sie erreichbar. Ohne Schmerz gibt es keine dauerhafte Bindung. „Warum Liebe endet“ sieht das Hauptproblem darin, dass der Körper zum einzigen Terrain der Begegnung geworden ist. Die reine Immanenz, aller Idealisierung entkleidet, dem Zugriff moralischer Normen und staatlicher Kontrolle entzogen, verwirklichte sich zum ersten Mal im Hedonismus der sexuellen Revolution.

Wenn in allen gesellschaftlichen Bereichen die Bewertung, der Vergleich, der schnelle Austausch und die Sexualisierung gängige Praxis sind, kann das Konzept der Liebe nicht unberührt bleiben. Denn es lebt von Erzählbarkeit und Idealisierung. „Warum Liebe endet“ ist an Illusionslosigkeit kaum zu überbieten. Es zeigt die Schwierigkeit, beinahe schon die Unmöglichkeit, im hochtechnologischen Konsumkapitalismus starke Beziehungen aufzubauen und auf Dauer zu halten. Der Mensch bleibt allein mit seinem Wunsch, dauerhaften Wert zuzuschreiben und einen anderen aus allen Vergleichsrastern herauszunehmen. Eva Illouz findet eine treffende Formulierung für das, was „lieben“ und „verlieben“ in diesem Zusammenhang bedeutet: „die Einzigartigkeit zu finden, an die man sich binden wollen würde.“

Eva Illouz: Warum Liebe endet. Eine Soziologie negativer Beziehungen. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 447 Seiten, 25 €.

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