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Bei Lichte besehen. Das nächtliche Hildesheim.

© mauritius images / Michael Abid

Europäische Kulturhauptstadt 2025: Unser Kirchturm soll schöner werden

Deutschland stellt 2025 eine Europäische Kulturhauptstadt. Auf der Bewerberliste stehen Magdeburg, Hannover, Nürnberg, Chemnitz und Hildesheim. Was das über den Wandel der Kulturhauptstadt-Idee verrät.

Der 12. Dezember war ein schwarzer Tag für die Dresdner. Denn als die Shortlist der deutschen Kandidaten für die „Europäische Kulturhauptstadt 2025“ veröffentlicht wurde, fanden sich dort die Namen Magdeburg und Hannover, Chemnitz, Nürnberg und Hildesheim. Aber nicht derjenige von Dresden.

Okay, auch Gera und Zittau waren von der zwölfköpfigen Jury aus dem Bewerberkreis ausgeschlossen worden, aber die waren sowieso keine Topfavoriten. Ganz im Gegensatz zur sächsischen Landeshauptstadt. Spricht die Welt nicht bewundernd von Elbflorenz? Blickt Dresden nicht auf eine glorreiche Geschichte zurück? Leben hier nicht die stolzesten Bürger?

Ist das Museums- und Bühnenangebot nicht überwältigend üppig im Vergleich zur Einwohnerzahl? Und hatte man fürs Rennen um die EU-Trophäe nicht den angesagtesten aller Kultur-Wanderprediger zum Kurator gemacht, den früheren Berliner Opernstiftungschef Michael Schindhelm?

In der Tat schien es geradezu ausgemacht, dass das prächtige Dresden Deutschland 2025 vertreten würde, wenn die Bundesrepublik zusammen mit Slowenien die europäischen Kulturhauptstädte stellen darf. Dass die Jury, in der jeweils drei Entsandte der Europäischen Kommission, des EU-Rats und des Europäischen Parlaments sowie zwei deutsche Vertreter sitzen, dennoch anders entschied, könnte genau damit zusammenhängen: Dresden ist zu kulturvoll, um den Titel zu tragen. Nach den ungeschriebenen Gesetzen, die mittlerweile für die Vergabe gelten.

Früher ging es um eine Leistungsschau

Als die griechische Kulturministerin Melina Mercouri 1985 die Europäische Kulturhauptstadt erfand, war das noch anders. Da ging es vor allem darum, ein Fest zu feiern, möglichst 365 Tage lang, um die Bedeutung der Kultur für Europa zu unterstreichen. Das Programm war eine Leistungsschau, bei der sich ein Highlight ans nächste reihte. Als Titelträger wurden darum Orte mit Strahlkraft ausgesucht, auf Athen folgten Florenz, Amsterdam, West-Berlin (1988) und Paris.

1990 war Glasgow dann die erste Stadt, die den Titel neu definierte. Nämlich als einen Auftrag an sich selber: Das Kulturhauptstadtjahr wurde von den Schotten genutzt, um zu zeigen, dass Glasgow bereit war, sich von der verrußten Industriestadt zu einem Gemeinwesen mit Zukunft zu entwickeln. Statt spektakulärer Events rückten immer öfter Fragen der Stadtplanung in den Mittelpunkt. Neben Madrid, Lissabon, Kopenhagen, Luxemburg und Stockholm trugen bis 1998 mit Dublin, Antwerpen, Thessaloniki auch Städte aus der zweiten Reihe den Titel.

Weimar und Essen brachten einen Paradigmenwechsel

Als Deutschland 1999 dann zum zweiten Mal an der Reihe war, wählte man mit Weimar einen Ort von nationaler Bedeutung – aber eben auch mit widersprüchlicher Historie. Da war die klassische Glanzzeit von Goethe und Schiller, da war die Geburt der Demokratie in der Weimarer Republik, da waren aber auch die langen Schatten der NS-Zeit mit dem protzigen ehemaligen Gau-Forum und dem KZ Buchenwald. Zu den nachhaltigsten Projekten des Programms gehörte die Gründung des West-Eastern Divan Orchestra.

Ein weiterer Paradigmenwechsel vollzog sich 2010, mit dem dritten Titelträger aus der Bundesrepublik. Essen und das Ruhrgebiet repräsentierten so ziemlich das Gegenteil von allem, was der Bildungsbürger mit einer Kulturhauptstadt verbindet. Als „polyzentrische urbane Agglomeration“ bezeichnen Fachleute die Region, die sich für die Bewerbung zur Interessengemeinschaft „Ruhr 2010“ zusammengeschlossen hatte.

Picknick auf der Autobahn

Nicht um mittelalterliche Kerne, sondern um Fabriken und Zechen herum sind die Gemeinden im Pott gewachsen - und dann im Bombenhagel des Krieges in Schutt und Asche gefallen. Obwohl der Wiederaufstieg Deutschlands nach 1945 entscheidend von der Malocherregion befeuert wurde, entwickelten die Bewohner einen nachhaltigen Minderwertigkeitskomplex. Das Netteste, was ein Ruhrgebietler über seine Heimat zu sagen weiß? „Woanders is’ auch scheiße.“

Das Kulturhauptstadtjahr konnte hier Entscheidendes bewirkt. Populäre Massenevents wie das Picknick auf der Autobahn oder das gemeinsamen Singen im Stadion auf Schalke brachten die Leute zusammen, das Kirchturmdenken der Kommunen wurde aufgebrochen, Strukturen für einen dauerhaften Kooperationsprozess konnten entstehen.

