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Europäische Romanik. 25 Jahre dauerte der Wiederaufbau der zehn großen romanischen Kirchen Kölns – hier St. Aposteln – nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Vollendet wurden sie zum „Europäischen Denkmalschutzjahr“ 1975.

©  Rainer Gärtner / Abbildung dem Buch von Reinhard Matz und Wolfgang Vollmer, „Köln nach dem Krieg 1950–1990“ (Greven Verlag, Köln 2014).

Europäisches Kulturerbejahr 2018: Licht der zwölf Sterne

Das „Europäische Kulturerbejahr 2018“ hat begonnen. Bisher lebt es vor allem von dem frommen Wunsch, den Rechtspopulismus zu bekämpfen.

Immerath gibt es nicht mehr. Das Dorf stand der Braunkohle im Wege, vielmehr deren rheinischem Abbaukonzern RWE. Als letztes bauliches Zeugnis wurde am 8. Januar die Dorfkirche abgerissen, ihrer imposanten Erscheinung wegen als „Immerather Dom“ bekannt – beste Neoromanik des späten 19. Jahrhunderts.

Der Abriss war in vielerlei Hinsicht symbolkräftig. Zum einen erfolgte er wenige Tage, nachdem bekannt geworden war, dass die Sondierer einer erneuerten Groko sich als erstes auf den Wegfall des Klimazieles 2020 verständigt hatten. Da ist der Aufschluss eines weiteren Braunkohletagebaus nur die Bekräftigung, mit dem alten Klimakiller so lange wie möglich weiter zu wirtschaften.

Zum anderen aber lag gerade erst wenige Tage die Eröffnung des „European Year of Cultural Heritage“, des Europäischern Kulturerbejahres 2018, durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) zurück. Was, so konnte man sich fragen, illustriert die tatsächliche Bedeutungslosigkeit eines solchen Festjahres besser, als der unbekümmerte Abriss eines schützenswerten, noch dazu sakralen Bauwerks zugunsten einer Energietechnik von gestern?

Europa wieder näher bringen

Was das Kulturerbejahr bedeuten und bewirken soll, ist aus den amtlichen Verlautbarungen nur schwer herauszulesen. In Deutschland wird das Jahr unter dem zusätzlichen Motto – in Euro-Sprech – „Sharing Heritage“ abgehalten. „Mit diesem Themenjahr“ – so die offizielle Verlautbarung – „fordert die Europäische Kommission auf, dazu beizutragen, Europa den Europäern wieder ein Stück näher zu bringen. Werfen wir gemeinsam einen Blick auf unser kulturelles Erbe, hören unserer gemeinsamen europäischen Geschichte zu, erzählen sie weiter – auch ganz lokal bei uns zuhause.“

Das „zuhause“ gilt nun nicht mehr für Immerath, wo allenfalls die strikt nationale Ausrichtung der Energiepolitik in Europa deutlich wird, doch ansonsten vielleicht schon. Das Dilemma des Kulturjahres, das jedes EU-Mitglied nach eigenem Gusto ausgestalten kann, erklärt sich aus seinen Ursprüngen. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK), das hierzulande „im Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen den deutschen Beitrag zum Europäischen Kulturerbejahr koordiniert“, hat in einem Text seiner Beauftragten Uwe Koch und Björn Berndt den Anlass genannt: „Europa hat derzeit bei vielen seiner Bürgerinnen und Bürger keinen leichten Stand. Das Licht der zwölf goldenen Sterne auf blauem Grund scheint derzeit etwas fahler zu strahlen als noch vor wenigen Jahren. Euro-Krise, Brexit und schließlich der massiv erstarkende anti-europäische Populismus stellen die Solidargemeinschaft auf den Prüfstand.“

So die Diagnose. Die Therapie lautet entsprechend: „Wieder eine Begeisterung für das Verbindende auf dem Kontinent, den grenzüberschreitenden Austausch und die Europäische Idee zu entfachen“, sei die „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle fordert“.

