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Hier ist der Gegner noch klar. Fassade in der Berliner Kastanienallee, Prenzlauer Berg.

© Mike Wolff

Europapolitik: Macht oder Vernunft

Brauchen wir einen europäischen Superstaat oder ein Europa der Nationen? Darüber liegen Jürgen Habermas und Wolfgang Streeck im Streit. Der "Merkur" bezieht Position. Eine Zeitschriftenkolumne

Von Gregor Dotzauer

Das Wort vom Bürgerkrieg taugt nicht einmal als Metapher. Und dass Giorgio Agamben, der obskurste aller biopolitischen Obskurantisten, mit seinem letzten Buch „Stasis – Der Bürgerkrieg als politisches Paradigma“ dafür Pate gestanden hat, macht Ulrike Guérots Streitschrift „Der neue Bürgerkrieg" (Ullstein, 8 €) gleich doppelt verdächtig. „Das offene Europa und seine Feinde“, so der Untertitel, sind auch nach den Wahlniederlagen von Geert Wilders und Marine Le Pen so offensichtlich miteinander überworfen, dass man nicht noch Pulverdampf und Tränengas bemühen muss, um die Luft brennen zu sehen.

Die Erregungskurven, mit denen die Politikwissenschaftlerin ihre 2016 erschienene Utopie „Warum Europa eine Republik werden muss“ (Dietz) aktualisiert hat, sind dramatisch genug. Aber der Entwurf eines transnationalen Superstaats, der die krisenhaften Gefälle zwischen Nord und Süd, rechts- und linksrheinischen Provinzen im Namen einer einzigen Verfassung, gleicher Rechte und Pflichten und letztlich gleicher Löhne und Steuern abschafft, ist zumindest konsequent gedacht. Mit Pulse-of-Europe-Romantik kommt man, wie sie oft erklärt hat, nicht weiter. Es geht darum, der Währungsunion eine politische Struktur zu geben, selbst wenn sie Deutschland die Vormachtstellung kostet.

In ihrem Kopfschütteln über die Brüsseler Bürokratieexzesse trifft sich Ulrike Guérot mit rechten Eurogegnern – sie zieht daraus nur andere Schlüsse. In seinem Festhalten am Wert von Nationalstaaten trifft sich auch der neomarxistische Soziologe Wolfgang Streeck, vor vier Jahren mit seinem Buch „Gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ viel diskutiert, mit ihnen. Doch auch er will etwas ganz anderes, wobei er gar nicht so viel wollen muss, wenn der Kapitalismus, wie er in seinem bisher nur auf Englisch erschienenen Essayband „How Will Capitalism End?“ (Verso 2016) erneut prophezeit, aufgrund seiner inneren Widersprüche früher oder später implodiert.

Universalismus oder Partikularismus

Der „Merkur“ geht in seiner Maiausgabe mit Streecks Thesen ins Gericht. In ihrem Plädoyer „Für eine Politik der Geldpolitik“ zeichnen Danilo Scholz und Adam Tooze treffend die Konfliktlinien zwischen dem linksliberalen Universalismus von Jürgen Habermas und Streecks neomarxistischem Partikularismus nach, um mit der Stärkung der EZB einen Ausweg zu skizzieren: Sie sehen in technokratischen Maßnahmen durchaus ein Mittel politischer Steuerung. Rekonstruiert wird zunächst die „Austreibung der Machtverhältnisse aus den Wirtschaftswissenschaften“. Zu Streecks Missfallen betreibe Habermas eine „systemtheoretische Neutralisierung des Kapitalismusbegriffs“. Für Habermas bildet eine dicht vernetzte, globalisierte Wirtschaft die Grundlage für die Betrachtung von Interessenkonflikten. Es handelt sich, so der kritische Politökonom Streeck, um den Irrtum, dass der Kapitalismus „eine neutrale Vorrichtung im Dienste der gemeinsamen Wohlstandsproduktion“ sei.

Scholz und Tooze stoßen sich vor allem an Streecks Einlassungen zur Nation, die tatsächlich den Gegenpol zu Habermas’ Euroenthusiasmus bilden. „Ein Weniger an ökonomischem Universalismus, der dem konstitutiven Partikularismus real existierender menschlicher Gesellschaft entspräche, könnte eine demokratischere Antwort auf unsere gegenwärtige politisch-ökonomische Sackgasse sein als ein politischer Universalismus“, zitieren sie Streeck.

Ihn damit in die rechte Ecke drängen zu wollen, ist indes gewagt – nicht nur, weil sie Streeck ein xenophobes Zitat des Staatsrechtlers Dietrich Murswiek zuschreiben, das sie auf der Website zurücknehmen mussten. Streecks jüngster Essay „Nicht ohne meine Nation“ („Zeit“ vom 26. April, verlinkt auf wolfgangstreeck.com), kommt nur zu anderen Befunden als Ulrike Guérot: „Europa wird nicht dadurch geeint, dass es die Außenpolitik zwischen seinen Mitgliedsstaaten in die Innenpolitik eines europäischen Superstaats überführt; im Gegenteil wird es dadurch gespalten.“ Auch von der „internationalistischen Demokratie“, die Scholz und Tooze erträumen, ist das Lichtjahre entfernt.

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