Das Jahr soll vor allem nach innen wirken

Nachhaltigkeit statt Feuerwerk heißt seitdem das Kulturhauptstadt-Motto. Immer öfter trauen sich auch die anderen EU-Länder, Städte aufs Schild zu heben, von denen kaum einer weiß, wo genau sie eigentlich liegen. Und die sich deshalb nur in bescheidenem Maß zum Touristenmagnet entwickeln. In erster Linie geht es nicht mehr um Wertschöpfung durch Hotel- und Gaststätteneinnahmen, sondern darum, dass die Stadt nach dem Fest für ihre Bewohner dauerhaft liebenswerter geworden ist.

Ob Guimarães in Portugal, Umea in Schweden, Košice in der Slowakei oder Mons in Belgien: Sie blieben weitgehend unterm Radar der internationalen Aufmerksamkeit, das Kulturhauptstadtjahr hat aber auf je eigene Art positiv nach innen gewirkt.

Dresden ist schon zu berühmt

Das italienische Matera, neben dem bulgarischen Plowdiw 2019 Titelträger, war selbst Liebhabern des Landes vor allem durch Carlo Levis Buch „Christus kam nur bis Eboli“ bekannt. Darin werden die unwürdigen Lebensverhältnisse angeprangert, unter denen die Bewohner der Provinz Basilikata noch vor einem Dreivierteljahrhundert lebten. Eine Stadt mit derart schlechtem Leumund auszuwählen, dazu gehört Mut. Auch wenn die archaischen Höhlenwohnungen, die für ihre Bewohner über Jahrhunderte eher Höllenwohnungen waren, von der Unesco in den Katalog des Welterbes aufgenommen wurden.

Wer diese Entwicklungsgeschichte des EU-Titels im Kopf hat, dem erscheint das Ausscheiden von Dresden nicht mehr ganz so unverständlich. Zu schön, zu berühmt, zu stark war diese Bewerberin. Auf der Shortlist landeten eher die nationale Underdogs. Wer jemals an einem frühen Samstagabend durch Magdeburg gelaufen ist, der weiß, dass das Motto der Bewerbung „Raus aus der Leere“ keineswegs ironisch gemeint sein kann.

In Chemnitz stand zuletzt Gewalt im Focus

Im Mittelalter, unter Otto I., war Magdeburg einmal bedeutend; ein anderer Otto, nämlich Herr von Guericke, entwickelte hier im 17. Jahrhundert die Vakuumtechnik. Heutzutage ist das Stadtbild vor allem von Lücken geprägt, viele Bürger beklagen einen Mangel an sozialem Zusammenhalt. „Wir sind ein blinder Fleck auf der europäischen Landkarte“, sagt Tamás Szalay, der Leiter des lokalen 2025-Bewerbungsbüros, „sogar innerhalb Deutschlands werden wir wenig wahrgenommen.“

An medialer Aufmerksamkeit mangelte es Chemnitz zuletzt nicht. Allerdings standen vor allem fremdenfeindliche Demonstrationen, gesellschaftliche Konflikte und offene Gewalt im Fokus. Mindestens zwiespältig ist auch die öffentliche Wahrnehmung der weiteren Bewerber: Nürnberg ist zwar der Geburtsort von Albrecht Dürer, aber auch die Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage. Graumäusiger als das Image von Hannover kann ein Image kaum sein. Und die Zuckerrüben-Metropole Hildesheim wirkt geradezu wie ein Synonym für Provinzialität.

Gastgeber sein für die eigene Bevölkerung

Die Initiative zur Kulturhauptstadtbewerbung kam dort jedoch aus der Mitte der Zivilgesellschaft. Engagierte Bürger überzeugten die zaudernden Kommunalpolitiker, das Wagnis einzugehen. Bekommt Hildesheim den Zuschlag, will man für ganz Europa zum Vorzeigemodell einer kulturgeleiteten Regionalentwicklung werden. Auch seine Umgebung möchte Chemnitz aktiv einbinden, 25 Kommunen aus der Erzgebirgsregion sollen durch Kultur, aber eben auch durch einen verbesserten öffentlichen Nahverkehr miteinander verknüpft werden: mehr Lebensqualität im ländlichen Raum.

Gastgeber sein für die eigene Bevölkerung, das ist heute das Ziel der europäischen Kulturhauptstadt. Wenn außerdem noch Touristen kommen, ist das ein schöner Beifang. Bis zum Sommer 2020 haben die fünf Kandidaten von der Shortlist nun Zeit, ihre Bewerbungsbücher auszuarbeiten. Außerdem wird die Jury sämtliche Städte besuchen, bevor im Herbst die finale Entscheidung fällt.

Dresdens Bürgermeister Dirk Hilbert hat sich übrigens bemüht, weltmännisch auf die Niederlage vom 12. Dezember zu reagieren: Auf dem adventlichen Striezelmarkt ließ er in sinniger Anspielung 2025 Glühwein-Gutscheine verteilen.

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