Mit Kultur gegen rechts

Kulturerbe gegen Populismus? Dass diese simple Schlussfolgerung selbst im traditionell linksstehenden Kulturmilieu keine begeisterte Aufnahme gefunden hat, spricht Bände. Die Instrumentalisierung der Kultur für politische Ziele ist allzu durchsichtig. Den Kampf gegen Nationalismus und für Rechtsstaatlichkeit, für Meinungs- und Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz zu führen, ist und bleibt Aufgabe der Politik, die sich – das muss hier erwähnt werden – um die Kritik an der EU in ihrer bestehenden Form, notabene deren Demokratiedefizit, auch weiterhin nicht schert.

„Das Kulturerbe ist das Kernstück der europäischen Art zu leben“, verkündete der zuständige EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, Tibor Navracsics, auf den Initiative und Konzeption des Erbejahres zurückgehen: „Es definiert, wer wir sind, und schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit.“

„Zugehörigkeit“ in einer auseinanderfallenden EU, schön. Was das konkret heißen soll, erschließt sich nicht. Deutscherseits ergeht die Aufforderung zum „Mitmachen - tragen Sie hier Ihr Projekt zum Kulturerbejahr ein“, nämlich auf der Website Sharingheritage.de/mitmachen. Da öffnet sich dann ein buntes Kaleidoskop von Bilderschnipseln, das wohl die stets beschworene „Vielfalt“ symbolisieren soll.

Veranstaltungen hierzulande

Konkret sind bislang beispielsweise die Ausstellung „Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“ der Staatlichen Museen Berlin oder die „Wiederentdeckung der Industriekultur“ – natürlich in Berlin, wo dieser Dauerbrenner mindestens seit 1975 gepflegt und am Leben gehalten wird. Damals nämlich gab es das „Europäische Denkmalschutzjahr 1975“ unter dem zündenden – nicht brüssel-einheitssprachlichen! – Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“, das die Aktivitäten gegen Abriss und Zerstörung in ganz Europa zu bündeln vermochte.

An den Erfolg möchte die EU-Kommission gerne anknüpfen, nur das entsprechende Thema fehlt. Nichts gegen all die Veranstaltungen, die Konzerte, Ausstellungen. Nichts gegen den völkerverbindenden Komponisten Händel, die grenzüberschreitende Baukunst der Gotik oder die „Europäische Route Historische Theater“. All das würde allerdings auch veranstaltet und gefeiert werden ohne das EU-Siegel des Kulturerbejahres.

Die Vielfalt, die in der Tat ein Merkmal der europäischen Kultur bildet, zeichnet sich gerade durch ihre Verschiedenartigkeit und auch ihre wechselseitige Abgrenzung aus, ihre Ungleichzeitigkeit, ihre wechselnden Zentren. Und eben auch – die Geschichtsbücher sind voll davon – ihre wechselseitigen Konkurrenzen, Feindschaften, Verheerungen. Dass Kultur und Barbarei durchaus nahe beieinander liegen, hat nicht erst das 20. Jahrhundert furchtbar bewiesen.

Der Dreißigjährige Krieg

Nun denn, am 21. September soll es ein „europäisches Friedensgeläut“ geben, zur Erinnerung an den 400. Jahrestag des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges mit dem „Prager Fenstersturz“. Der hatte zunächst nur regionale Bedeutung, und doch entwickelte sich aus ihm ein gesamteuropäischer Krieg, dem auf dem Hauptschauplatz, dem in tausenderlei Duodezherrschaften zersplitterten alten Deutschen Reich, schätzungsweise ein Drittel der Gesamtbevölkerung zum Opfer fiel; weniger durch Kriegshandlungen als durch Hunger und Seuchen.

1648, vor 370 Jahren, beendet der Friedensschluss von Münster und Osnabrück die wechselseitigen Feldzüge. Nicht, dass daraufhin das goldene Zeitalter des Friedens angebrochen wäre; aber eine gewisse Verantwortung für den Frieden ist daraus doch erwachsen, bis diese Lehre 1914 mutwillig verlacht wurde. Die Erinnerung an den – weithin vergessenen – Dreißigjährigen Krieg hätte ein europäischer Anknüpfungspunkt sein können.

Übrigens: Die Frist zur Einreichung „Europäischer Kooperationsprojekte“ ist am vergangenen Freitag abgelaufen. Man darf gespannt sein, wer noch auf den gemeinsamen Europazug aufspringt. Oder darf man überhaupt gespannt sein?

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