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Blick in den Stand der Galerie Rosemarie Schwarzwälder mit Werken von Jongsuk Yoon, Bernard Frize und Sheila Hicks.

© Sebastiano Pellion / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Europas wichtigste Kunstmesse: Passion mit Preis

Die Art Basel muss sich mit europäischem Publikum begnügen – und verkauft dennoch prächtig.

Tänzerinnen und Tänzer in Trikots aus schwarzem Netzstoff, Minis aus Goldbrokat und Pailletten laufen, kugeln und räkeln sich in transparenten Riesenbällen auf dem Vorplatz der Art Basel. Sie laden ihn mit der Energie ihrer Körper auf und dynamisieren ihn. Die von der Künstlerin Monster Chetwynd choreographierte Performance scheint auch die Besucher der exklusiven First Choice-Tage der Messe mit ihren 272 Galerien aus 33 Ländern zu elektrisieren, die nach langer Corona-Pause endlich wieder live stattfindet.

Das Wetter ist heiter, die Stimmung entspannt bis euphorisch, die Kauflaune schier übermütig. Und dies bei Preisen im oft sechsstelligen und Millionenbereich. Weniger gedrängt als in Vor-Covid-Jahren schlendern überwiegend Europäer durch die Gänge, denn die meisten Amerikaner, Russen und Chinesen sind, abgeschreckt vor den Aus- und Einreisevorschriften, zu Hause geblieben. Allerdings haben viele von ihnen mit Hilfe von Previews, Werkangeboten per PDF und virtuellen Besichtigungsräumen der Galeristen bereits online gekauft. Auch ein Teil der angereisten Schweizer und Briten, Franzosen, Belgier, Griechen oder Niederländer hat schon vorher Kaufzusagen gemacht, nicht zuletzt auf Empfehlung der Händler mit Blick auf besonders begehrte Werke von Starkünstlern.

Vor allem Big Player wie Pace, Hauser & Wirth, Gagosian, Ropac, Zwirner, Sprüth Magers, Perrotin oder Dominique Levy versuchen, Werke generell bereits vor einer Messe zu platzieren und bevorzugen dabei Museen und Sammler, die bereit sind, neben der eigenen Arbeit eine zweite für eine Institution zu erwerben. Mit Hilfe ihrer weltweit verstreuten Dependancen steuern die Galerien den globalen Markt, der ein Anlagemarkt geworden ist – auch für Menschen mit Leidenschaft für die Kunst. Passion und Investment schließen sich in keiner Weise aus, das bestätigen die Käufer der ersten Tage und die vereint strahlenden Händler. „Es läuft hervorragend", wiederholen sie nicht nur in der unteren Halle mit den Millionenwerken, sondern auch in der ersten Etage der moderateren Preise zwischen rund 10 000 und 100 000 Euro mit Angeboten meist jüngerer Künstler.

Den Solidaritätsfond von 1,5 Millionen Franken, den die Messe für Galerien mit weniger oder keinen Verkäufen aufgelegt hat, nehmen wohl nicht alle in Anspruch, wie Marc Spiegler schon nach dem ersten Tag bestätigt. Also erhalten die anderen einen höheren Anteil der Rückerstattung: „Wenn es nur die Hälfte tut, bedeutet das jeweils 27,5 Prozent.“

Doch vor lauter Glück über die endlich wieder physischen Begegnungen und direkten Wahrnehmungserlebnisse scheinen sich viele Sammler dieses Mal schnell zu entscheiden. „Schon nach zehn Minuten“ habe er ein Gemälde von Karin Kneffel für 150 000 Euro weitergeben können, sagt der Münchner Galerist Rüdiger Schöttle; ebenso schnell war ein großes Wandbild von Wade Guyton beim US-Händler Matthew Marks für 550 000 Dollar platziert und das Gemälde „Veronese, The Wedding at Canaa“ mit einer „Gazing Ball“-Kugel von Jeff Koons für rund zwei Millionen Dollar bei Pace. Staunenswert wie immer ist die Liste der Verkäufe von Hauser & Wirth mit Philip Gustons 1975 entstandenem Ölgemälde „The Poet“ in blassrosafarbenen Schattierungen für 6,5 Millionen Dollar an der Spitze.

