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Süße Koproduktion. Am Zucker in Quadern werkelten neben seinem österreichischen Erfinder auch Franzosen und Belgier.

© Fredrik von Erichsen / picture alliance / dpa

Europäisches Kulturerbejahr 2018: Der Weg des Würfelzuckers

Viele Dinge, die uns täglich umgeben, sind im europäischen Austausch entstanden. Davon erzählt das Projekt „Erbstücke“ des Goethe-Instituts

Die Zange war angesetzt, die Dame schwang den Hammer. Da geschah es: Statt ein Stück aus ihrem Zuckerhut zu hacken, um den Kaffeebesuch zu bewirten, hieb sich Juliana Rad schwungvoll in den Finger. Wie unpraktisch diese harten, anderthalb Meter hohen Ungetüme doch waren! „Jacob, kommst Du mal?“, mag es damals, an einem Sommertag des Jahres 1841, durchs Rad’sche Haus in Datschitz geschallt haben. Denn wie der Zufall es wollte war Julianas Ehemann, Jacob Christoph Rad, Geschäftsführer der örtlichen Zuckerraffinerie. Und ersann nach dem Malheur seiner Gattin folgsam den handlichen Würfelzucker.

Lesen kann man darüber auf der Internetseite des Projekts „Erbstücke. Europäische Geschichten“, ins Leben gerufen aus Anlass des Europäischen Kulturerbejahres vom Münchner Goethe-Institut gemeinsam mit weiteren Goethe-Instituten von Finnland bis Polen. Denn der Würfelzucker ist ein solches „Erbstück“, ein Gemeinschaftswerk, an dessen Entstehung Menschen aus mehreren Ländern Europas beteiligt waren: Nachdem Jacob Christoph Rad – Österreicher mit Schweizer Wurzeln – ihn in Mähren erfunden hatte, perfektionierten zwei Franzosen und ein Belgier das Verfahren, nach dem der süße Würfel bis heute in Form gepresst wird.

„Bei vielen Alltagsgegenständen, aber auch anderen Kulturgütern, begegnet uns diese Geschichte des europäischen Austauschs“, sagt Jakob Rondthaler, der in der Internetredaktion des Goethe-Instituts für das Projekt verantwortlich ist, und nennt als weiteres Beispiel die Würzburger Residenz: Sie entstand zwischen 1719 und 1744 für die Würzburger Fürstbischöfe, gehört heute zum Unesco-Weltkulturerbe. „Am Bau waren deutsche Handwerker, französische Stuckateure und Freskenmaler aus Italien beteiligt.“

Treppenhaus der Würzburger Residenz Juli 2016. Der Bau entstand zwischen 1719 und 1744 für die Würzburger Fürstbischöfe, gehört heute zum Unesco-Weltkulturerbe. „Am Bau waren deutsche Handwerker, französische Stuckateure und Freskenmaler aus Italien beteiligt.“
Treppenhaus der Würzburger Residenz Juli 2016. Der Bau entstand zwischen 1719 und 1744 für die Würzburger Fürstbischöfe, gehört heute zum Unesco-Weltkulturerbe. „Am Bau waren deutsche Handwerker, französische Stuckateure und Freskenmaler aus Italien beteiligt.“

© Wikimedia

Auch das Pilsner Bier, die Idee der Genossenschaft und die Ansichtskarte haben es unter die im Netz präsentierten „Erbstücke“ geschafft. Weitere, insgesamt 35 Erfindungen und Errungenschaften, die im europäischen Austausch entstanden sind, sollen folgen und in Form von Artikeln, Bilderstrecken oder Videos präsentiert werden.

Das könnten Spezialitäten, Traditionen, Phänomene, Musikgenre oder Baustile sein, nennt das Goethe-Institut Beispiele – vorausgesetzt, sie haben einen Bezug zu mindestens drei Ländern Europas. „In einem ersten Schritt haben wir Kollegen aus anderen europäischen Goethe-Instituten gebeten, Vorschläge einzureichen“, berichtet Rondthaler. Diese warteten mit teils überraschenden Ideen auf und erweitern nun mit Beiträgen aus insgesamt 13 Ländern nach und nach die Online-Ausstellung. Auch Besucher der Seite können Vorschläge schicken.

Editier-Marathons für Wikipedia

Ein zweiter Teil des Projekts sind „Editier-Marathons“ – kurz „Edit-a-thons“ – erklärt Bibliothekarin Bettina Radner, die die Aktion beim Goethe-Institut koordiniert: „Zusammen mit Wikimedia Deutschland haben wir Kontakt zu anderen Wikimedia-Gruppen in Europa aufgenommen.“ In Schreibwerkstätten in den Instituten vor Ort sollen die Teilnehmer Artikel über die „Erbstücke“ für die Online-Enzyklopädie Wikipedia verfassen oder bestehende Beiträge ergänzen. „Wir möchten, dass der europäische Aspekt bei der Entstehungsgeschichte dieser Kulturgüter stärker herausgestellt wird“, sagt Bettina Radner. Damit dann auch die Wikipedia-Nutzer davon erfahren.

Kandidat für eine solche „Europa-Redigage“ könnte etwa das Saxofon sein. So liest man im deutschen Wikipedia zwar, dass es von dem Belgier Adolphe Sax erfunden, später in Frankreich populär und von Benedikt Eppelsheim in München zum Tubax weiterentwickelt wurde. Doch es ließen sich weitere europäische Bezüge herausarbeiten, gibt Rondthaler ein Beispiel. Etwa zu der in den Niederlanden populären Saxofonistin Candy Dulfer oder der britischen Band Spandau Ballet, legendär für ihre Saxofon-Soli. Ob und wie dieses Wissen Eingang in Wikipedia finden wird, diskutieren in den kommenden Monaten die Teilnehmer der „Edit-a-thons“.
Das Projekt Erbstücke im Internet: goethe.de/erbstuecke

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