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Kirill Petrenko und die Philharmoniker.

© Stephan Rabold

Europakonzert der Berliner Philharmoniker: Fliegen durchs Foyer

Bei ihrem Europakonzert verströmen die Berliner Philharmoniker Zuversicht - obwohl sie zum zweiten Mal nicht reisen konnten und für Kameras spielten.

Zuhausebleiben heißt es nun schon zum zweiten Mal für die Berliner Philharmoniker, die am 1. Mai eigentlich immer zu ihrem Europakonzert ausfliegen. Diesmal wäre Barcelona das Ziel gewesen und Gaudis ewig unvollendete Basilika Sagrada Familia der pittoreske Hintergrund für das in 80 Länder übertragene Konzert.

Mit ihm feiert das Orchester traditionell sich selbst, da es sich am 1. Mai 1882 gründete, die europäische Idee und auch die Musik. Eine Agenda, die gerade mehr denn je gefragt ist, weil sie kulturelles Selbstbewusstsein mit Empathie in Einklang zu bringen versteht.

Um das auch auf Fernsehbildschirmen sichtbar zu machen, haben sich die Philharmoniker einen genialen Dreh einfallen lassen: Das weitläufige Foyer, das vor allem bei den kostenlosen Lunchkonzerten zur Bühne wurde, verwandelt sich zum Podium für das ganze Orchester.

Die Emporen, Treppen und an Gangways erinnernden Zugänge zum Großen Saal werden zu Spielflächen für Orchestergruppen, die Musik durchstreift Scharouns Bau wie sonst das wandelnde Publikum.

Von den Emporen ergießen sich die Blechbläserkaskaden

Und weil zwischen den Stücken immer wieder wie von Geisterhand umgebaut werden muss, gibt es Gelegenheit, unterdessen die Philharmonie hochleben zu lassen, mit kurios aufgekratzten Kameraflügen und einem zartschmelzenden Wolfgang Schäuble, der bekennt: Wenn er in dieses Haus kommt, fallen alle Sorgen von ihm ab.

Fanfaren rahmen diesen Vormittag, der auf den Fernsehbildern ein strahlender ist. Durch die Glasaugen dringt buntes Leuchten ins Foyer, und Kirill Petrenko trägt sein feines Lächeln, das allein schon Trost ist. Was für ein Unterschied zum vergangenen Jahr, als das Europakonzert aus der leeren Philharmonie kam, mit Schmerzensgestus und langsamen Kameraschwenks über hochgeklappte Sitzreihen, die an Grabsteine gemahnten.

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Im Mai 2021 geht es um Zuversicht. Innerhalb einer Woche sei man spielbereit, bekräftigt Intendantin Andrea Zietzschmann, ein eigenes Testzentrum ist installiert. Boris Blachers Fanfare, komponiert zur Einweihung der Philharmonie 1963, weist den Weg: Von den Emporen ergießen sich die Blechbläserkaskaden hin zur verschlossenen Herzkammer. Der Große Saal ist immer mit im Bild, wenn Petrenko zu sehen ist. Die riesige Fotografie in seinem Rücken zeigt Podium und Sitzreihen prall gefüllt.

Nicht jeder Programmpunkt ist ein sicherer Treffer, Mozarts Notturno mit vier Echo-Ensembles im Raum trägt musikalisch per Fernsehton nicht wirklich hinüber in selige Zerstreuung. Nebenbei erinnert es schmerzlich an die geschlossene Gastronomie, denn dieses Stück wurde fürs angeregte Tafeln erdacht.

Sehr zart und mit nur wenigen Streichern klar der fragenden Seite zugeneigt, dirigiert Petrenko „The Unanswered Question“ von Ives, bevor es den „Emanationen für zwei Streichorchester“ auch noch eine kleine Penderecki-Premiere für die Philharmoniker gibt.

[Die Konzert-Aufzeichnung ist noch 30 Tage in der ARD-Mediathek abrufbar.]

Zu diesem Zeitpunkt ist die Sehnsucht nach voller Orchesterpracht schon beinahe schmerzhaft angewachsen. Mit Tschaikowskys Suite Nr. 3 G-Dur op. 55 verabreicht Petrenko sein Antidot: Das Orchester verströmt sich in buntem Licht, das Foyer wird vom Walzermacht ergriffen und Melancholie erscheint für kurze Augenblicke als Widerschein eines großen Glücks.

Ein feiner Rauschzustand stellt sich ein, nachdem John Adams’ Showpiece „Short Ride in a Fast Maschine“ und die erneuten Kamerarundflüge durchs Haus fast schon entbehrlich sind, wäre man nicht gar so aushungert.

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