Die Galerie Ropac eröffnet nun auch in Seoul

Auch Thaddaeus Ropac, der im Oktober einen weiteren Standort in Seoul eröffnet, verkauft glänzend, unter anderem drei Leinwände von Georg Baselitz (65 000–1,3 Mio. Euro) und das Gemälde „Men in White Shirt“ von Alex Katz für eine Million Dollar. Er spricht von einem „nahenden neuen Kunstboom, vergleichbar den Zeiten Ende der achtziger Jahre“. Passend hat der amerikanische Händler van de Weghe mit dem monumentalen Diptychon „Hardware Store“ (1983) von Jean Michel Basquiat das mit 40 Millionen Dollar wohl teuerste Werk der Messe mitgebracht – angeblich aus dem Besitz des Schweizer Großhändlers Bruno Bischofberger.

Das Medium der figurativen Malerei, oft im XXL-Format, dominiert die Messe. Eine Ausnahme ist das faszinierende, 2021 entstandene, expressiv-gestisch-abstrakte Acrylgemälde des deutschen Konzeptkünstlers Michael Müller „Bitch, I'm afraid my vagina is electrified, ... and not being afraid of yellow“ am wohlkomponierten Stand des Berliner Galeristen Thomas Schulte (165 000 Euro); die wirbelnde Aluminiumskulptur von Alice Aycock „Spin-the-Spin“ davor war bereits verkauft. (350 000 $). Auch die meisten anderen Berliner Galerien in beiden Hallen freuen sich über frühe Verkäufe, darunter Esther Schipper, Neu, Carlier Gebauer, Kewenig, Nagel Draxler, Thumm, Kraupa-Tuskany Zeidler und Société (unter anderem mit Ambera Wellmann und Bunny Rogers). Auf Max Hetzlers Stand steppte der Bär in Form von Walton Fords gigantischer Aquarell-Gouache-Tuschearbeit „La Madre“ einer Braunbärin mit ausgefahrenen Krallen. Sprüth Magers verkaufte unter anderem die Wandarbeit von Jenny Holzer „Conclusion“ (425 000 $ )und die Collage „A Spectacle“ auf Papier von Kara Walker (300 000 $), deren großartige Ausstellung im Kunstmuseum Basel „A Black Hole is Everything a Star Longs to Be“ ab Mitte Oktober in die Schirn Kunsthalle Frankfurt wandert.

Eines der spektakulärsten Gemälde ist das Ölgemälde „Fate 2“ der britischen Malerin Jenny Saville – eine Frau, deren Körper weißhäutig ist und deren Gesicht negroide Züge trägt. Lässig auf einem Sessel sitzend, soll sie eine der drei Schicksalsgöttinnen verkörpern, doch ist sie vielmehr ein Porträt menschlicher Würde und Souveränität jenseits von Gender- und Rassefragen. Die Dominanz der figurativen Malerei setzt sich auch in der jüngeren Generation fort, wie die Messe „Liste“ zeigt, die mit rund 85 Galerien zum ersten Mal in einer Halle der Messe Basel in großzügigen Kojen residiert. Und im Obergeschoss der Design Miami findet man die junge June Art Fair mit 30 Galerien in einem luftigen Zickzack-Kojen-Layout. Auf hier verkaufen die Galeristen auf beiden Messen gut bis hervorragend, so auf der June Art Fair der Münchner Jo van de Loo minimalistisch-subtile Fotoarbeiten von Jan Paul Evers und die Frankfurterin Parisa Kind subversiv-glamouröse Wandarbeiten und Objekte aus kandierter Gelatine von Mike Bouchet.

Auf der Liste fallen die bereits verkauften hybridköpfigen Gemälde der türkisch-deutschen Künstlerin Melike Kara beim Kölner Galeristen Jan Kaps auf (8000–25 000 Euro) und die ebenfalls verkauften Acrylbilder des französischen Shootingstars Pol Taburet am Stand der Pariser Galerie Balice Hertling (rund 25 000 Euro). Taburet beschäftigt sich mit der Geschichte und der Mythologie seiner karibischen Vorfahren; auf seinen Gemälden schweben humanoide, zwischen Mensch, Tier und Roboter oszillierende Körper in schwerkraftlosen Räumen. Wie viele Künstler seiner Generation, nur virtuoser, zelebriert Taburet Deformation als neue exzentrische Schönheit fluider Vielfalt.

Art Basel, bis 26. September, artbasel.com

Eva Karcher

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